'destination unknown'
Die Zukunft des Jazz
TEXT: Heinz Schlinkert |
Unter dem Thema 'Destination Unknown: Die Zukunft des Jazz' fand vom 27. bis 30. September 2023 das 18. Darmstädter Jazzforum statt. Das Jazzinstitut Darmstadt führt seit 1989 alle zwei Jahre solche Tagungen durch. Die Mitschriften liegen nun in Buchform vor.
Wolfram Knauer und die Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung
17 der 18 Bände der Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung hat Wolfram Knauer als Leiter des Jazzinstituts Darmstadt herausgeben. Zu den Tagungen gehören auch Konzerte, die als Teil des Diskurses mit anderen Mitteln konzipiert sind. In den letzten Jahren wurden sehr interessante Bände zu Themen wie
'Diversity in Jazz‘ und ‚POSITIONEN! Jazz und Politik‘ veröffentlicht. Da Wolfram Knauer vor kurzem in den Ruhestand getreten ist, werden die nächsten Konferenzen von seiner Nachfolgerin Bettina Bohle durchgeführt, die diesmal auch einen Redebeitrag beisteuerte.
Destination Unknown?
'Destination Unknown: Die Zukunft des Jazz' – das hört sich sehr interessant an. Vielleicht überlegt man selbst erst einmal, was da alles zugehört: ‚Beyond Jazz‘, Schnittmengen mit ‚Neuer Musik‘? Ist die Jazzrausch Bigband zukunftsweisend, weil sie konträre Genres wie Jazz und Techno kombiniert? Wie geht es mit der elektronischen Musik weiter, was kommt nach Samplern und Loopern? Und an der Digitalisierung geht kein Weg vorbei, was könnte KI für den Jazz bedeuten, der doch von Improvisation lebt? Doch all davon – kein Wort.
„Wie klingt der Jazz der Zukunft?“ war die Ausgangsfrage dieser Tagung und es ist schon erstaunlich, wie die meisten ReferentInnen dieser Konferenz drei Tage lang an dem eigentlichen Thema vorbeiredeten. Vieles liest man über den Begriff Jazz, auch über Jazzgeschichte, und immer wieder hofft man, dass das Referat endlich den Bogen zur Fragestellung schlägt, meist vergeblich. Bei vielen Texten muss man sich die relevanten Stellen, sofern vorhanden, wie Rosinen aus dem Kuchen heraussuchen.
13 Referate – 3 Panels
Einige Texte beziehen sich auf den Begriff Jazz. Klar, dass man eigentlich erstmal Jazz definieren müsste, um über dessen Zukunft zu sprechen. Doch das ist ein altes Thema, über das schon viel geschrieben wurde und dem hier sehr viel Platz eingeräumt wird. Sehr interessant sind allerdings die Ausführungen von Bettina Bohle (Genre & Jazz – Eine sprachpragmatische Annäherung an eine hitzige Diskussion), die aus der Historie heraus und mit Bezug auf Wittgenstein einen pragmatischen Jazzbegriff entwickelt, der zukunftsweisend sein könnte.
Niels Klein
berichtet, dass das BundesJazzOrchester den Wettbewerb ‚Zukunftsmusik‘ ausgeschrieben hat. Die ‚Zukunft‘ bezieht sich dabei auf das Alter der jungen Komponisten. Ob dabei das Bigband-Format aber wirklich zukunftsweisend ist, wird selbst in diesem Gespräch mit Jorik Bergman bezweifelt.
Harald Kisiedu spricht in ‚“JAZZ IS DEAD”: Überlegungen zu einer gar nicht mal so neuen Idee’ immerhin das Tagungsthema an. Ausgehend von dem gleichnamigen Song aus dem Album „Love Quantum“ (2022) von Theo Croker setzt Kiesidu zu einem Rundumschlag an. Er interpretiert den Song als „radikale Kritik an der Institutionalisierung der Vermittlung des Wissens über ´Jazz´und des Umgangs mit diesem im Kontext von Hochschulen“ und als „eine fundamentale Zurückweisung weißer Deutungshoheit im Hinblick auf ´Jazz´“. Jazz kommt nur in Anführungszeichen vor. Crokers Song wird gefeiert als „Feier, die von der eschatologischen Hoffnung getragen ist, dass der Tod des ´Jazz´ eine unerlässliche Voraussetzung für das eigentliche Leben nach dem Tod darstellt, der selbstbestimmte Musik somit erst ermöglicht.“. (S. 36)
Aber klar scheint immerhin: Wenn der Jazz tot ist, kann er keine Zukunft haben. Doch wie kann Kiesidu dann als weißer Lehrbeauftragter für Jazzgeschichte und Musikwissenschaft am der Hochschule Osnabrück arbeiten?
