Emiliano Sampaio
Music For Large Ensembles Vol. II
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Session Work Records
Es beginnt mit einem langgezogenen Geigenton und Gitarrenklängen, Bläser kommen dazu, es hört sich nun fast wie ein klassisches Orchester an. Doch die Streicher bleiben im Hintergrund, ein Spiritual, Deep River, Lord, klingt an. Dann leitet die Posaune zum Thema über, das sich durch das ganze Stück zieht, und verwandelt es in einen Tanz, einen Tango-Walzer im Stile Piazzollas. Ein Stilwandel setzt ein. Ádám Ladányi auf der Posaune kommuniziert in call-response-Manier mit anderen Instrumenten in einer ‚notierten Improvisation‘. Viele rhythmische Ostinati und Staccati sind zu hören, die in seltsamem Gegensatz zum melodischen ersten Teil stehen. Gegen Ende greifen die Bläser das Thema wieder auf, aus dem Zusammenspiel erhebt sich – ähnlich wie beim Sax-Solo in Gershwins An American in Paris -, ein wunderschönes Posaunensolo, das schließlich wieder zum Einsatz der Violinen zurückführt.
Dieses erste Stück der CD heißt ‚For Astor‘ und ist Piazzolla gewidmet. Schon hier werden Ressourcen und Konzepte des Komponisten Emiliano Sampaio deutlich. Sampaio, der ‚brasilianische Österreicher‘, wurde in São Paulo geboren und kam im Alter von 28 Jahren nach Graz. Seine ‚Kerntruppe‘ ist das Nonett ‘Mereneu Project’ mit der klassischen Blasorchester-Besetzung von reeds, brass, bass und drums; er selbst spielt Gitarre. Im ‚Mereneu Project & String Orchestra‘ kommen 18 Streicher dazu. Er komponiert vor allem für große Ensembles und will dabei die ‚Grenzen zwischen Genres und Musikerniveaus verwischen‘. So finden sich in seinen Ensembles auch ‚klassische‘ Instrumente wie Violine, Harfe, Waldhorn und Oboe.
Afrika, das dritte Stück, beginnt mit einem Intro, das mich allerdings an meine ersten Übungen im Trommelkurs erinnert. In der folgenden Melodie höre ich das Pfadfinderlied ‚Einst macht ich mich auf..‘ heraus. Das ist kein Scherz. Laut booklet dagegen „widmet sich [dieses Stück] unseren brasilianischen Wurzeln, die in der rhythmischen Musik Afrikas verwurzelt sind“. So verschieden können die Wahrnehmungen sein! Im Grunde zeigt sich daran die Vielfalt der Musik von Emiliano Sampaio. Er bringt sehr viele musikalische Ideen und viele unterschiedliche Instrumente zusammen und schafft etwas Neues, das wegen der verschiedenen Hörgewohnheiten auch ganz unterschiedlich interpretiert werden kann.
Auch in The Gard Nilsson Pattern,Jet Lag und Naked Tree sind viele musikalische Ideen umgesetzt, z. T. mit Oboe und Harfe. Im mittleren Teil der Stücke finden sich oft improvisatorische Elemente. Gegen Ende der CD nimmt die Ideenvielfalt ab. Balada para Brumadinho wurde beim Bayrischen Jazzweekend Festival 2019 aufgenommen. Es erinnert an das Schlammlawinen-Unglück 2019 in der gleichnamigen brasilianischen Kleinstadt und klingt leise ruhig, besinnlich, aber eben auch: resignativ.
Mit den Improvisationen Mr. Tappler und Relax klingt die CD aus. Während Herr Tappler (Karl-Heinz) durch ein schönes ruhiges French Horn-Solo hervorsticht, wirkt die Kollektiv-Improvisation beim letzten Titel doch schon zu relaxed. Laut booklet ist hier der „Klang der Freiheit zu hören“. Ich rate nach dieser Entspannung die CD noch einmal von vorne zu hören. Diese Musik passt in keine Schublade, da gibt es immer wieder etwas Neues zu entdecken.
Emiliano SampaioMusic For Large Ensembles Vol. II
Erscheinungstermin: 13.03.2020
Label: Session Work Records, 2020
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