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Jazz in vs. Jazz aus Deutschland ?

Stimmungsbericht von der jazzahead 2023

Bremen, 04.05.2023
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Es gibt Jazz in Deutschland, aber auch Jazz aus Deutschland. Der feine Unterschied zwischen diesen kleinen Wörtchen wurde bei der Laudatio auf Joachim und Rolf Kühn bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises deutlich. Beide haben es zu letzterer Kategorie gebracht, andere natürlich auch. Viele mehr müssten diesem Beispiel folgen, denn das künstlerische Potenzial in einem Land mit allein 18 Musikhochschulen, die Jazz anbieten, ist immens. Aber die hiesige Szene besteht nach wie vor aus zu vielen lokalen und oft auch prekären Mikro-Biotopen. Also war es überfällig, dass die jazzahead auch mal das eigene Gastgeberland als Partner „einlud“, allein der Ausstrahlung nach außen wegen.

Uli Beckerhoff und Peter Schulze legten vor 17 Jahren in Bremen den Grundstein dafür, Jazz auch kreativwirtschaftlich zu denken. Götz Bühler will von nun an mit viel Motivation und verlässlicher Unterstützung durch Sibylle Kornitzky die weltgrößte Messe für Jazzkultur und -wirtschaft in die Zukunft führen. Denn es geht weiterhin darum, eine kulturelle „Nische“ zu einer Branche mit Gewicht und auch Geld zu ertüchtigen.

Drei Tage trafen sich in Bremen Musikerinnen und Musiker, Kulturschaffende, Kulturverwaltende Fördernde, Medienleute oder einfach nur Jazzfans. Die Kernsubstanz der jazzahead ist klar definiert: Es sind die persönlichen, oft spontanen Begegnungen „face to face“- immer ein erfrischender Ausgleich zum sonstigen Berufsalltag in einer stark digital vernetzten Kulturwelt.

Der Messebetrieb, die offiziellen Veranstaltungen und Diskussionspanels plus ein riesiges, öffentliches Konzertmarathon – diese drei Paralleluniversen waren auch im zweiten Jahr nach der Pandemie wieder prall gefüllt. Zur Einführung hielten Sybille Kornitzky, ebenso Uli Beckerhoff und Peter Schulze sowie sein frischgebackener Nachfolger Götz Bühler viel Rückschau auf das Geleistete und beschrieben die Herausforderungen für die Zukunft. Erleichterung liegt in der Luft, dass die Pandemie den Jazz nicht zur Strecke gebracht hat. Nach der Euphorie im letzten Jahr überwog in diesem Jahr wieder eine entspanntere Routine in den Messehallen. Insgesamt hat sich die Übererregtheit, mit der noch Jahre zuvor um Aufmerksamkeit geheischt wurde, zu mehr Gelassenheit verlagert. Diesen Eindruck teilt auch Uli Beckerhoff und hat eine Erklärung dafür: „Viele Aussteller sind Wiederholungstäter, die haben sich hier jede Hektik abgewöhnt.“

Französischer Wein, belgisches Starkbier und frisches Kölsch

Geselligkeit ist das Fluidum – vor allem die kleinen Trinkgelage an den Messeständen ab dem späten Vormittag machen die Sache locker. Die Belgier haben nicht nur gutes Starkbier dabei, sondern überreichten auch gleich das Gesamtouvre einer der wohl abgedrehtesten europäischen Bigband, dem „Flat Earth Society Orchestra“. Am norwegischen Stand gab es Aufschluss darüber, welche Festivals künftig die Reise nach Skandinavien lohnen - was Fernweh weckt. Bei den Franzosen ist nicht nur das Weinangebot solide, sondern ebenso die staatliche Kulturförderung, mit denen verglichen Deutschland doch noch etwas Entwicklungsland ist, zumindest beim Jazz. Luxemburg ist ein anderer positiver Leuchtturm bzgl Lebens- und Arbeitsbedingungen - aber das ist klar bei einem so kleinen, reichen und freundlichen Land. Hellgrün und viele Meter hoch überragte der Stand der Cologne Jazzweek sämtliche anderen Messestände. Ob dies mit ein Grund war, dass dieses noch junge Festival schließlich gegenüber dem Jazzfest Berlin und dem Moers-Festival mit dem Deutschen Jazzpreis das Rennen machte? Herzlich gratulieren wir Janning Trumann und seinem Team dazu. Bei einem frischen Kölsch redete er darüber, was es ausmacht, um in gutem Kollektivgeist kulturpolitisch zu überzeugen.

