Julius Eastman Konzertnacht
Würdigung eines Grenzgängers
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Der musikalische Grenzgänger Julius Eastman (1940-1989) wird der Vergessenheit entrissen. Nach einem rasanten Aufstieg in der Musikszene New Yorks in den 60ern und 70ern, stürzte er Ende der 80er mit Alkohol und Drogen ab und starb 1989 als Obdachloser. Er war ein hervorragender Pianist, Sänger und Komponist. Anfang der 80er war er auf dem Höhepunkt seines Schaffens, er organisierte Konzertreihen der Brooklyn Philharmonia, er spielte mit seinem Bruder in einer Jazzband, er tourte als Pianist und Sänger und er komponierte wichtige Werke. Seine Kompositionen sind von einem Post-Minimalismus geprägt, der Elemente von Pop und Jazz mit einbezieht. Genregrenzen akzeptierte er nicht. Er war Afroamerikaner, er war schwul und er war ein begnadeter Musiker. All dies wollte er in voller Intensität leben und ist letztendlich daran gescheitert. Nun wird sein Werk wiederentdeckt. In Brooklyn und London wurden seine Werke in diesem Jahr auf Festivals für zeitgenössische Musik aufgeführt. In Berlin stand sein Werk im diesjährigen Berliner Festival - Märzmusik im Mittelpunkt. Nun wird auch in NRW sein Werk mit einer Eastman Konzertnacht in der Kunststation St. Peter in Köln gewürdigt. Michael Veltman und sein Ensemble Tra I Tempi haben sich bereits mit der Aufführung einzelner Werke von Eastman verdient gemacht. Nun haben sie eine Konzertnacht veranstaltet, die einen Querschnitt durch das Werk bietet.
Der Eastman Abend in Köln ist in drei Konzerte aufgeteilt. Am Anfang und am Ende stehen zwei Ensemblewerke und dazwischen ein Konzert mit drei Vokalwerken.
Das erste Werk ist Crazy Nigger (1979). Typisch für Eastman in dieser Zeit sind seine provozierenden Titel, die ihrer Zeit weit voraus waren. Bei einem Auftritt in der Northwestern University in Evanston protestierte die Afro-Amerikanische Studentenorganisation gegen den Titel und erreichte, dass er nicht im Programmheft genannt werden durfte. Erst mit der späteren Entwicklung im Hip Hop werden solche Titel gängig.
Crazy Nigger wurde ursprünglich mit vier Pianos aufgeführt, kann aber von einem beliebigen Ensemble gespielt werden. Das Ensemble Tra I Tempi führt das Werk in großer Besetzung auf mit Michael Veltman (Klavier), Evelin Degen (Flöte), Joachim Striepens (Klarinette), Christiane Veltman (Viola), Felicia Meric (Cello), Constantin Herzog (Bass), Ramon Gardella (Schlagwerk) und Nicole Ferrein (Stimme).
Die Komposition hat ein Gerüst aus spezieller Minimalmusic. Es besteht aus langen Phasen sich wiederholender Noten, die vom Ensemble Unisono gespielt werden. Durch Veränderung der Tonhöhe schwillt der Klang an und ebbt wieder ab. Dann reduziert sich alles auf die beiden Noten A und H, die minutenlang wiederholt werden, von Klavier und Vibraphon. Dann kommen schlagartig alle Instrumente hinzu und es folgt ein kraftvolles dissonant klingendes Tutti. Fast eine Stunde dauert das Werk Crazy Nigger und durch feine Wechsel in der scheinbaren Einförmigkeit entsteht eine ganz besondere Spannung, die sich dann am Ende in einem Höhepunkt auflöst, in dem alle Töne, die vorher sukzessive gespielt wurden, aufgegriffen werden. Die Zuhörer*innen werden so förmlich in einen Bann geschlagen.
Das zweite Konzert besteht drei Vokalwerken, die von 1971 bis 1984 entstanden sind.
Colors (1973) ist für 14 Frauenstimmen komponiert. Die Darbietung von Colors ist etwas Besonderes, denn das Werk ist seit seiner Uraufführung 1973 und einer weiteren Aufführung im selben Jahr bis heute nicht mehr aufgeführt worden.
