Bild für Beitrag: „Wir nähern uns der Musik nicht als Gralshüter“ | Interview mit Chris Hopkins über seine YOUNG LIONS
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„Wir nähern uns der Musik nicht als Gralshüter“

Interview mit Chris Hopkins über seine YOUNG LIONS

Hürth, 02.01.2023
TEXT: Dr. Michael Vogt | 

Am 10. Januar 2023 tritt der Pianist und Saxofonist Christ Hopkins mit seiner Band "The Young Lions im Jazzkeller Hürth auf, am 11. Januar spielen die Musiker in Heilgenhaus im "Club“ und am 12. Januar im Kapitelsaal der Burg Lüdinghausen (Weitere Termine: HopkinsJazz.com). Im Gespräch mit unsere Autoren Michael Vogt stellt Hopkins seine Mitmusiker vor, erzählt über seinen Zugang zum Jazz und erklärt, was Nachwuchs-Jazzer benötigen, um erfolgreich zu sein.

Als Pianist und Saxofonist hat Chris Hopkins mit so bedeutenden Stars wie Clark Terry, Scott Hamilton, Butch Miles oder Till Brönner zusammen musiziert. Insgesamt kommt er bereits auf über 4000 Konzerte in Europa, Amerika und Australien sowie auf 50 CD-Produktionen, an denen er mitgewirkt hat. Hopkins wurde mit Auszeichnungen wie dem „Preis der Deutschen Schallplattenkritik“, dem „Prix de l'Académie du Jazz, Paris“, dem „Jazz-Pott Award“ als „Best Progressive Artist“ und dem Titel „Keeper of the Flame“ für seine Verdienste um den klassischen Jazz in Europa geehrt.

An der Hochschule für Musik und Tanz in Köln wirkt er als Dozent und engagiert sich für die kommende Generation junger Jazzmusiker. In seinem Format „CHRIS HOPKINS meets the YOUNG LIONS“ spielt er zusammen mit jungen Künstlern klassischen Straight Ahead Jazz, der kunstvoll ist, und ungemein Spaß macht. In Nordrhein-Westfalen stehen im kommenden Jahr mindestens fünf Termine zusammen mit Thimo Niesterok (Trompete), Tijn Trommelen (Gitarre, Vocals), Caris Hermes (Bass) und Mathieu Clement (Schlagzeug, Vibrafon) an.

Chris Hopkins , unter dem Motto CHRIS HOPKINS meets the YOUNG LIONS“ treffen Sie auf junge Jazz-Größen. Wie kam es zu diesem Format?

Ich habe in diesem Jahr meinen 50. Geburtstag gefeiert und festgestellt, dass meine Studenten an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln auf einmal alle 30 Jahre jünger sind als ich. Auf der Bühne war es lange Zeit umgekehrt. Ich war immer der Jüngste. Das liegt vielleicht auch an der Jazz-Stilistik, die ich schon damals bevorzugte. Die mag für mein damaliges Alter ungewöhnlich gewesen sein.

Wie würden Sie sich stilistisch einordnen?

Ich interessiere mich für viele unterschiedliche Arten von Jazzmusik, solange sie eine Form, melodiösen Charakter, einen guten Groove oder Beat haben. Auch wenn Schubladen immer problematisch sind, gefällt mir der Begriff „Classic Jazz“ oder „Straight Ahead Jazz“ ganz gut. Mir sagt Musik etwas, die kunstvoll, aber dennoch verständlich ist und definitiv Spaß machen darf. In Deutschland haben wir das Problem, dass Musik, sobald sie Spaß macht, schnell in den Ruf kommt, keine Kunst mehr zu sein. Da gibt es eine gewisse Verbissenheit, die vor allem aus dem Kritikerlager kommt. Deswegen habe ich seit längerem aufgehört, Musik für Kritiker zu spielen (lacht). Auch wenn ich an meiner Musik jahrzehntelang feile und arbeite, soll sie dem Publikum und auch uns auf der Bühne einen unterhaltsamen Abend bereiten. Wir können in diesem Zusammenhang sicher viel von den Amerikanern lernen, für die Qualität und Unterhaltung immer zusammengehören.

