Bild für Beitrag: MARÍA DE BUENOS AIRES | Tango- Operita von Astor Piazzolla
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MARÍA DE BUENOS AIRES

Tango- Operita von Astor Piazzolla

Köln, 05.06.2025
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Thilo Beu

In der Oper Köln wurde Astor Piazzollas María de Buenos Aires (1968) aufgeführt. Die Geschichte der María aus der Vorstadt, die sich in der Großstadt verliert, ist in der Inszenierung von Teresa Rotemberg politisch aufgeladen und in die Zeit der Militärdiktatur (1976 -1982) versetzt. Zu erleben war eine mitreissende Tango Operita, die heute noch aktuell ist.

YO SOY MARÍA - DIE GESCHICHTE DER MARÍA

Die Argentinierin Teresa Rotemberg, selbst in Buenos Aires geboren, hat María de Buenos Aires in einen Bilderbogen mit siebzehn Szenen aufgeteilt, basierend auf dem Libretto von Horacio Ferrer. María kommt aus der Vorstadt nach Buenos Aires, verliert sich im Nachtleben und stirbt. Ihr Geist lebt als Schatten weiter, wird schwanger und gebiert eine neue María. Rotemberg verquickt Marias Geschichte, mit der Zeit der Militärdiktatur in der 30 000 Menschen verhaftet, entführt und gefoltert wurden und dann endgültig verschwanden. Sie thematisiert auch die Fußballweltmeisterschaft 1978, bei der Argentinien Weltmeister wurde und das ganze Land feierte. Statt einer stringenten Handlung, hat Rotemberg ein Patchwork an Bildern und Geschichten rund um Maria, rund um Buenos Aires entfaltet und wird dem Stück so am ehesten gerecht.

 MARÍA IST BUENOS AIRES, MARIA IST TANGO, MARIA IST WIDERSTAND

Astor Piazzolla wollte in seinem Werk Musik und Poesie miteinander verbinden und eine mythische Geschichte von Buenos Aires schaffen. Er hat das 1968 entstandene Werk eine Operita, eine kleine Oper genannt. Ein Genre, das er damit praktisch erschaffen hat. Das Libretto schrieb der Schriftsteller Horacio Ferrer. Es ist eine Mischung aus Singspiel und Sprechtheater, mit Tanzeinlagen, Chor und einem Tango Ensemble mit einem Bandoneón im Mittelpunkt. Die Gattung ist ebenso wenig genau festzumachen, wie die Geschichte der Maria. María de Buenos Aires ist auf der einen Seite ein klassischer Tangotopos, von dem Mädchen vom Lande, das in der Großstadt untergeht, María ist aber auch Buenos selbst. Maria ist auch der Tango. María ist Leidenschaft und Rebellion. María ist die Madonna der Verschwundenen und eine Mutter des Plaza de Mayo.

 MARÍA, DER CANTADOR UND DER GEIST ALS CARLOS GARDEL

Drei Personen stehen im Mittelpunkt dieses Musiktheaters. María, die Titelfigur (Adriana Bastidas-Gamboa), der Cantador, ein Sänger (Germán Enrique Alcántara) und ein Erzähler, El Duende, der Geist (Tatiana Saphir). Wobei nur María und der Cantador singen, El Duende ist ein reiner Erzähler. Die Texte von Ferrer sind voll von surrealistischen Versen, symbolistisch aufgeladen mit Volksmythen und volksreligiösen Bezügen. Sie erinnern in ihrer Form an manche Texte von Julio Cortázar. Es war sicher kein leichtes Unterfangen, sie aus dem Spanischen bzw. dem Slang von Buenos Aires, in das Deutsche der Untertitel zu übertragen. An einigen Stellen hätte man sich eine poetischere Übertragung gewünscht.

Tatiana Saphir als El Duende, die Erzählerin in Kleidung und Habitus der großen Tango Legende Carlos Gardel (1890-1935) nachempfunden, führte das Publikum mit viel Verve durch die Handlung, bei der sie immer wieder auch selbst zur Handelnden wird, etwa wenn sie sich in Trauer um Maria betrinkt. El Duende mit Carlos Gardel zu verbinden ist ein geschickter Zug der Regisseurin. Gardel war der erste internationale Star des Tangos und auch Argentiniens. Er hat als Sänger und Komponist den frühen Tango geprägt, wie kein anderer. Er ist heute eine Art Nationalheiliger.

Adriana Bastidas-Gamboa glänzte in der Rolle der María, sie verkörpert großartig die vielen Facetten dieser Gestalt und ihr Gesang ist voller Emotionalität und ihre Stimme beherrscht alle Feinheiten der Gefühle, von wild und unbändig bis zu fein oder volkstümlich. Aber es ist der Bariton Germán Enrique Alcántara in seiner Rolle als Cantador, der die meisten Gesangsanteile im Stück hat. Mit seiner schönen Stimme meistert er die unterschiedlichen Stimmungen in den verschiedenen Szenen mit Bravour, mal betont kraftvoll, mal leise und gefühlvoll. 