Der Begriff ‚PostGenre‘ blitzt ab und zu in den Texten auf. Doch welche Rolle spielt dabei Crossover, wären hier die Vermischung von Gypsy Jazz, Flamenco und Latin oder sogar die Jazzrausch Bigband interessant, was ergibt sich daraus für die Zukunft? Wieder – kein Wort.
Panels sind ein fester Bestandteil dieser Tagungen, bei denen kleine Gruppen Gespräche führen. Im Panel 1 ‚Jazz – aber für wen eigentlich?‘ geht es um Klassismus und Diskriminierung und mangelnde Ressourcen. Doch was bedeutet das für die Zukunft? Im 2. Panel geht es um Jazzförderung, im 3. Panel ‚Es geht ums Ganze‘, an dem auch Jan Klare teilnimmt, um Jazz und Politik.
Auch eine Musikerin aus der Ukraine ist dabei, die gegen Ende den vielleicht besten Satz der Tagung spricht: „Macht einfach so weiter. Ich bewundere die Strukturen hierzulande. Das ist, ehrlich gesagt, mein Traum für die Ukraine nach dem Krieg.“ (S.250)
‚Si tacuisses, ….‘
philosophus mansisses‘ – dieses lateinische Sprichwort ('Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben') fällt einem nicht gerade zufällig ein, z. B. wenn Frank Gratkowski sein Referat mit folgenden Worten einleitet: „Nach unzähligen gescheiterten Versuchen meine Gedanken zu dem Thema in eine vernünftige Ordnung zu bringen … entschlossen, ein recht willkürliches Sammelsurium an Gedankensplittern zu präsentieren …“ (S. 141). Das ist zwar ehrlich, aber weder professionell noch hilfreich, vor allem wenn keiner dieser Splitter thematisch relevant ist.
Uli Kempendorff ('Exit from the Nineties’) benutzt das Forum, um seinen negativen Erfahrungen an einer Hochschule in einer Art Generalabrechnung detailliert darzustellen und diese zu verallgemeinern. Und überhaupt finden sich viele Klagen über die Jazz-Ausbildung, obwohl viele Referenten ja selbst an deutschen Hochschulen studiert haben oder dort selbst lehren.
Fazit
Schon immer gab es abschweifende Redebeiträge beim Jazzforum, das gehört in gewissem Maße dazu. Doch diesmal bleibt am Ende ein schaler Nachgeschmack. Sicher sind manche Referate interessant und sicher kann man viele Aussagen irgendwie auf das Tagungsthema beziehen, doch einen stringente thematische Ausrichtung fehlt. Aber es kann doch nicht ausreichen Zukunft hauptsächlich über die Unzulänglichkeiten der Gegenwart zu definieren, die dann nur noch behoben werden müssen. Bei einigen ReferentInnen entsteht der Eindruck, dass sie die Tagung als Bühne zur Selbstdarstellung nutzen. Persönliche Erfahrungen haben viel Spielraum, manchmal fast schon selbstverliebt oder auch unverhältnismäßig ausführlich wird manchmal referiert. So berichtet Teresa Becker auf 30 Seiten mit langen, oft fast unverständlichen Sätzen von ihrer Untersuchung über die ‚Rolle und Funktion von Musiker:innen in der Nachhaltigkeitskommunikation‘. Ihre Panel-Befragung von 12 MusikerInnen kommt zu dem mageren Ergebnis, dass „anknüpfende Forschungsprojekte .. unter anderem auf Medienwirkungsphänomene der Nachhaltigkeitskommunikation von Musiker:innen eingehen (sollten), um den Einfluss der Nachhaltigkeitskommunikation von Musiker:innen auf die Rezipierenden nachvollziehen zu können“. (S. 189)
So könnte der Titel ‚destination unknown‘ auch auf einige ReferentInnen bezogen werden, die die ‚destination‘ der Tagung aus dem Auge verloren haben.
Hat sich vielleicht das Konzept dieser Tagungen überlebt oder hat man nur die falschen ReferentInnen? Vielleicht müsste man mehr Vorgaben machen statt Skripte zu einer abstrakten Fragestellung einzufordern? Der neuen Leiterin des Jazzinstituts wünschen wir viel Erfolg für die nächsten Foren.
Wolfram Knauer (Hg.) Destination Unknown. Die Zukunft des Jazz
Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung Band 18
Jazzinstitut Darmstadt, Wolke Verlag 2024