Bild für Beitrag: Daniel Erdmann | A Short Moment of Zero G

Daniel Erdmann

A Short Moment of Zero G

Bochum, 24.12.2016
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | 

Eine ungewöhnliche Trio-Besetzung weist die neue Gruppierung ‚Velvet Revolution’ des Saxophonisten Daniel Erdmann auf: Zu ihm gesellen sich der Violinist Théo Ceccaldi und Jim Hart am Vibraphon. Auch diese Gruppe des sich in der Berliner wie Pariser Szene gleichermaßen tummelnden und bestens vernetzten Saxophonisten und Komponisten ist wieder „europäisch“ - wie bereits sein Trio ‚Das Kapital’ mit dem französischen Drummer Edward Perraud und dem dänischen Gitarristen Hasse Poulsen mit ihren herausragenden Hanns Eisler-Bearbeitungen (s. Konzert-Review von einem Weihnachtskonzert vor drei Jahren im Dortmunder domicil). Ein gewisser politischer Bezugsrahmen, sicher auch ein Statement, ist ebenfalls in dem Namen seines neuen Trios zu sehen: Mit der „Samtenen Revolution“ wurde der gewaltfreie Übergang der Tschechoslowakei vom Realsozialismus zur Demokratie Ende 1989 bezeichnet. Die politische Aussage von Musik ist jedoch schwer konstruierbar, „revolutionär“ ist die Musik der CD von ‚Velvet Revolution’ mit dem Titel A short moment of zero g sicherlich nicht, was ja auch ein ausgesprochen schwierig umzusetzender Anspruch im Jazz wäre, in einer Musikgattung, der der „revolutionäre“ Impetus, der Wunsch nach Unverwechselbarkeit und Avantgardismus zwar immanent, aber mittlerweile nur allzu schwer zu realisieren ist.

Beim ersten Hören wirken die meisten der elf Stücke der CD auch eher „traditionell“, beim weiteren erschließt sich ein äußerst raffinierter Umgang mit (jazz-)traditionellen Elementen, die in einer oft betörenden Kammermusik zu etwas Neuem und Eigenem transformiert werden. Im Vordergrund stehen dabei melodische Elemente, im Trio kunstvoll miteinander verwoben, der songhafte Gestus ist auf der CD vorherrschend.

Der Opener A Pair of Lost Kites Hurrying Towards Heaven - ein Truman-Capote-Zitat - erinnert an Eisler- oder Tom Waits-Songs, ‚Velvet Revolution’ arbeitet mit einer fast lieblichen Melodie, vom Vibraphon und der Violine vorgetragen, um vom Tenorsax aufgenommen und phantasievoll umspielt zu werden. Oder Quand j’étais petit je rêvais d’être pauvre wiederholt eine einfache Melodie im Duktus der Sentenz und erreicht dadurch eine subtile Eindringlichkeit. Zwei Titel knüpfen an biographische Episoden von Daniel Erdmann an: Das beschwingte Les agnettes spielt auf die U-Bahn-Station der Pariser Métro an, an der der Musiker ausstieg, wenn er den Schlagzeuger Christophe Marguet zum Probentreffen besuchte, Les frigos an ein ehemaliges Kühllager in einem graffiti-übersäten Altbau in Paris, der heute inmitten von chic-aufgemotzten Bürogebäuden Proberäume und Ateliers beherbergt. Bei dem Titel handelt es sich um ein von Théo Ceccaldi intoniertes Klagelied, dessen Thema Erdmann übernimmt und in ein ergreifend geblasenes Solo überträgt. Im Titel Swing für Europa findet sich ein bluesig-schneller musikalischer Kommentar zur aktuellen politischen Entwicklung. Try to Run kommt mit „jazzigem“ Rhythmus daher, geheimnisvoll mystische Vibraphon-Klänge verbinden sich mit lang gehaltenen Violinen- und Saxophon-Tönen. Eine kecke Rumpelstilzchen-Weise bildet mit Still a Rat den Abschluss des Reigens. Der Titelsong a short moment of zero g lebt in der Tat in gewisser Weise von der zeitweisen Abwesenheit der Gravitationskraft, die Musik des Trios „schwebt“, es entwickelt sich eine wunderbare akustische Tinguely-Skulptur.

Die beschwingte Schwerelosigkeit kennzeichnet die gesamte CD, sie wird gewissermaßen geerdet durch Daniel Erdmanns expressives Saxophon-Spiel. Ihm ist der kräftig-zupackende Ton auf dem Tenor zu eigen, der DNA-Spuren der Ur-Väter des Instruments, Coleman Hawkins und Ben Webster, aufweist und in seiner melodiösen Phrasierung an Albert Ayler erinnert. Sein macht- und druckvolles Spiel scheut sich nicht vor Läufen in rasanten Tempi und Glissandi bis zum explosiv geblasenen tiefen B, seine voluminös-sonorige Stimme zeigt ein feines Gespür für Nuancierungen. Indem das Melodische mit intensiv geblasenen Linien betont und harmonisch-rhythmisch verziert wird, erreicht Daniel Erdmann mit seinem Horn ein zum Teil bluesiges Spiel und ein ausdrucksstarkes Timbre mit viel „Soul“-Expressivität. Dieser vitale Impetus ist bei den liedhaften Stücken eingekleidet in eine „samtene“ Sensibilität des gesamten Trios. Théo Ceccaldi bringt Elemente des französischen Swings und der String-Tradition ein, äußerst dezent verteilt er seine Saitentöne. Jim Hart erzeugt gerade in den höheren Lagen sphärische Klangräume, sein Vibraphon gibt den Kompositionen den rhythmischen Akzent. Ein mit 44 Minuten Gesamtlänge kein ganz kurzer Moment überaus gelungenen Musizierens, auf jeden Fall ein Glücksmoment.

Daniel Erdmann’s Velvet Revolution Featuring Théo Ceccaldi & Jim Hart: A Short Moment of Zero G. BMC CD 239

Suche