Bild für Beitrag: Niko Seibold’s Elfton Ensemble | 'Grow With The Flow'
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Niko Seibold’s Elfton Ensemble

'Grow With The Flow'

Basel, 24.06.2024
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Gergö Nyirö

‚Wie klingt der Jazz der Zukunft?, wurde vor einiger Zeit auf einer Tagung gefragt. ‚Niko Seibold‘ könnte die Antwort sein. Mit seinem 17köpfigen ‚ElftonEnsemble’ geht er neue Wege mit einem ungewöhnlich instrumentierten Orchester.

"Grow With the Flow"

Den Flow kann man vielleicht selbst erfahren, schon beim ersten Anhören von ‚Rodère‘, dem ersten Stück des Albums. Die Musik ist eingängig, man gleitet förmlich dahin, doch nicht einförmig, sondern mit immer neuen Wendungen, die sich aus dem Spielfluss ergeben. Alles scheint selbstverständlich und gleichzeitig neu, 'flow' heißt fließen, 'alles fließt' meinten schon die alten Griechen. Um in einen ‚Flow‘ zu gelangen, muss man sich seinen Eindrücken überlassen, sich ein Stück verlieren. Doch diese Selbst- und Zeitvergessenheit erfordert die vollständige innere Aufmerksamkeit, die z. B. unter Alkoholeinfluss nicht gegeben ist.
"Grow With the Flow" heißt das neue Album und erinnert damit daran, dass der Flow kein passives Abhängen ist, sondern ein Prozess: 'Grow' bedeutet ja 'wachsen'. Kann das jeder Hörer so erfahren? Wohl nicht, denn es ist schon ein gewisser Grad an Aufmerksamkeit, aber auch an Musikverständnis erforderlich. Der Hörer darf dazu nicht unter-, aber auch nicht überfordert werden. Diese Marge dürfte bei den Hörern unterschiedlich sein und so auch erklären, warum die Vorlieben so unterschiedlich sind.

Das 14minütige ‚Rodère‘ hier in einer Kurzversion vom Jazzfestival Basel

Bei dem Konzert in Basel (s. o.) dürften auch die MusikerInnen im Flow gewesen sein. Doch in der Band ist der Flow keine individuelle Sache, er entsteht in der Gruppe und verlangt, besonders bei der Improvisation, viel: Die Internalisierung der Komposition, das Embodyment des eigenen Instruments, das intuitive Generieren von Klangfolgen und die Interaktion mit den anderen MusikerInnen. Geir Lysne, an dessen Musik mich Seibolds Album sofort erinnert hat, nannte sein Orchester schon vor 20 Jahren deshalb ‚Listening Ensemble’ (‚Korall’ 2003, ‚Boahjenasti – The North Star‘ 2006). Inzwischen ist er Chefdirigent der NDR Bigband.

Eintauchen in den Flow bedeutet nicht wie bei der Entspannungsmusik eingelullt zu werden und einer gleichbleibenden Klangkulisse ausgeliefert zu sein. Im Gegenteil, hier ist viel Bewegung drin. In Seibolds Ensemblie stehen die Instrumente abwechselnd im Vordergrund und treiben mit ihrer Dynamik den Spielfluss voran, im Wechsel mit ruhigen, eher sanften Passagen. Vibrafon und Harfe spielen eine besondere Rolle, auch weil Seibold auf ein Klavier verzichtet hat.
Seibolds Album umfasst sechs Stücke, vier davon sind sehr lang. Jedes Stück hat etwas Besonderes an sich. ‚While She Sleeps’ (12.35) beginnt mit einer Art Klangkulisse im Stil des Brasilianers Hermeto Pascoal und wird von einem Stöhnen begleitet. Beim zweiminütigen ‚Gonda Intro‘ singt Yi Jeon und trägt danach ein Gedicht der Schweizer Lyrikerin Luisa Famos vor, das von den Jahreszeiten handelt. Die Fortsetzung nach dem Intro mit ‚Gonda‘ bringt achteinhalb Minuten vielfältig changierende Musik, geprägt vor allem von Gesang und Violinen.
‚Tokyo Drifter‘ beginnt mit einem sinfonischen Intro, eine Melodie erinnert am Smetanas ‚Moldau‘, soll aber aus einem japanischen Filmklassiker von 1966 stammen. Gespielt wird sie von dem französischen Hornisten Alexandre Zanetta, mit E-Gitarren-Einlagen von Fabio Gouvea. Im folgenden wechselt das Tempo oft, Tango ähnliche Passagen sind zu hören, und immer wieder ist die Bassklarinette involviert, am Schlus ein fulminantes Tenorsaxophon-Solo von Fabian Willmann. Ein sehr interessantes Stück, das stellenweise auch an die 'Rhapsody in Blue' erinnert. Mit dem knapp eine Minute langen ‚Gecho‘ klingt in einer Art vokalem Cooldown der Flow aus.

