Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“

Three Wise Men

„jazzin’ europe“

Bochum, 10.07.2024
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Reiner Skubowius

Jazz Standards sind auf vielen Konzerten zu hören, wobei es sich meist um Stücke aus dem ‚Great American Songbook‘ handelt. Frank Roberscheuten, Rossano Sportiello und Martin Breinschmid haben es sich als ‚3 Wise Men‘ zur Aufgabe gemacht, Stücke aus der europäischen Musiktradition zu spielen ohne dem Jazz untreu zu werden.

Neue Jazzreihe „jazzin’ europe“

Dieses Konzert ist die Auftaktveranstaltung zur neuen Jazzreihe des Bochumer Kulturrats. Es findet nicht im Kulturrat in Gerthe statt, sondern im Kunstmuseum Bochum, das viel mehr Plätze bietet. Die Reihe läuft in Kooperation mit der „Kulturlinie.ruhr“. Zwei junge VertreterInnen dieser Kulturinitiative, die auch Musik in den Bochumer Straßenbahnen organisiert, erklären, wie es zur neuen Reihe „jazzin’ europe“ gekommen ist.
Doch was hat Europa zu bieten, wenn der Jazz doch in den USA entstanden ist? Heutzutage komponieren viele akademisch ausgebildete Jazzer ihr eigenen Stücke, doch europäische Swing Standards gibt es kaum. Jacques Louissier, der vor 5 Jahren verstorben ist, hat schon in den 1960er Jahren Stücke von Bach verjazzt, später auch Stücke von Satie, Ravel und Debussy u. a. So hat auch Frank Roberscheuten auf Klassiker zurückgegriffen und für sein Trio Musik von Verdi, Lehár, Chopin, Brahms, Rachmaninow, Bach und Beethoven als Swing arrangiert.

3 Wise Men

Diese ‚3 Weisen‘ kommen nicht aus dem Morgenland, sondern aus drei europäischen Ländern. Seit 17 Jahren spielen sie schon zusammen, seit 2010 touren sie jährlich durch Europa. ‚Weise‘ mögen sie sein in Bezug auf musikalische Erfahrung, doch im Rentenalter sind sie noch nicht angekommen.
Der Niederländer Frank Roberscheuten leitet die Band, arrangiert die Stücke und spielt Klarinette, Alt- und Tenorsaxofon. Als ‚alter Hase‘ des europäischen Jazz spielte und spielt er bei vielen wichtigen Jazzfestivals Europas wie z. B. dem Montreux Jazz Festival. 2016 erhielt er die Auszeichnung - wie vorher Chris Hopkins -  als ‚Keeper Of The Flame‘ für seinen 40jährigen Einsatz für den traditionellen Jazz in Europa. Frank ist auch ‚musical director‘ der beiden jährlich stattfindenden Workshops ‚International Classic Jazz Workshop‘ (Ascona CH) und Jazz’n July (Eindhoven NL).
Der italienische Swing-Pianist Rossano Sportiello kommt aus Milano, wohnt aber schon lange in New York. Sein Soloalbum ‚Piano On My Mind‘ (2005) erhielt den ‚Prix du Jazz Classique der Académie du Jazz‘. Sein Italian-Medley und sein Solo Feature zu Chopin im heutigen Konzert zeigen seine außerordentlichen Fähigkeiten als Pianist.
Der Wiener Schlagzeuger Martin Breinschmid ist seit 1988 Mitglied des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien. Daneben leitet er sein eigenes Jazz-Quartett. Bei Auftritten von Dave Brubeck in Wien spielte er Vibraphon. Heute überrascht er immer wieder mit Soloeinlagen, vor allem wenn er sich von den Drums abwendet, auf seinem klappbaren Xylophon spielt und mit anderen Materialien agiert. Seine Situationskomik, z. B. wenn er beim Spielen verbissen umherblickt, erinnert an seinen Drummer-Kollegen Frits Landesbergen, der erst vor kurzem bei Chris Hopkins in der Kemnade auftrat.

„European Songbook“

Stücke aus Italien, Deutschland, Russland, Österreich, Polen, Frankreich, Großbritannien und aus den  Niederlanden sind zu hören. Interessant ist die Auswahl der Klassiker. Der russische Komponist Sergej Rachmaninow ist dabei mit seinem 2. Klavierkonzert (1901). Auf dem Thema des 2. Satzes basierte Eric Carmen's Song ‚All By Myself‘ (1975), den dann Sinatra und auch Dylan erfolgreich coverten. Da haben die Amerikaner mal europäische Musik gecovert. Frank improvisiert über die klassische Vorlage recht launig, zieht die Töne auch mal gerne lang ähnlich wie Jan Harbeck. ‚Chopin-Jazz’ spielt später Rossano Sportiello mit einem langen anspruchsvollen Solo Feature am Piano, das er spontan improvisiert, denn Frank erzählt vorher, dass er auch nicht weiß, was nun kommt.