 ASTOR PIAZZOLLA UND DER TANGO NUEVO

Aber vom diesem klassischen Tango Gardels, einer melodramatischen Tanzmusik, wendete sich Piazzolla ab und erweiterte die Tangomusik um Jazz und Klassik Elemente, weg von der Tanzmusik hin zur Kunstmusik. Piazzolla, der zwar in Buenos Aires geboren ist, hat seine Jugend in New York verbracht und ist erst als 16 jähriger mit seinen Eltern widerwillig nach Argentinien zurückgekehrt. Diese Weltläufigkeit war ihm Zeit seines Lebens wichtig. Noch in New York hatte Piazzolla Bandoneón gelernt, fremdelte aber noch lange mit dem Tango und spielte auf dem Instrument klassische Musik. Tango hatte immer noch den Geruch von Unterhaltungsmusik der Hafenkaschemmen und des Rotlichtbezirks. Er studierte später dann in Paris Komposition bei Nadia Boulanger, die ihn dabei bestärkte sich bei seinen Kompositionen dem Tango zuzuwenden.

Bei María de Buenos Aires sind die Jazz und Klassik Einflüsse deutlich wahrzunehmen. Für Piazzolla sind der Jazz und seine Improvisation ein Stück Freiheit und ein Jazzkonzert ist für ihn ein Fest. So führt er in seine Musik auch improvisatorische Teile ein, wie im Jazz. Piazollos Vorbilder waren neben Bach, Bartók und Strawinsky vor allem Duke Ellington, Dizzy Gillespie und George Gershwin. Piazzolla war mit dem Jazz Pianisten Lalo Schifrin befreundet und hat große Konzerte mit dem Baritonsaxophonisten Gerry Mulligan gespielt

Die Tango Nuevo Musik wird von einem Tango Ensemble aus dem Gürzenich Orchester, das auf der Bühne platziert ist, unter Leitung von Natalia Salinas hervorragend präsentiert. Natalia Salinas, die auch argentinische Wurzeln hat, zeigt ein großartiges rhythmisches Gespür und bringt die emotionale Seite der Musik wunderbar zur Geltung. Lothar Hensel am Bandoneón (26.5.) zeigt sich als Solist, der die Sprache des Nuevo Tango bestens beherrscht. Aber auch Klavier, Streicher und E-Gitarre, die Piazzolla neu in den Tango eingeführt hat, lassen den Tango in voller Leidenschaft erklingen.

 BILDMÄCHTIGE SZENEN MIT TANZ UND VISUELLEN PROJEKTIONEN

Neben den drei Solisten und einem Sprechchor, der in verschiedenen Szenen auftritt, ist die besondere Leistung des Tanzensembles hervorzuheben. Mit viel Energie und großer Leichtigkeit schaffen die TänzerInnen bildmächtige Szenen, die die Emotionen in den verschiedenen Passagen ausdrücken. Einzelne Szenen werden ganz ohne Sängerin oder Sänger nur von den TänzerInnen gestaltet. Überhaupt schaffen die Kostüme von Tanja Liebermann, die geschickten Bühnenbilder mit nur wenigen Requisiten und die exzellenten Visuals von Stefan Bischoff eine farbige und dabei sehr eindrückliche Atmosphäre. Der gut gewählte Einsatz der Projektionen erzählt Geschichten ohne Worte, die die Handlung auf der Bühne auf das Beste begleiten. Ob es die Bilder der Verschleppten oder Verschwundenen sind, die Szenen der Fußballbegeisterung oder aber auch Bilder des Widerstandes gegen die Diktatur. 