Niko Seibold und das Elfton Ensemble

Der Saxophonist und Komponist Niko Seibold stammt aus Süddeutschland und ist mittlerweile in der Schweiz heimisch geworden. Er hat mit dem deutsch-tunesischen Kollektiv ‚Beyond Borders’, mit seinem ‚Quartett ‚Seibolzing‘ und mit der Gruppe des Bassisten Roberto Koch gespielt. Erfahrungen mit großen Ensembles hat er unter anderem bei der Produktion der ‚West Side Story Reimagined‘ und beim ‚Metropole Orkest‘ mit Vince Mendoza sammeln können.
Das Elfton Ensemble wurde 2022 von Niko Seibold in Basel gegründet. Das aktuelle Debut Album wurde produziert vom britischen Jazz-Star Django Bates und in Kooperation mit SRF2 Kultur aufgenommen. Die 17 Mitglieder des Ensembles stammen aus vielen Teilen der Welt und haben ihre musikalischen Wurzeln im Jazz und der Improvisierten Musik, in Klassik und Barock oder in der Folklore ihrer Herkunftsländer.
Viele Instrumente mit vielen Melodien sind in den Stücken zu finden. Niko Seibold hat alles selbst komponiert und arrangiert und spielt Alt- und Sopransaxophon,und Bassklarinette. Er berichtet:

„Ich habe über die Jahre festgestellt, dass das Komponieren für ganz bestimmte Charaktere mir am meisten liegt.“ .. "Ich liebe es, die Stärken und den Glanz von ganz verschiedenen MusikerInnen herauszustellen. Der Sound und die Spielart vieler Mitglieder der Band hatten einen entscheidenden Einfluss auf die Kompositionsphase.“

Das war wohl bei Duke Ellington ähnlich.Erstanlich ist auch der Name des ElftonEnsembles. 12 Töne hat haben die üblichen diatonischen Skalen, das ElftonEnsemble verzichtet nicht auf einen Ton, sondern macht mit dem Namen deutlich, dass es offen ist für kreative Entwicklungen, die über die bekannten Standards hinausgehen. Durch die passgenauen und aufeinander abgestimmten Kompositionen für die 17 MusikerInnen entsteht ein Gesamtkunstwerk, ein Sound, den man nicht an einzelnen Stücken, Musikern oder Instrumenten festmachen kann. Die Mischung, die Komposition verbunden mit dem zielgenauen Arrangement macht’s.

Ist man nach dem Flow nun gewachsen, wie der Titel verspricht? Sicher nicht in Zentimetern, doch das intuitive Hören hinterlässt Spuren und schafft Erinnerungen, die bei späterem Hören, Spielen oder gar Komponieren anderer Musik eine Rolle spielen können.


Niko Seibold’s Elfton Ensemble - Grow With The Flow
Hout Records HR050
Vertrieb: The Orchard / Radicalis Music
VÖ: 1.3.2024

https://nikoseibold.bandcamp.com/album/grow-with-the-flow-2

Anne-Lise Teruel (Flöten)
Simon Spiess (Tenorsaxophon, Bassklarinette)
Fabian Willmann (Tenorsaxophon, Bassklarinette)
Alexandre Zanetta (Horn)
Raphael Rossé (Posaune, Euphonium)
Òscar Latorre (Trompete)
Vincent Millioud (Violine)
Baptiste van de Wiele (Violine)
Güldeste Mamaç (Viola)
Ambrosius Huber (Violoncello)
Esther Sévérac (Harfe)
Fabio Gouvea (Akustik- und E-Gitarre)
Jim Hart (Vibraphon, Percussion)
Jérémie Krüttli (Kontra und E-Bass)
Paulo Almeida (Schlagzeug)
Song Yi Jeon (Gesang)
Niko Seibold (Kompositionen & Arrangements, Alt- und Sopransaxophon, Bassklarinette)

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