Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt

Moers Festival 2020

Live aus der Halle gestreamt

Moers, 05.06.2020
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Das Moers Festival hat erfolgreich stattgefunden, aber eben anders als bisher. In Corona Zeiten sind Großveranstaltungen nicht erlaubt. So sind alle Festivals ausgefallen, außer Moers. Es war ein gewagtes Projekt von Tim Isfort und seinem Team, Musiker*innen in Moers in der Festivalhalle auftreten zu lassen, ohne Publikum, nur mit Presse und Technik.

Das Programm wurde live von arte gestreamt und konnte und kann auf youtube angehört und angeschaut werden. “Vereinzelt versammelt“ war das Motto. Viele Tausend Menschen, alle zu Hause, aber doch vereint im gemeinsamen Erleben der Musik des Moers Festivals, haben daran teilgenommen.

Das Festivalprogramm war trotz der durch die Pandemie bedingten Absagen, kein Not- oder Ersatzprogramm. Moers war deutlich regionaler. Mit einem großen Fundus an Weltklasse Musiker*innen aus NRW und Berlin war das Moers Festival trotz aller Absagen auf höchsten Niveau. Moers 2020 war ein breit gespannter musikalischer Bogen von über 40 Konzerten, vom klassischen Auner Quartett über Entertainer Chilly Gonzales , Urgestein Günter Hampel mit Music and Dance bis hin zu den Indie-Helden von The Notwist. Hier ein Überblick über die vier Tage:

Freitag 29.5.

Drei junge Franzosen der Band PoiL eröffnen das Moers Festival mit avantgardistischem Noise und spielen so voller Elan, als gelte es zehn Wochen ohne Konzerte wettzumachen.

The Dorf, Jan Klares anarchistisches Bandprojekt dekonstruierte liebevoll Beethovens 9. Passend dazu widmete sich das Wiener Auner Quartett zwei späten Quartettsätze des Meisters und den choralartigen Heiligen Dankgesang aus op. 132 und die Große Fuge op. 133, die bis heute herausfordern. Dann ein typisches Mœrs-Projekt: Das Wiener Klassik Quartett erarbeitete mit Jugendlichen des Landesjugendorchesters NRW Beethovens Sechs Bagatellen op. 126 in der fantastischen Umsetzung für Streichensemble von Manuel Hidalgo (2009).

Ein weiteres großes Ensemble ist Été Large, mit 12 Musiker*innen und wird von Luise Volkmann aus Bielefeld geleitet. Die großartige Musik ihres Zyklus Eudaimonia (glückliches, sinnvolles Dasein) ist so breit angelegt wie das Festival selbst, von vertrackten Harmonien aus der Neuen Musik bis hin zu bluesigen Jazzrock-Elementen, mit einer Tamara Lukasheva als Sängerin in Bestform. Das Werk ist eine Widmung an die 68er-Generation und ihre Werte wie Solidarität und kritisches Engagement. Luise Volkmann s Eudaimonia ist ein besonderer Höhepunkt des Festivals.

Danach stand Chilly Gonzales auf dem Programm, wie immer zünftig im Bademantel. Gonzales improvisierte u.a. über Brubecks Take Five, machte daraus Take Four als gängigere Taktzahl, ging zum Take Three des Walzers über, spielte Take Two Hip Hop und landete bei Take One der elektronischen Musik. Kurzweilig und gekonnt gespielt!

Zwei Kölner Bands von Format folgen: Stillman, Burgwinkel, Landfermann. und das junge Quartett Bört um den Bassisten Lukas Keller. Bört präsentiert modernen Jazz, der offen ist für Einflüsse der Gegenwartsmusik. Erfrischende tiefgründige Musik. Mit Theresia Philipp am Saxophon, Jonathan Hofmeister am Piano und Jan Philipp am Schlagzeug sind hier drei weitere “rising stars“ der Kölner Szene versammelt.

Der Düsseldorfer Gitarrist und Komponist André O. Möller hat mit seinem Ensemble Just Systemrelevant ein Großensemble mit Streichern und Holzbläsern zusammengestellt. Sein Werk Adjust/Just Add ist Neue Musik, die auf reiner Stimmung aufbaut. Vom Band werden kanonisch verarbeitete Tonhöhen vom Klarinettisten Jürg Frey eingespielt, dazu spielt das Ensemble mit feinen Klängen. So entsteht eine ganz spezielle Klanglandschaft.

Samstag 30.5.

Marlies Debacker eröffnete den Konzertreigen am Samstag. Das Konzert ist eine Kooperation mit dem PENG Festival.

Wer die belgische Pianistin Marlies Debacker bei ihrem Spiel am präparierten Flügel und Clavinet D 6 beobachtete, spürte förmlich, wie sie sich in die Musik hinein versenkt. Zusammen mit Etienne Nillesen an der präparierten Snaredrum, Florian Zwißler am Analog-Synthesizer und Carl Ludwig Hübsch an der Tuba wurden feinsinnige Klänge entwickelt. Alle vier Musiker*innen gehören zur Creme der Improvisationsmusik.

