LUISE VOLKMANN
RITES DE PASSAGE
TEXT: Stefan Pieper |
Luise Volkmann denkt groß, performt emotional und konzipiert komplex. Nicht weit entfernt, die gesellschaftliche und menschliche Vision. Schon sehr früh war bei der gebürtigen Bielefelderin der Weg als Bandleaderin vorgezeichnet. Stillstand und Mittelmaß sind ein Fremdwort geblieben. Dass sie bei ihrem aktuellen Album-Projekt „Rites de Passage“ schon wieder die nächste Stufe zündet, wird dadurch deutlich, dass sie zum ersten Mal ein Release nur unter eigenem Namen publiziert hat. Und das, obwohl hier (wieder mal) nicht weniger als 21 Ausführende aus diversen Ländern aufgeboten wurden. Fazit vorweg: Das Resultat ist in bestem Sinne „Neue Musik“.
Man braucht kaum betonen, dass hier jede Form von „Gefälligkeit“ ein Fremdwort ist. Ebenso werfen Titel wie „Bernsteinzimmer rework“, „Das Meer voller Kinder“ oder „Fünfstimmige Bitte“ mehr Fragen auf, als dass vorgefertigte Schablonen auch nur im Entferntesten bedient werden. Ästhetischer Widerstand als selbstbestimmter Ausweg aus der unmündigen Versklavung durch das Gewohnte?
Tore zum Unterbewusstsein
Vertrautes und Fernes reagiert miteinander in diesem erstaunlichen Geflecht. Zu Anfang und auch im späteren Verlauf hebt immer wieder der Leipziger Tenorsänger Patrick Grahl kunstvoll zu so etwas wie Arie, aber auch Rezitativ oder manchmal theatralischem Sprechgesang an. Umgeben ist so etwas von freier Improvisation, Expressionismus, Musique Concrète, Dark Ambient, Klangfarbenmelodien, perkussiven Gesten. Und von vielem mehr, für das es keine Begriffe gibt. Aber dafür umso mehr Tore zum Unterbewusstsein öffnet.
Verblüffend ist die Tatsache, dass die Stücke für dieses Album zu verschiedenen Zeitpunkten in wechselnden Besetzungen aufgenommen wurden. Luise Volkmann , die selbst beim Altsaxofon bleibt, tobt sich in komplex geschichteten Instrumentierungen aus. Viele Streicher machen dabei mit. Aber nicht irgendwelche, sondern vor allem das in der zeitgenössischen Klassik hoch gefragte amerikanische JACK Quartet, auf dessen akustische Randbereichs-Erkundungen hier absolut Verlass ist. Aber auch Posaune (Shannon Barnett), Schlagwerk (Dominik Mahnig und Jonas Albrecht), exotisch mäandernde Quer- und Blockflöten und ebenso – das ist neu bei Luise Volkmann s Projekten - ein ausgefuchstes Set aus Elektronik. Grollende, wabernde Drones färben das Spektrum dunkel, um neue, obskure Räume zu eröffnen.
Schönheit, die sich hintenrum erschließt
Jeder der sich auf das Experiment dieses Albums einlässt, kann ermutigt werden, das Hören öfter zu wiederholen. Jedes Mal erschließt sich mehr. Auch offenbaren sich Momente von sinnlicher Schönheit: Wie ein warmer Regen wirkt es, wenn die Streicher ihre Bögen auf die Saiten und Griffbretter ihrer hohen und tieferen Instrumente prasseln lassen. Zukunftsrituale brauchen Wohlfühl-Effekte ...