Zurück zu den „Young Lions“ – einer der jungen Musiker ist Tijn Trommelen aus den Niederlanden.
Tijn kenne ich über seinen Vater Antoine, mit dem ich schon oft zusammengespielt habe. Tijn ist ein supertalentierter Musiker, der einen großen Teil seiner Kindheit auf dem Breda Jazz Festival verbracht und dort herausragende Jazzkünstler erlebt hat. Für mich die allerbeste Art, Jazz zu lernen: beim Zuhören und Machen. Wie kleine Kinder, die alles ganz einfach erlernen, indem sie ihre Eltern, die Geschwister oder Onkel und Tanten imitieren, die eigene Persönlichkeit kommt von ganz allein. In kürzester Zeit lernen sie eine Sprache oder gleich mehrere, ohne dass sie ein Lexikon aufschlagen oder in die Schule gehen müssen. Wenn man fünfzehn Jahre lang die besten Musiker live hört, dann verinnerlicht man, wie diese Musik klingen und sich anfühlen soll. Genau so kann man Tijns Roots wohl am besten beschreiben. Und darüber hinaus spielt er nicht nur klasse Gitarre, sondern hat eine wunderbare Stimme. Ich kenne kaum jemanden aus seiner Generation, der so natürlich singt wie er – ohne überflüssige Schnörkel und frei von Pathos, er präsentiert einfach die Songs in ihrer schlichten und magischen Eleganz. In der Jazzgeschichte haben Helden wie Frank Sinatra, Bing Crosby oder Mel Tormé in diesem Idiom Maßstäbe gesetzt, die Tijn nun auf seine Weise fortführt.

Thimo Niesterok spielt in der Formation die Trompete.

Zu Thimo kann ich vielleicht etwas unbescheiden sagen, dass ich ihn mit entdeckt bzw. sein besonderes Talent früh erkannt habe. An der Hochschule in Köln leite ich seit fünfzehn Jahren die „Before Bebop Combo", in der es darum geht, eine Woche lang im Blockseminar Jazz aus der Zeit zu spielen, bevor der Bebop aufkam. Zunächst dachte ich, dass sich die Studenten dafür nicht interessieren würden. Wenn man aber mit echter Leidenschaft die Musik präsentiert und diese Tür einladend aufmacht, dann sind alle offen und auch extrem begeisterungsfähig. Thimo tauchte mit gerade einmal 17 Jahren als Jungstudent auf und kannte alles, was ich aus der Frühzeit des Jazz mitgebrachte hatte. Mehr noch, er konnte es vom Feeling her spielen, als wäre es das Natürlichste der Welt. Er hat dann in den Folgejahren gleich noch ein paar Mal an dem Seminar teilgenommen, und ich habe ihn dann zu dem einen oder anderen meiner Konzerte eingeladen, als Gast für einige Titel einzusteigen. Etwas später habe ich ihn dann an das Breda Jazzfestival vermittelt, wo er nicht nur mit einem tollen Preis und einer Einladung nach Japan gewürdigt worden ist, sondern sich auch mit Tijn angefreundet hat. Thimo ist ein smarter Typ mit sehr guter Auffassungsgabe und allen kommunikativen und sonstigen Qualitäten, die man heute benötigt, um sich als Musiker zu vernetzen. Er ist genau wie Tijn 1996 geboren und schon Vollprofi. Dabei ist er gerade einmal halb so alt wie ich (lacht)!