Die Themen sind zahllos. Aber geht es wirklich der Jazzszene so gut, wie es hier so fröhlich anmutet? Wo tatsächlich der Schuh drückt, erschließt sich meist erst in ruhigeren Gesprächen und zwischen den Zeilen. Am Stand der Deutschen Jazzunion kann man darüber einiges in der druckfrischen Neuauflage der Studie über Lebens- und Arbeitsbedingungen nachlesen. Nicht vieles hat sich gegenüber den Erhebungen im Jahr 2016 geändert. Viele kleine Akteure, egal ob Musiker oder Veranstalter, überlegen es sich wohl dreimal, ob sie sich die Teilnahmegebühr für diese Messe leisten wollen. Die 10000 €, welche die Initiative Musik als Preisgeld für den Deutschen Jazzpreis rausgibt, sind für nicht wenige Musikerinnen und Musiker ein Jahresgehalt.

Der Deutsche Jazzpreis – gut gemeint, aber problematisch

Der Deutsche Jazzpreis ist seit letztem Jahr in die jazzahead integriert. Das mutet zunächst mal sinnvoll an, wenn ohnehin eine große Dichte an Jazzmenschen gerade in Bremen ist. Aber die Praxis dieses Preises im Jahr 2023 wurde dann doch – viele Gespräche zeugten davon – zum Reizthema: So glamourös (und auch mit vielen musikalische gehaltvollen Musikdarbietungen) die Trophäenverleihung im Metropoltheater einen auf Big Fernsehshow machte, so fragten sich doch nicht wenige nach der jeweiligen aktuellen Relevanz mancher Ausgezeichneter im Labyrinth der zahllosen Kategorien. Keine Frage, in vielen Fällen kann und muss man die Jury-Entscheidung unterschreiben – siehe oben Joachim und Rolf Kühn. Andere Preisvergaben hingegen muteten hier reichlich seltsam an: Wir wollen hier keine Namen nennen, aber wer dabei war oder sich die Ergebnisse im Detail ansieht, weiß, was gemeint ist. Es ist ehrenwert, dass die Initiative Musik den Jazz als weltumspannende, demokratische, Institution in einer politisch korrekt sein wollenden Diversität abbilden möchte. Aber da war einer Institution doch wohl das eigene Anliegen etwas über den Kopf gewachsen und hat manchmal den Blick aufs objektiv Künstlerische verstellt.

Eine Milliarde für die Kultur

Kulturstaatsministerin Claudia Roth stattete der jazzahead einen Besuch ab und beschrieb in einem flammenden Appell zu Recht die Kunst (und gerade auch den Jazz!) als „Stimme der Demokratie“. Auch lieferte es einen gewissen Mehrwert, in Bremen nun auch das englische Wort für Nachhaltigkeit, „Sustainability“ gelernt zu haben. Natürlich braucht es eine solche – auf vielerlei Lebensebenen. Wenn die Kulturministerin eine Milliarde Euro für die Kultur verspricht, klingt das toll, ebenso wie ein Kulturpass für finanziell schwache junge Menschen. Veranstalter, die aus Angst vor Publikumsschwund Hutkonzerte geben werden dadurch noch nicht gestärkt. Also müssen weiterhin die notwendigen Baustellen in ihrer Tiefe analysiert werden, damit öffentliches Geld sinnvoll fließt. Neben dem Wort "nachhaltig" gehört vor allem das Wort "flächendeckend" ins programmatische Vokabular, wenn es um die freie Kulturszene geht.

Dazu gehört eine Spielstätten-Förderung, die denen, die es wirklich brauchen, hilft. Und damit „Jazz in Deutschland“ zu „Jazz aus Deutschland“ wird, braucht es Exportförderungen, wie sie in vielen Nachbarländern Standard sind. Hier sei jetzt Initiative Musik auch mal gelobt, die an diesem Thema gerade dran ist.

