Bild für Beitrag: Bigband of the Deutsche Oper Berlin | Charles Mingus - Epitaph
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Bigband of the Deutsche Oper Berlin

Charles Mingus - Epitaph

Berlin, 01.08.2024
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: M. Lieberenz

Zum 100. Geburtstag des Bassisten und Bandleaders Charles Mingus im September 2022 interpretierte die Big Band der Deutschen Oper Berlin dessen Suite „Epitaph“ neu – die Aufnahme wurde nun auf einer Doppel-CD veröffentlicht. Unter der Leitung von Titus Engel und mit prominenten Musikern wie Randy Brecker feiert dieser Livemitschnitt sowohl Mingus’ musikalisches Erbe als auch die fortwährende Relevanz des „Third Stream“, der Verschmelzung von Jazz und klassischer Musik.

„Auch hundert Jahre nach seiner Geburt haftet Charles Mingus das Etikett an, Künstlergenie und „angry man“ des Jazz zu sein, ein kompromissloser Kämpfer gegen Rassentrennung und für bedingungslose Wahrhaftigkeit in seiner Musik, der aber auch ... seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte und im Zorn oft genug gewalttätig wurde. Bestätigt wird dieses Bild durch die in der Jazz-Geschichte längst zum Mythos gewordenen Umstände der Uraufführung von Mingus’ .. Suite ‚Epitaph’ am 12. Oktober 1962 in der New Yorker Town Hall.“  

Mit diesen treffenden Sätzen von S. Hanusa beginnt das sehr informative zweisprachige Booklet des neuen Albums der ‚Big Band of the Deutsche Oper Berlin‘. Im September 2022 hatte die Big Band zu Mingus’ 100. Geburtstag dessen 136 Minuten lange Suite gespielt. Die Aufnahmen sind nun auf einer Doppel CD veröffentlicht worden.

Aufführungen 1962 und 1989

Die chaotischen Umstände der Uraufführung von 1962, bei der u. a. noch während des Konzerts Noten kopiert wurden, werden in dem untenstehenden Video der Berliner Bigband beschrieben:

Die Bigband war verdoppelt und um klassische Orchesterinstrumente wie Oboe, Englischhorn und Fagott erweitertet worden.  
Mit diesem Werk wollte Mingus ein Panorama der Jazzgeschichte schaffen, das beim Townhall Concert aber nur unvollkommen realisiert wurde. Die Saxofonisten Eric Dolphy, Charlie Mariano, Zoot Sims und Pepper Adams waren dabei, doch wegen der komplexen Kompositionen waren einige Musiker überfordert. Deshalb wäre eigentlich ein Dirigent erforderlich gewesen, doch Mingus wollte unbedingt von seinem Kontrabass aus dirigieren, was nicht immer gelang.
Danach hatte Mingus die Realisierung von ‚Epitaph’ aufgegeben und sah die Suite als sein Vermächtnis an, „for my Tombstone“. Nach seinem Tod 1979 waren die Noten erst einmal verschollen.
Erst Mitte der achtziger Jahre hatte der Musikwissenschaftler Andrew Homzy mit Hilfe von Sue Mingus das verstreute Notenmaterial im Nachlass entdeckt und zusammen mit Gunther Schuller rekonstruiert. 'Third Stream' war angesagt, wurde aber bald vom Fusion Jazz überlagert.. So konnte ‚Epitaph’ unter Schullers Leitung 1989 in New York neu eingespielt werden. Zum Orchester gehörten prominente Jazzer wie der Saxofonist Bobby Watson, Karl Berger (Vibraphon und ‚cowbell‘) und die Trompeter Wynton Marsalis und Randy Brecker.