Auch der Saxophonist Wolfgang Puschnig, ein Moerser Urgestein, ist ein Meister der Improvisation. Er spielte aerosolo.

Achim Krämer galt als Teenager in der Ruhrgebiets Szene als Wunderkind des Jazz. 50 Jahre später ist er immer noch ein hervorragender Drummer. Für Moers stellte er ein Wunschquartett zusammen: Jan Klare am Saxophon und Hilary Jeffery an der Posaune. Und mit dem Kölner Bassisten Reza Askari zeigt Achim Krämer, dass er auch die jungen Musiker*innen im Blick hat. Eine spannende Besetzung, die für großartige Musik sorgte und auch die Hotspots Berlin, Köln und Ruhrgebiet verband.

Niels Klein ist mit seiner Aufgabe als künstlerischer Leiter des Bujazzo so beschäftigt, dass seine Auftritte als Saxophonist leider selten sind. In Moers aber gab er ein ganz besonderes Konzert. Das Niels Klein Trio spielte zusammen mit dem EOS Kammerorchester unter Leitung von Susanne Blumenthal. Jazztrio und Kammerorchester als kreative Gegenpole und miteinander agierende Teile eines Ganzen. Die Kompositionen von Niels Klein forderten Orchester und Trio heraus, vorgefertigten Zuordnungen aufzugeben und mit Improvisationen und komponierten Elementen etwas Neues jenseits von Klassik und Jazz entstehen zu lassen. Im Niels Klein Trio sind Robert Landfermann am Bass und Fabian Arends am Schlagzeug. Ein weiterer Höhepunkt des Festivals.

Gewalt – Nomen est Omen, eine Berliner Indie Band die voller Wut die deutsche Wohlstandsgesellschaft demaskiert. Abgründe von Lügen, Betrug, Gier und – Gewalt. Mit wildem Noise schreit sich Gitarrist Patrick Wagner diesen Dreck von der Seele. Unterstützt wird er von Helen Henfling, Gitarre und Jasmin Rilke, Bass untermalt von donnernden Soundwalls. Die brachiale Gewalt der Band lässt keinen Stein auf dem anderen.

Anschließend gab es geballte Frauenpower mit völlig anderer Musik, aber auch ungezähmt und wild avantgardistisch. Silke Eberhard (as) und die 51% Band mit Improvisorin Mariá Portugal (dr, elec, voc), Elisabeth Harnik (p), Liz Kosack (elec), Almut Kühne (voc), Yuko Oshima (dr).

Sonntag 31.5.

Rajesh Mehta, Schüler von Anthony Braxton eröffnet mit seinem Werk Sky Cage den Festival Sonntag. Mehta ist ein passionierter Instrumenten-Entwickler, der viele ungewöhnliche Instrumente erfunden hat. Sein Werk Sky Cage ist eine musikalische Meditation über ein Bild, in dem ein Geistwesen in einem käfigartigen Feld gefangen ist und doch geistige Freiheit erlebt. Rajesh Mehta (slide, hybrid trp), Georges-Emmanuel Schneider (vl, elec), Keith O’Brien (g, elec), Chad Popple (drums, tablas).

Über die Musik des Afroamerikaners Julius Eastman haben wir bereits mehrfach bei NRW Jazz berichtet. Die Pianistin und Folkwang-Dozentin Patricia Martin hat noch mit Eastman persönlich gearbeitet. Zusammen mit ihren Kolleg*innen Mirela Zhulali, Kai Schumacher und Benedikt ter Braak führt sie Eastmans Werk Evil Nigger auf. Eine Art besondere Form von minimal music, gespielt auf vier Flügeln. In den sich wiederholenden Pattern steckt eine ungeheure Emotionalität, die die Zuhörer*innen förmlich ergreift. Eastmans Musik wird in den letzten Jahren wieder entdeckt. Die Pianist*innen trugen schwarze Kapuzenjacken und hatten Bänder mit I Can`t Breathe darauf befestigt. So wurde Evil Nigger auch zu einem aktuellen Aufschrei gegen den brutalen Rassismus in der USA und dem neuerlichen Polizeimord an einem Afroamerikaner.

Sjaella, fünf junge Frauen aus Leipzig bieten eine Art Gegenprogramm zum Evil Nigger, schöne Stimmen, die ein Programm aus Barockmusik von Purcel und nordischer Volksmusik dargeboten, beseelt (sjael ist dänisch für „Seele“) und voller Schönheit. Aber auch die Frauen von Sjaella verbinden ihre Musik mit sozialem Engagement und sind Botschafterinnen der SOS Kinderdörfer.

Robert Landfermann hatte am Sonntag seinen dritten Auftritt, diesmal mit der Band Grünen, ein Klaviertrio mit Achim Kaufmann, Piano und Christian Lillinger, Schlagzeug. Ein Trio der absoluten Spitzenklasse mit drei Weltklassemusikern, die ihre unerschöpflichen musikalischen Ideen ausbreiten.