 DIE MÜTTER VOM PLAZA DE MAYO UND DER WIDERSTAND DER FRAUEN

Während die ersten drei Szenen der Operita die Zeit der Diktatur in den Mittelpunkt stellen liegt der Focus ab der Szene elf dann auf dem Widerstand gegen die Diktatur. Aber schon in der ersten Szene lehnte sich María gegen die Diktatur auf und leistete Widerstand, sie schrieb die Parole “Libertad“ an die Wand. Der eindrücklichste, weithin sichtbare Widerstand, der international Aufmerksamkeit bekam, war die Versammlung der Mütter und Großmütter auf dem Plaza de Mayo, dem zentralen Platz der Hauptstadt. Ab dem April 1977 versammelten sich jeden Donnerstag diese Frauen und trugen weiße Tücher auf dem Kopf um auf die verschwundenen Söhne und Töchter hinzuweisen. Später organisierten sich diese Frauen als Abuelas Argentinos con Nietitos Desaparecidos (Argentinische Großmütter mit verschwundenen Kindern). Daraus wurden dann später die Abuelas de Plaza de Mayo, die Großmütter des Mai Platzes, so wurden sie auch weltweit bekannt. Diese Frauen waren aber nicht nur eine schweigende Anklage, sondern sie setzten alle Mittel ein, von Nachforschungen bis zu Gerichtsprozessen um den Verbleib ihrer Söhne und Töchter zu klären. So spielten sie auch eine wichtige Rolle bei der Demokratisierung des Landes und bei der Aufarbeitung der Morde und Verbrechen der Militärjunta. Teresa Rotemberg bleibt nicht beim Widerstand der Frauen gegen die Diktatur, sondern bringt auch die argentinische Frauenbewegung mit ins Spiel. Mit Visuals und Tüchern auf denen Losungen wie Aborta legal (Legale Abtreibung), wurde dieses Thema mit eingebracht. Immerhin war die Frauenbewegung so erfolgreich, das 2021 die Abtreibung in Argentinien, als dem erst dritten Land in Lateinamerika, bis zur 14. Woche legalisiert wurde. So spannte die Inszenierung von Teresa Rotemberg mit ihren eindrücklichen Bildern, auf der Bühne und mit den Projektionen, einen Bogen von Marías Widerstand in der ersten Szene bis zu den Müttern vom Paza de Maya und der Frauenbewegung. In diesem Sinne gibt es als Subtext durchaus einen stringenten Handlungsverlauf, trotz all der bunt gewürfelten Szenen.

Mará de Buenos Aires in der Oper Köln ist eine durchweg gelungene Inszenierung, ein sehens- und hörenswertes Stück, eine ergreifende Tango-Operita mit aktuellem Zeitbezug.

María de Buenos Aires ist noch bis zur Sommerpause auf dem Spielplan, ein Besuch in der Oper Köln lohnt sich.

MARIA EVERYWHERE – MARIA HEUTE

Begleitend zur Aufführung von María de Buenos Aires gab es an der Oper Köln noch das Projekt Maria Everywhere. Von November 2024 bis zum Mai 2025 haben sich zwölf  junge Leute mit dem Thema beschäftigt und ihre Sicht in einer bunten und lebendigen Performance präsentiert. Ein Stück mit Tanz, Schauspiel und Gesang, das in der Maskenstätte aufgeführt wurde. Eine bunte Revue um einen Kiosk in einer Großstadt. Hier tauchten die unterschiedlichsten Menschen mit ihren gebrochenen Lebensläufen auf, die strenge Mutter, die ihre Töchter vollständig kontrollieren will, der junge Mann, der Pfandflaschen sammelt, der an Krebs erkrankte einsame Witwer und seine Tochter oder ein junges Paar, das sich jeden Abend in Vergnügen und Sex hineinwirft. Und eben auch María, die von irgendwoher in die Stadt kam. María hatte immer ein Ohr für die Schwierigkeiten der Menschen, gab ihnen Mut, Zuversicht und Selbstvertrauen, ohne je an sich selbst zu denken. Sie war so etwas wie eine Heilige der Stadt. Die Rolle von El Duende, der Erzähler in María de Buenos Aires, übernahm der Kioskbesitzer, der durch das Stück führte und die verschiedenen Personen vorstellte. Neben dem Kiosk auf der Bühne gab es nur wenige Requisiten. Mit viel Musik, aber keinerlei Opernmusik- oder Gesang, wurde mit Tempo und Energie das Puzzle an Geschichten vorangetrieben. Mit Liedern aus der Westside Story, die auch Piazzolla inspirierte, mit Rock- oder Singer-Songwriter Stücken, bis hin zu einem Karnevalslied (wir sind ja in Köln) wurde ein buntes Spiel vorgetragen. Der Clou der Geschichte wurde erst gegen Ende sichtbar, als María sich auch um sich selbst zu kümmern begann. Nun wurde deutlich, dass ihr Altruismus programmiert war und nun die Software nicht mehr funktionierte. Eine María des 21. Jahrhunderts, mit Geschichten, die es überall geben könnte. Bunt und spritzig inszeniert, mit ruhen Phasen der Reflektion und des Nachsinnes über das Leben. Diese Stellen waren die kleinen Schwachstellen des Stückes. Hier wären Bilder, Gesten oder Tanz besser eingesetzt gewesen, als die manchmal etwas zu langatmigen Passagen über ethisches Leben in unserer Zeit. Aber trotzdem ein gelungenes Projekt und eine gelungene Performance, die viele junge Leute in die ausverkauften Aufführungen lockte. Ein nachahmenswertes Projekt, das sicher auch zu anderen Stücken passen würde.

www.oper.koeln

 

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