FILM-DOKU JAZZFIEBER
The Story of German Jazz
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: rk-film
Es ist löblich, dass sich die Filmbranche des Themas Jazz in Deutschland annimmt, indem sie gerade die opulente Doku "Jazzfieber" in die Kinos schickt. Die Chance, hiermit mehr Menschen für die vielschichtige Gegenwart des Jazz zu begeistern, ist dabei leider verspielt worden.
‚Jazzfieber’ ist eine sehr unterhaltsame Dokumentation über die Geschichte des Jazz in Deutschland - sehr bunt und abwechslungsreich, aber ohne Tiefgang. Da der Film in Programmkinos läuft, habe ich ihn im ‚Sweet Sixteen‘, einem Kino in der Dortmunder Nordstadt angesehen. Das kleine Kino befindet sich im ‚DEPOT‘, einem Kulturzentrum im dem Gebäude eines ehemaligen Straßenbahn-Depots, in dem sich auch ein Theater, eine Kneipe und Veranstaltungsräume befinden (s. Fotos unten). Leider sind an dem Mittwoch-Abend von den 100 Plätzen nur 10 besetzt. Im Film steigen am Anfang fünf junge Jazz-MusikerInnen in einen Bandbus, dazu werden Fotos – Parallele oder Kontrast? - von historischen Bands gezeigt, die auf Tourneen auch in einem Bus unterwegs waren. Doch wohin fahren die jungen Leute? Oft blicken sie während der Fahrt auf ein Tablet, auf dem sie die vorher gezeigten Passagen ansehen. Ihre Reaktionen sind spärlich.
Nicht alles ist wirklich wichtig im diesem Film wie die alte Frage, wie man Jazz richtig ausspricht: ‚JAZZ oder DSCHÄSS'?
Inhalt und Aufbau
Den Kern des Films bilden Auszüge aus Interviews und Konzertmitschnitten der ‚Swing-Legenden‘ Max Greger, Paul Kuhn, Hugo Strasser, Rolf Kühn, Coco Schumann, Peter Thomas und Karlheinz Drechsel. Da die Dreharbeiten vor 11 Jahren begannen, sind die meisten dieser recht betagten Musiker schon tot. Um diese Aufnahmen herum wurde der Film aufgebaut, nicht ohne Folgen. Auch der Drummer Peter Baumeister und Klaus Doldinger sind dabei.
Der Film ist klar in Kapitel gegliedert, deren Überschriften jeweils eingeblendet werden:
1. ‚Woher kommt der Jazz‘ - 2. ‚Jazz im 3. Reich‘ - 3. ‚Jazz in der Nachkriegszeit’ - 4. ‚Was ist Jazz?‘- 5. ‚Jazz, Tanz, Unterhaltung‘ - 6. ‚Jazz im Wandel der Zeit‘.
All dies in 90 Minuten auch nur ansatzweise zufriedenstellend unterzubringen, konnte nicht gelingen. So wird im ersten Kapitel als exemplarischer Song ‚Ol’ Man River’ angeführt, der zu diesem in vielen Büchern behandelten Thema nur einen flüchtigen Eindruck vermitteln kann. Hoch anrechnen muss man den Produzenten die Gestaltung der Phase des Nationalsozialismus, in der über die musikalische Thematik hinaus Fotos vom Holocaust gezeigt werden. Diese Aufnahmen erschüttern, vor allem wenn Coco Schumann dazu berichtet, wie er in Auschwitz in einer Band spielen musste, als Kinder zur Vergasung geführt wurden.
Nach diesen Bildern ist der Übergang zur Nachkriegszeit ("davon geht die Welt nicht unter") nicht gerade glücklich. Es folgen die bekannten Geschichten von den Jazzclubs der US-Soldaten und dem ‚Coming Out‘ der deutschen Jazzer. Viele Bilder vom Tanzen beim Swing sind zu sehen, doch gabs damals nicht auch Cool Jazz? Wenn man bei Wolfram Knauers ‚Play yourself Man‘ nachliest, erfährt man, dass der Cool – gerade im Gegensatz zum Bebop – in Deutschland sehr erfolgreich war. Doch von Hans Koller, Jutta Hipp oder gar von Francy Boland ist nicht die Rede. In den letzten Kapiteln ‚Was ist Jazz?‘‚ 'Jazz, Tanz, Unterhaltung‘ und ‚Jazz im Wandel der Zeit‘ werden - auch wegen der unspezifischen Titel - eklektisch und unsystematisch Szenen aneinandergereiht. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, ob Free Jazz zum Jazz gehört. Die Antworten sind nicht gerade schmeichelhaft und machen nochmals die unzulässige Verengung des Jazzbegriffs auf den Swing deutlich, der sich durch den ganzen Film zieht. Viele Konzertszenen werden eingeblendet und ist es nicht immer einfach, sie zuzuordnen. Nicht immer werden Namen und Daten genannt. Die Abfolge ist manchmal verwirrend, weil der jeweilige Punkt auf der Zeitschiene unklar bleibt.