Einer der Höhepunkte des Konzerts ist das Lied ‚Guten Abend gut Nacht‘ von Johannes Brahms, das hier aber ganz und gar nicht als Schlaflied rüberkommt. Im Gegenteil. Nach einer improvisierten Lautmalerei schlägt Martin Breinschmid kleine Glocken an, die sich fürs Publikum unsichtbar im Flügel befinden, und das Lied von Brahms erklingt. Piano und AltSax schließen sich an und dann geht die ruhige Melodie in eine forsche Rock’n Roll-Session mit einem langen Solo von Frank über. Bochum ist zwar nicht Newport, doch diese Improvisation erinnert stark an den Tenorsaxofonisten Paul Gonsalves, dem Frank Roberscheuten auch von der Statur her ähnlich sieht. Gonsalves spielte 1956 in der Band Duke Ellington's beim Newport Festival, er begeisterte mit einem sensationellen Solo das Publikum und trug damit maßgeblich zum Comeback der Ellington Band bei. Das Bochumer Publikum im Kunstmuseum ist begeistert von der Version der '3 Wise Men', standing ovations, lang anhaltender Beifall!

Aus dem Bereich Operette/Film sind dabei ‚Wenn Der Weiße Flieder Wieder Blüht‘ aus dem gleichnamigen Film, das ‚Vilja Lied‘ von Lehár aus der ‚Lustigen Witwe‘ und ‚Bei mir bist du schön‘, ein Song mit jiddischer Herkunft, der 1932 mit den Andrew Sisters weltweit bekannt wurde. Bei diesem Stück stellt nach Franks Klarinetten-Solo vor allem Martin Breinschmid sein Können unter Beweis. Ähnlich wie Joe Morello aus der Brubeck Band spielt er Melodien auf den Drums, manchmal auch jede Note synchron mit dem Pianisten. Getoppt wird das Ganze durch sein Spiel auf einer in Reihe aufgestellten, unterschiedlich gefüllten Flaschen, die er auf sein Xylophon gestellt hat. Aus seiner Improvisation entwickelt sich eine Dynamik, die von der Band aufgenommen und zu einem fulminanten Ende geführt wird.

Beethoven und ‚John Brown‘s Body’

Als Zugabe hören wir Beethovens ‚Ode an die Freude‘, die ja auch die Hymne der Europäischen Union ist. Sehr melodiös, ruhig, friedlich, erhebend. Doch dann setzt das Snare ein mit einem sehr militärisch klingenden Marschrhythmus. Frank singt später dazu und fordert zum Mitsingen auf „Glory, Glory, Hallelujah’. Doch das Stück heißt eigentlich ‚John Brown‘s Body’, es stammt aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg und ist heute die Hymne der US Armee. Wie passt das zu der friedlichen Ode von Beethoven?
Gar nicht, aber wenn man diese Zusammenhänge nicht kennt oder einfach ausblendet, kann man sich auf „Glory, Glory, Hallelujah’ als positive Botschaft konzentrieren, mit der nun der Bogen zur US amerikanischen ‚Jazz-Verwandtschaft‘ geschlagen wird. Das Publikum ist total begeistert, wieder standing ovations für eine Band, die hochvirtuos spielt und immer wieder für neue Überraschungen gesorgt hat.
Es wäre noch viel zu berichten, von anderen Stücken wie ‚Denk Je Nog Aan Died Tijd‘ des Holländers Jaap Vanderhoff und das englische ‚It‘s Long Way To Tipperary’. Außerordentlich auch, wie leise Frank auf dem TenorSax spielen kann. Doch all das würde hier zu weit führen, vieles davon findet sich auf der CD des Trios. Auf dem Cover stehen die drei Musiker auf den Tasten eines riesigen Klaviers, wohl eine Montage. (s.u.) Ob die Vorlage dazu das Foto von George Gershwin und Paul Whiteman's Orchester war, die auf einer gigantischen Flügelattrappe sitzen? (s.u. rechts unten CD Cover der Three Wise Men und ein Foto von der Attrappe Whitemans)

Die besondere Leistung der Band besteht darin, amerikanisches Swing-Feeling mit der europäischen klassischen Musik verbunden zu haben. Die europäische klassische Musik mit Dur-Moll-Präferenz, sehr melodisch und rhythmisch geordnet mit wenigen Spielräumen für die ausführenden Musiker – dagegen der US Jazz mit viel Improvisation, eher ‚wild’, reich an Rhythmen, Synkopen und ungeraden Takten. In Franks Arrangements stehen diese eher gegensätzlichen Musikarten nicht additiv nebeneinander, sondern werden symbiotisch verbunden. Ein gelungenes Format, von dem sich viele ein Scheibe abschneiden können.


Die anderen Konzerte in der Reihe „jazzin’ europe“ finden wie gewohnt im Bochumer Kulturrat in Bochum-Gerthe statt:
24.8.: Romani Weiss Swingtett (europ. Sinti-Jazz)
31.8.: Ganna (modern World Music, Ukraine)
21.9.: Schroer, Bektas, Nebel (Orient trifft Europa)

https://bochumerkulturrat.de/veranstaltungen/musik


Am 27. Oktober spielen Frank Roberscheuten (Saxofon), Rossano Sportiello (Klavier), Edwin Corzilius (Kontrabass) und Frits Landesbergen (Schlagzeug) um 12 Uhr in Dorsten.

Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Bild für Beitrag: Three Wise Men | „jazzin’ europe“
Suche