EPITAPH 2022 / 2024 in Berlin

- BigBand der Deutschen Oper Berlin – Titus Engel  - Jorge Puerta - Randy Brecker -
Weitere Aufführungen fanden in anderen Ländern statt. Die Big Band der Deutschen Oper Berlin beschloss Mingus’ Stück beim Berliner Jazzfest 2022 zu spielen. Sie war erst 2005 entstanden nach einem Benefizkonzert der zwölf Blechbläser und des Schlagzeugers des Orchesters der Deutschen Oper. Manfred Honetschläger, Jazzposaunist, Komponist und Arrangeur, leitet inzwischen die Band. In Zusammenarbeit mit Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles fanden einige Crossover-Konzerte statt, u. a. im Juni 2012 mit Paul Kuhn, der dabei zum letzten Mal mit einer Bigband auftrat. An der Deutschen Oper Berlin tritt die BigBand in ihrer  Reihe Jazz & Lyrics und auch regelmäßig auf der großen Bühne auf. Drei CDs sind bisher erschienen.
Der Dirigent Titus Engel wurde in Zürich geboren ist gilt als Opern-Experte. Doch er liebt auch Barockmusik und Jazz und hat in vielen seiner Musiktheaterprojekte Jazz-Musiker und Jazz Harmonik mit barockem Continuo verbunden. Charles Mingus’ ‚Epitaph’ mag er, weil darin die Grenzen zwischen Neuer Musik und Jazz in beide Richtungen überschritten werden.
Auch der Tenor Jorge Puerta gehört zur Bigband. Er kommt aus Venezuela und erinnert mit seiner mächtigen Stimme und seiner stattlichen Statur an Pavarotti. Er war für zwei Spielzeiten beim Ensemble der Berliner Oper und hat bei ‚Epitaph’ eine besondere Rolle als Sprecher bzw. Sänger bei dem Stück ‚Freedom‘.
Der weltweit bekannte Trompeter Randy Brecker war schon 1989 dabei und ist sicher der Star bei der aktuellen Berliner Aufführung.

Jazzgeschichte - Freedom

6 Trompeten, 6 Posaunien, 7 Saxofone 2 Bässe, 2 Pianos, insgesamt 37 Musiker, beim line up wurde nicht gespart. 20 Stücke umfasst die Suite, die mit Stücken wie ‚Monk, Bunk, and Vice Versa’ und O.P. (Oscar Peterson) auf die Geschichte des Jazz anspielt.
‚Freedom’ war ein wichtiges Wort im Jazz der 1960er Jahren angesichts des Vietnamkrieges und in der Bürgerrechtsbewegung. Schon 1958 war Sonny Rollins’ ‚Freedom Suite‘ erschienen und 1960 hatte Max Roach ‚We Insist!‘ veröffentlicht mit dem Untertitel ‚Max Roach's Freedom Now Suite‘. Auch Mingus nahm in seiner Suite mit ‚Freedom‘ Stellung: „This mule ain′t from Moscow - This mule ain't from the South - But this mule has some learnin′ - Mostly mouth-to-mouth.“ Während der Text '62 und '89 gesprochen wurde, wird er nun von einem Tenor gesungen.

Mithilfe der Medien kann man inzwischen die verschiedenen Fassungen der Stücke vergleichen. Wenn man genau hinhört, erscheint die Fassung von 1962 manchmal etwas holperig, sie klingt spontaner, vielleicht interessanter. Die Version der Berliner Big Band ist vergleichsweise perfekt, denn die Wogen der Uraufführung haben sich längst geglättet. So ähnelt der Sound ein wenig dem der WDR Big Band, hochvirtuos, aber recht einstudiert. Gut, dass Randy Brecker dabei ist, der noch ein wenig vom Schwung der ursprünglichen Aufbruchstimmung einbringt.

Renaissance des Third Stream?

Crossover, der Wechsel zwischen Genres, ist inzwischen in vielen Jazzbereichen üblich. Das Zusammentreffen von Jazz und Klassik ist noch die Ausnahme, scheint aber wieder an Bedeutung zu gewinnen. Für Gunther Schuller, den Protagonisten des ‚Third Stream‘, kam Epitaph damals wie gerufen. Doch schon vorher hatten Gershwin und Ellington wichtige Schritte in der Annäherung von Jazz und europäischer ‚Neuen Musik‘ unternommen, die – auch wenn nicht immer gelungen – auch von Seiten der Klassik ausgingen,  z. B. von Strawinky.

Auch aktuell spielen Ensembles, in die klassische Streichinstrumente integriert sind, eine Rolle. Emiliano Sampaio, Niko Seibold   (‚Elftonensemble‘) und Stephan Stadtfeld (‚Large Ensemble‘) spielen in ihren erweiterten Bigbands eigene Kompositionen als Kammermusik, schließen aber Improvisationen nicht aus. Steht uns eine Renaissance des Third Stream bevor?


Big Band of the Deutsche Oper Berlin feat. Randy Brecker
Charles Mingus: Epitaph - Bigband of the Deutsche Oper Berlin
Berlin 2024
Label: EuroArts Music International
Total Time: 136 min

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