Jan Jelenik, Berliner Elektromusiker und der schwedische Schlagzeuger Sven-Ake Johansson kreieren einen Soundteppich, der an die grandiose Zusammenarbeit von Tony Allan und Jeff Mills erinnert, obwohl ihre Musik andere Wege geht. Über den oszillieren Elektrosound von Jelenik setzt Johansson federnde ostinate Schlagzeug Pattern. Trance Pur.

Silke Eberhard aus Berlin mit ihrem Ensemble Potsa Lotsa XL verbindet in ihrer Musik, die Traditionen der Jazzrebellen John Coltrane und vor allem Eric Dolphy mit einem zeitgemäßen Jazz des 21. Jahrhunderts.

Montag 1. Juni

Hein Tint, der burmesische Meister des Trommelkreises, ist kein Neuling in Moers. Seit Tim Isfurt und Jan Klare vor einigen Jahrendie musikalische Zusammenarbeit mit Musikern in Myanmar aufgebaut haben, arbeitet er mit westlichen Musikern zusammen. Das Duo Konzert mit der Kölner Pianistin Laia Genj ist allerdings eine Premiere. Laia Genj war selbst schon in Myanmar hat mit burmesischen Musikern zusammen gespielt. Der Trommelkreis ist das Hauptmelodieinstrument der burmesischen Musik. Hein Tint und Laia Genj schafften es zwei Musikkulturen miteinander zu verweben und etwas Neues daraus zu entwickeln, das trotzdem in beiden Kulturen verwurzelt ist. Herausragendes Konzert.

Nach der intimen Zwiesprache von Trommelkreis und Piano folgt expressive Musik vom Urgestein Günter Hampel begleitet von großarigen Tänzer*innen. Günter Hampels Music + Dance Improvisation Company mit einer hervorragenden Sängerin war ebenso ein Highlight, wie das darauffoldende Konzert der vier Musikerinnen von hilde, die sich im Umland von The Dorf bewegen. Mit feinen kleinen Tonschritten von Stimme, Streichern und Posaune schaffen die Musikerinnen ein dichtes Klangbild, das sich ständig verändert. Mal ruhig fließt und mal temperamentvoll schwingt. „So elegant und natürlich, als gäbe es keine Grenzen zwischen den Stilen. Und damit ist hilde sehr am heutigen Puls – vorbei ist die Zeit, in der puristische Regeln von weißen alten Männern diktiert wurden, hilde öffnet Horizonte.“ Das hilde Konzert ist unbestritten ein Festival Höhepunkt.

TAU – hochkarätig besetzte Band: Philipp Gropper (ts, ss), Philip Zoubek (synth), Petter Eldh (eb, kb, elec), Moritz Baumgärtner (dr), Ludwig Wandinger (elec, live processing). Akustische Instrumente und jede Menge Elektronik ergeben bei TAU einen spannenden und vorwärts treibenden Sound. Die Band solidarisierte sich der Protestbewegung “Black lives matter“ und stellte Poster mit den Losungen vor ihre Instrumente.

Auch die Indie Band The Notwist setzte ein Zeichen der Solidarität mit den Afroamerikanern in den USA und spielten eine Protestrede einer Afroamerikanerin ein, die sich gegen Rassismus ausspricht. Das Konzert von The Notwist war ebenfalls großartig. Mit riesigen elektronischen Soundscapes, zu denen Gitarre und Vibraphon gespielt wurde, erzielten sie eine hypnotische Wirkung. Musik als ganzheitliches Raumgefühl.

Mariá Portugal, die brasilianische Schlagzeugerin, Sängerin und Elektronikmusikerin hatte am Montag eine Moers 2020 Projektband zusammengestellt: Filipe Nader (asax), Angelika Niescier (asax), Moritz Wesp (tb), Carl Ludwig Hübsch (tja), Reza Askari (bs). New ways to fly. Wieder ein großartiger Gig.

Es gab viel Beifall, nicht nur von der anwesenden Presse, sondern aus der Konserve wurde original Beifall aus den vergangenen Jahren eingespielt.

Diese Ausschnitte zeigen, dass Moers 2020 ein unglaublich gehaltvolles Programm angeboten hat. Ein Highlight jagte das nächste. Dazu gab es noch Diskussionsveranstaltungen zum Thema, Musik und Kapital oder über den geringen Frauenanteil im Jazz und was daran geändert werden kann. Moers 2020 ist dabei mit gutem Beispiel vorangegangen und Tim Isfort hat viele großartige Musikerinnen eingeladen.

Das Moers Festival wirkt noch nach und kann auch noch nachgehört und gesehen werden.

Alle Streaming Links auf:https://moers-festival.de/

Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Bild für Beitrag: Moers Festival 2020 | Live aus der Halle gestreamt
Suche