Die Sängerinnen sind in vier Gruppen aufgeteilt zu je drei Frauen plus zwei Solistinnen. Die Gruppen sind durch Farben, in Köln durch farbige Schals, gekennzeichnet: Rot, Orange, Blau und Lila, die Solistinnen tragen Gelb und Schwarz. Wie so oft bei Eastman ist die Partitur sehr chaotisch und wechselt zwischen genau auskomponierten Teilen, einschließlich eines langen Solparts (Nicole Ferrein) und gelenkten Improvisationen bis hin zu Anweisungen für Geräusche wie Lachen und Flüstern und der Einspielung eines präparierten Klaviers.
Im zweiten Werk Macle (1971) wird die Stimme mit allen ihren Ausdrucksmöglichkeiten eingesetzt. Es wird hier auch gelacht und geflüstert, aber ebenso gegrunzt, geseufzt, gelallt, gesprochen, gesungen oder geschrien. Auch banale Alltagsgespräche Gespräche und Fetzen von Jazzgesang werden integriert. Fast vierzig Minuten wird die menschliche Stimme in Macle als Instrument eingesetzt, die ganze Palette der menschlichen Gefühlen von Ärger, Wut Freude, Erstaunen, Frustration, Euphorie und vieles mehr wird im Wechselspiel der drei Akteure zum Ausdruck gebracht. Michael Veltman, Nicole Ferrein und Sarah Schnier unterstreichen mit Gestik und Mimik ihre Vokalisationen. An einer Stelle des Werks werden die Worte Take Heart ständig wiederholt und dabei immer wieder anders betont. Auch Performance Elemente werden eingesetzt, wenn die drei Akteure sich zu einem Gespräch auf den Boden setzen und alle gleichzeitig gestikulierend aneinander vorbei reden oder wenn sie ihren Platz verlassen und schreiend durch den Raum laufen. In Duo Besetzung hat Michael Veltman Macle bereits Anfang 2016 in Bonn aufgeführt. Siehe Rezension: http://nrwjazz.net/reviews/2016/traitempimacletheaterimballhaus/ . Auch bei Macle ist die Partitur eine Herausforderung. Es handelt sich um eine graphische Notierung ohne genauere Ausführungsanweisungen.
Das letzte Vokalwerk ist Buddha, eine der letzten Kompositionen von Julius Eastman. Als Vorlage dient ein Notenblatt mit 20 Linien, eingekreist sind dort Einzeltöne und Melodiefragmente, von den höchsten, bis zu den tiefsten Lagen. Es gibt keinen Hinweis darauf, ob es sich um Stimmen oder Instrumente handeln soll.
Michael Veltman arrangiert Buddha als Vokalwerk und verteilt die Sänger*innen im ganzen Kirchenraum. So entsteht ein Raumklang, in dem die Klänge der Stimmen immer wieder an anderen Orten erklingen.
Im dritten Konzert wird das Werk Gay Guerilla (1979) mit kleinem Ensemble aufgeführt. Michael Veltmann am Klavier, Ramon Gardella am Schlagwerk und Nicole Ferrein Stimme.
Ein Werk ist eine postminimalistische Choral Fantasie. Im Mittelpunkt stehen ständige Akkordwiederholungen am Klavier, die vom Vibraphon aufgegriffen und variiert werden.
Auch hier singt Nicole Ferrein ohne Worte nur Gesangslinien. Ein Werk mit einem hymnischen Charakter, das eine psychedelisch hypnotische Wirkung entfaltet.
Die Julius Eastman Konzertnacht in der Kunststation St. Peter hat einen Grenzgänger in der zeitgenössischen Musik aus der Vergessenheit geholt. Der Abend hat einen Querschnitt durch das Werk des Komponisten und Musikers präsentiert, der zeigt wie originell und seiner Zeit voraus Eastman war. Trotz vieler kompositorischer Herausforderungen und chaotischen Partiturvorlagen ist es Michael Veltman gelungen einen runden Konzertabend mit der Musik von Julius Eastman zu gestalten, eine große Leistung des Ensemble Tra I Tempi, der Capella Vocale an St. Hyppolytus und aller mitwirkenden Sänger*innen. Besonders hervorzuheben ist die Leistung der Sopranistin Nicole Ferrein, die in allen drei Konzerten mit herausragender stimmlicher Leistung präsent war.
Zur Biographie von Eastman siehe:http://www.mjleach.com/eastman.htm