Athina Kontou
Tzivaeri
TEXT: Stefan Pieper |
Mit dem Album "Tzivaeri" und ihrer Band "Mother" legt die deutsch-griechische Bassistin Athina Kontou die musikkulturellen Wurzeln ihrer Heimat offen – was einer aufwühlenden Reise in weitgehend unentdecktes Terrain gleichkommt.
Bei der lobenswerten Einbeziehung verschiedener Länderkulturen und Tradition in den Jazz besteht nach wie vor eine gewisse Ungleichheit: Gut vertreten ist zum Beispiel alles nahöstliche, ebenso alles, was aus Lateinamerika oder etwa aus diversen osteuropäischen Ländern kommt. Aber Griechenland?
Das Album „Tzivaeri“ füllt mit beschwingter Spielfreude und in gutölter Band-Chemie noch bestehende weiße Flecken auf der musikalischen Landkarte aus. Denn Athina Kontou (Bass), Luise Volkmann (Saxofon), Lucas Leidinger (Piano), Dominik Mahnig (Drums) sowie als Gastmusiker Epaminondas Ladas (Oud und Bouzouki) sowie Koray Berat Sari (Lavta) haben sich vieler überlieferter Lieder aus der Heimat von Athina Kontous Vorfahren angenommen.
Etwa ein Volkslied vom Dodekanes, in dem es um Auswanderung geht und um die Trauer einer Mutter, die ihr Kind vermisst. Neben traditionellen Songs runden auch populäre zeitgenössische Lieder das sorgsam ausgeforschte Spektrum ab. Und ja, gewachsene Musiktradition ignoniert meist politische oder ideologische Grenzen. So haben einige Songs auch armenische oder türkische Wurzeln, wie Athina Kontou bei ihren Quellen-Recherchen für dieses Projekt feststellte. Die empfindsame Melodik dieser Stücke rangiert auf einem spannenden Grat zwischen Osteuropa und Orient – so etwas gibt den spielfreudigen Arrangements hier unablässig Nahrung. Kein Wunder, modale improvisatorische Strukturen gibt es ja nicht nur im zeitgenössischen Jazz, sondern ebenso in der griechischen Musiktradition. Bei aller Improvisierlust lässt die Band aber die Spannungsbögen der Originale leben und das ist gut so.
Bei den wild drauflos tanzenden Rhythmen ist jeder Versuch, die unregelmäßigen Metren „zahlenmäßig“ zu definieren, schnell vergeblich. Schlagzeuger Dominik Mahnig ist hier in seinem Element. Bassistin Athina Kontou hält die Band mit einem kraftvoll im Raum stehenden Ton zusammen, so wie es ihr auch in viel größere Besetzungen, etwa Ete Large stets souverän gelingt. Ähnlich verstärkend und bereichernd wirkt sich das Klavierspiel von Lucas Leidinger aus, um dem überlieferten musikalischen Material melodisch und harmonisch eine neue Zuflucht zu geben. Für atmosphärisches Kolorit sorgen die feinen Arabesken auf Oud, Bouzouki und der höher klingenden Luvta.
Luise Volkmann auf Sopran- und Altsaxofon wächst hier und auch in den getrageneer Passagen dieser Musik mal wieder über sich hinaus: Ihre solistischen Parts in ausgesuchten Momenten dieses Albums begeistern durch viel gestalterische Konsequenz, mit der sich die Saxofonistin aus Bielefeld tief verstehend in diese Klangwelt hinein begibt. So bekommen die Lieder, welche diesem Album zugrunde liegen, eine leidenschaftliche Stimme, die schon so vieles unmittelbar sagt, ohne dass man die Texte kennen muss. Was natürlich auch spannend wäre…
Athina Kontou - Mother
Tzivaeri
nWog Rec 046 / LC 77779 / 0042706597644 / Vertrieb: Indigo
VÖ: 22.08.2022