Ebenfalls 1996 geboren wurde Caris Hermes, die Bass spielt.
Caris ist seit geraumer Zeit weit über die Kölner Szene hinaus präsent und spielt am Bass in unterschiedlichsten Stilistiken. Sie hat schon mit namhaften Ensembles wie beispielsweise der WDR Big Band musiziert und ist mit ihren jungen Jahren eine bemerkenswert erfahrene Kollegin. Und so seltsam es scheinen mag: Es ist auch heute noch immer etwas Besonderes, wenn eine junge Dame mit einem so großen Bass daherkommt. Das ist ja auch ein sehr physisches Instrument. Caris Hermes kenne ich über diverse Connections aus der Kölner Szene, kurioserweise haben wir aber bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, zusammenzuspielen. Es wird höchste Zeit! So sehe ich die „Young Lions“, auch als eine Plattform, über die junge Talente aus ganz verschiedenen Bereichen zusammentreffen, um sich zu vernetzen und gemeinsam Musik zu machen. Ich freue mich, Caris im „Young Lions“.Team willkommen zu heißen.

Fehlt Mathieu Clement, ein gebürtiger Luxemburger, der als Jahrgang 2001 der Jüngste im Bunde ist.

Ein ganz besonderer Zeitgenosse. Auch er hat den Kurs bei mir seinerzeit als Jungstudent gleich mehrfach belegt. Dieses Interesse ist etwas, was heute Seltenheitswert hat. Bei manchen jungen Musikstudenten beobachte ich bisweilen eine Art Konsumentenhaltung. Oftmals geht man gar nicht mehr zu interessanten Live-Konzerten, wenn etwa fantastische internationale Musiker in der Nähe spielen – kann man ja auch auf YouTube anschauen... Dann fällt es umso mehr auf, wenn jemand besonderen Einsatz und Leidenschaft zeigt. Dazu gehört auch, überall aufzutauchen, sich alles anzuhören und den „Vibe“ der unterschiedlichen Jazz-Stilistiken aufzusaugen. Dieser Einsatz über das Mindestmaß hinaus ist, denke ich, eine fundamental wichtige Eigenschaft, wenn man im Leben und natürlich besonders in der Musik weiterkommen möchte. So jemand ist Mathieu. Er hat sich immer für alles interessiert und will es wissen. Er ist nicht nur ein hervorragender Schlagzeuger, sondern auch ein toller Vibrafonist. Ich freue mich sehr, dass er als so junger Kollege mit von der Partie ist!

Mit den vier Musikern spielen Sie drei Konzerte in Nordrhein-Westfalen. Überschrieben ist diese kleine Tournee mit „Swinging into the New Year: The Great American Songbook – From George Gershwin to Frank Sinatra & more".

Das Great American Songbook bietet ein schier unerschöpfliches Repertoire, darunter einige der schönsten Melodien aller Zeiten. Es gibt einfach kaum etwas Besseres als eine Komposition beispielsweise von Cole Porter: extrem kunstvolle Songs, voller Klasse, gleichzeitig verständlich, dazu oft mit dem Zeug zum Welthit. Das bleibt auf einer bestimmten Ebene unerreicht. Mathieu spielt – wie ich – zwei Instrumente, sodass sich auf der Bühne unterschiedlichste Besetzungen ergeben. Vom Duo über das Trio bis hin zum Quintett in unterschiedlichen Settings. Es geht uns auch darum, das Publikum zu unterhalten und immer wieder zu überraschen. Auch wenn wir Klassiker spielen, nähern wir uns der Musik nicht als Gralshüter. Wir machen etwas Eigenes daraus und bringen unsere unterschiedlichen Charaktere in die Musik ein. Ich sehe da auch keinen Unterschied zwischen uns Musikern auf der Bühne. Es geht nicht darum, dass ich als Altvorderer daherkomme und etwas vermittle. Ich verstehe uns als Team, das gemeinsam dafür sorgt, dass der Abend richtig spannend wird und den Zuschauern immens Spaß macht.

Chris Hopkins , vielen Dank für das Gespräch!

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