Im Kern geht es um die Musik

Die Seele der jazzahead ist die Musik. Mehrere aktuelle Auftragsprojekte (und die German Jazz Expo sowieso...) rückten das Gastgeber- und Partnerland besonders in den Fokus. Und wegen vielen Showcase-Konzerten lohnte es sich immer wieder, auch mal die eine oder andere offizielle Bekundung zu „schwänzen“: Zeitgleich mit der Eröffnungsveranstaltung lief eines der spektakulärsten Konzert dieser jazzahead-Ausgabe: Nämlich das „Andromeda Mega Express Orchestra“. Die Musik klingt wirklich so, wie der Name der elfköpfigen Truppe aus Berlin verheißt. Ist etwa Sun Ra von irgendeinem anderen Planeten zurückgekommen? Vielleicht - aber er trifft hier auf eine mächtige zeitgenössische Gegenwart mit ihren endlosen polyrhytmischen Kollektiv-Improvisationen. Viele Bands warten nach der jazzahead mit Spannung darauf, ob sie irgendeine Anfrage aus dem Ausland bekommen. Vielleicht war ja ein einflussreicher Booker im Publikum. Genau darum geht es auf dieser weltgrößten Jazz-Kontaktbörse. Auch der Band „Mother“ der griechisch-deutschen Bassistin Athina Kontou mit ihrer Fokussierung auf griechische und armenische Musikstile kann man nur wünschen, dass ihr ergreifendes Konzert zusammen mit Luise Volkmann (sax), Dominik Mahnig (Drums) und Lucas Leidinger (piano) in neuen, internationalen Auftrittsangeboten Widerhall findet. Auf einer intensiven lyrischen Schwingung war das Oktett „Multiphonics 8“ der Bassistin Gina Schwarz unterwegs. Aus dem Songmaterial des großen Nick Drake breiten sich hier feingesponnene Gewebe aus, in denen vor allem die Holzbläsersection (unter andere mit Annette Maye , klarinette und Steffen Schorn) eine vielstimmige Leuchtkraft entfaltete und Schlagzeuger Jens Düppe verlässlichen Grund in die Sache brachte.

Eine innige Venue mit unromantischem Namen

Eine Location der besonderen Art ist das Kulturzentrum Schlachthof. Meist brechend voll, potenziert diese Venue eine innige, vibrierende Club-Atmosphäre, bereichernd für Publikum und Bands gleichermaßen. Entsprechend unwiderstehlich betörte hier jene „dystopische Romantik“, welche den melancholischen Songs und noch mehr der deepen Gesangsstimme von Lucia Cadotsch anhaftet, die hier als „Liun and the Science Fiction Orchestra“ eine Großbesetzung (unter anderem mit Wanja Slavin, sax, Heidi Bayer , tr und Shannon Barnett, trb) auf eine starke emotionale Reise mitnahm.

Dass eine definitive Traum-Band in dem vibrierenden jazzahead-Kosmos noch mal über sich hinaus wachsen würde, scheint kein Wunder: Daniel Erdmanns aktuelle Band „Therapie de Couple“ mag man wünschen, dass hier so schnell nichts „wegtherapiert“ wird: Vor allem Teufelsgeiger Theo Ceccaldi und der Cellist Vincent Courtois explodierten vor virtuosem Spiel-Feuer. Als hellwach beflügelnde Bereicherung ergänzte Eva Klesse am Schlagzeug diese Band.

Malstrom, bestehend aus den NRW-Musikern Florian Walter (sax), Jo Beyer (drums) und dem Gitarristen Axel Zajac ist eine weitere Band, die so klingt, wie sie heißt, aber dabei extrem viel ausdifferenzierte Klangnuancen zaubert. In Bremen „rockten“ die Essener die Venue mit ihrem energetischen Wall of Sound inclusive krasser Metal-Klanggewitter, Sub-Bässen, ekstatischen Saxofon-Kaskaden. Dass diese progressive Spielart von „Jazz aus Deutschland“ im Ausland extrem gut ankommt, haben die drei schon häufiger erlebt. Aktuell stehen neue große Pläne an: Es soll nach Japan gehen und später im Jahr nach China. Wo wird die konkrete Umsetzung solcher Pläne besprochen? Auf auf der jazzahead!

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