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Enrico Rava Quartet w/ Gianluca Petrella

‚Wild Dance’

Bochum, 12.09.2015
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | 

Schon die ersten Takte von Diva, dem ersten Stück auf der neuen CD Wild Dance vom Enrica Rava Quartett, lassen unschwer auf den italienischen Altmeister an der Trompete schließen: Die Dialoge zwischen dem melancholischen Ton Ravas mit der ebenso klingenden Gitarre, die mit wenigen Akkorden auskommt, kennt man als akustisches Markenzeichen Ravas seit seinem Zusammenspiel mit John Abercrombie in den 1970er Jahren. Neben der Gitarre als einzigem Akkordinstrument finden sich auf der CD Wild Dance weitere Rava-typische Merkmale: Seine Vorliebe für den Parallelsound von Trompete und Posaune sind einem aus den Tagen seiner Zusammenarbeit mit Roswell Rudd vor über 40 Jahren bekannt. Auf der aktuellen CD übernimmt diesen Part und damit als Erweiterung des Rava-Quartetts Gianluca Petrella – auch er hat mit Rava wie z.B. bei seiner CD Easy Living zusammen musiziert. Auch ist es für Rava typisch, junge Talente ins Boot zu holen, der Pianist Stefano Bollani ist das vielleicht bekannteste Beispiel dieser Talentschmiede, auf der CD komplettieren Francesco Diodati an der bereits erwähnten Gitarre, am Bass Gabriele Evangelista und Enrico Morello an den Drums das Mehr-Generationen-Quartett.

Ja sicher, die zwölf Tracks auf Wild Dance ergeben keine wirkliche musikalische Neuentdeckung, drei frühere Rava-Stücke (Diva, Infant und das melodieselige Overboard aus den 1990er Jahren) sind auf ausdrücklichen Wunsch der jungen Quartett-Mitglieder in den neuen Reigen aufgenommen. Diva gibt dann auch eine entspannte Einstimmung auf den mood, der für die ganze CD repräsentativ ist. Die CD atmet eine große Relaxtheit, ob im meditativen Space Girl oder in der schwermütigen Ballade Sola, aber auch in den pulsierenden Up-Tempo-Nummern wie Cornette oder dem hektischen Bebop Happy Shades. Rava ist nicht nur mit seinem Miles-orientierten Ton tief verwurzelt in der Jazztradition, davon zeugen auch seine Reminiszenzen an Ornette Coleman (Cornette (!), Infant) oder Monkitos mit seinem geradezu „Jazz-klassischen“ Sound, der an Bob Brookmeyer erinnert, oder das Schlussstück und der energetische Höhepunkt Frogs mit seiner stark rhythmischen, fast funkigen Ausrichtung.

Bewundernswert ist, wie es Rava und seinen Mitstreitern gelingt, diese scheinbar gegensätzlichen Traditionslinien zusammenzubringen und so einen ganz eigenen Sound zu kreieren, eine Aura der entspannten und dabei klar konturierten Melancholie, die in ihrem italienischen Gewand immer auch eine vital-aufständische Komponente birgt. Von den Free-Wurzeln hat sich Rava dabei trotz der genannten Bezüge zur Tradition weitgehend entfernt, Wild Dance ist voll von sangbaren Lyrismen, von vielfältigen An-Klängen an italienische canzone-Weisen, von einem Nachhall an intimer, ja: heiterer Traurigkeit. Das relativ kurze titelgebende Stück – übrigens eher meditativ als wild - zeigt beispielhaft für die gesamte CD eine dichte Verdoppelung der Bläserstimme durch Enrico Rava und Gianluca Petrella: Trompete und Posaune sind mal symbiotisch gleichlaufend, mal ein wenig versetzt, mal gegenseitig dialogisch umspielend, mal in einen solierenden Höhenflug ausbrechend. Die Youngster-Musiker geben sich insgesamt eher zurückhaltend, sie fügen dem bekannten Rava’schen Klangkosmos keine wirklich neuen Impulse bei, nahtlos fügen sie sich in das flüssige Zusammenspiel mit den unterschiedlichen musikalischen Idiomen ein. Da kann man es fast gar nicht glauben, dass alle so rund und reif klingenden Stücke der CD in nur einer Aufnahme entstanden sind.

In großen Teilen ist Wild Dance mit seiner balladesken Melancholie von einer – man ist geneigt zu sagen: - Rava-nostalgischen Patina geprägt, dem Quartett mit den drei Jungmusikern und Gianluca Petrella gelingt eine lyrisch-meditative Neuauflage mit hohem Suchtrisiko für uns Zuhörer.

S. auch die Besprechung vom Rava-Auftritt beim Sommerton-Festival www.nrwjazz.net/reviews/2015/Sommerton_2015/

Enrico Rava Quartet w/ Gianluca Petrella Wild Dance

ECM 2456 473 2228

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