Junge Band 'ratlos' im Tourbus unterwegs
Für den aktuellen Jazz steht die Münchner Band ‚Feindsender‘ mit der Sängerin Hannah Weiss. Der Pianist und Jazz-Professor Tizian Jost ist bei Proben mit Hannah zu beobachten. Besonders wichtig ist aber die Band der fünf jungen MusikerInnen, die im Tourbus unterwegs sind, mit dem Trompeter Jakob Bänsch, der Bassistin Caris Hermes, der Schlagzeugerin Mareike Wiening , dem Pianisten Niklas Roever und der Sängerin und Pianistin Alma Naidu. Die Fahrt des Tourbusses endet im Stuttgarter Jazzclub 'Bix', in dem die Band am Filmende Alma Naidus Song ‚Someting ′bout the rain’ spielt.
Leider werden die jungen MusiikerInnen hauptsächlich als Staffage, als optischer Kontrast zur Garde der ‚alten weiße Männer‘ benutzt. Denn was sollen sie schon sagen, wenn man ihnen während einer Autofahrt Videos mit Swing hinhält? Da kann es nur zu Belanglosigkeiten kommen wie, dass Tradition und Handwerk wichtig sind und an den Hochschulen leider zu wenig vermittelt werden. Von modernem Jazz ist nicht die Rede, den sie doch repräsentieren sollen. Dabei sind die jungen Leute durchaus kompetent, was im Film nur beim Auftritt der Band deutlich wird. Caris Hermes z. B. kommt aus Köln und hatte auch als Komponistin schon viel Erfolg. Sie hat zwei Alben veröffentlicht und bildet seit 2018 mit Niklas Walter, Paul Heller und Martin Sasse das 'Two Generations Quartet'. Auch Swing ist ihr nicht fremd, spielt sie doch seit einiger Zeit regelmäßig bei Chris Hopkins ` ‚Young Lions’ mit.
Wegen der oft belanglosen Aussagen war in einer anderen Rezension schon von „einvernehmlicher jugendlicher Spießigkeit“ die Rede, doch damit tut man den jungen Leuten unrecht und lässt sie als Dilettanten erscheinen. Man hätte die Statements der jungen MusikerInnen besser vorbereiten müssen, mit Impulsen oder mit vorgegebenen Fragestellungen, z. B. zum Vergleich von modernem und ‚alten‘ Jazz.
unterm Strich
Der Film konnte den hohen Anspruch seines Untertitels - The Story of German Jazz - nicht erfüllen. Das hätte man sich auch vorher denken können. Entweder hätte man den Titel entsprechend geändert oder den Gegenstandsbereich von vornherein eingegrenzt. Dass es fast nur um Swing geht, ist ärgerlich, vor allem, weil so das Bild eines ewig gestrigen Jazz entstehen könnte. Gerade für Ältere hat der Film einen hohen Unterhaltungs-, vielleicht auch Erinnerungswert. Wirklich schade ist allerdings, dass hier junge MusikerInnen instrumentalisiert wurden, das wäre nicht nötig gewesen.
Als Ergänzung zum Thema bietet sich - mit jeder Menge Tiefgang - das Buch 'Jazz and the City - Identitätskrisen und -konstruktionen in den 1920er Jahren in Berlin' von Johanna-Marie Rohlf an.
Jazzfieber - The Story of German Jazz
Drehbuch und Regie: Reinhard Kungel
Genre: Dokumentarfilm
Dauer: 92 min.
Filmstart: 7. September 2023
Filmverleih: Arsenal
https://jazz2germany.de/