EXPERIMENTALE TROISDORF 2023
Besondere Konzerte zuhauf
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam; Frank Baquet
Frank Baquet, künstlerischer Leiter der Experimentale ruht sich nicht auf seiner Arbeit aus, sondern stellte auch für die sechste Festivalausgabe wieder ein Programm zusammen, das sich sehen und vor allem hören lassen kann.
Letztes Jahr feierte die Experimentale im Kunsthaus Troisdorf ihren fünften Geburtstag. Das war eine Gelegenheit für Rückblicke auf großartigeKonzerte, die inmitten bildender Kunst im Ausstellungsraum des Kunsthauses stattfanden. Eine gibt eine lange Liste an Gastmusiker*innen, die Frank Baquet für sein kleines Festival fern ab vom Mainstream gewinnen konnte: Dieter Manderscheid , Jens Düppe, Philip Zoubek, Elisabeth Coudoux, David Helm , Robert Landfermann , Theresia Philipp , Thomas Sauerborn , Shabnam Parvaresh, Jan Klare, Dominik Mahnig, Julia Ehninger, Christina Zurhausen , Barbara Barth , Flrorian Herzog, Stefan Karl Schmid , Jonathan Hofmeister, Matthias Muche , Raissa Mehner, Tina Tonagel, Luah, Lars Duppler, Angelika Sheridan und viele weitere herausragende Musiker*innen.
Aber Frank Baquet ruht sich nicht auf seiner Arbeit aus, sondern stellte auch für 2023, der 6. Experimentale, wieder ein Programm zusammen, das sich sehen und vor allem hören lassen kann. Der Eröffnungsabend bot gleich zwei sehr besondere Konzerte. Ein Duo und ein Quartett, mit Musik, wie sie unterschiedlicher kaum sein kann. Die Musikerin Xu Fengxia, eine Virtuosin auf den chinesischen Saiteninstrumenten Guzheng (chinesische Wölbbrettzitter) und Sanxian (Langhalslaute) trifft auf den Klarinettisten Rainer Weber. Die Beiden spielen zum ersten Mal zusammen.
Sanxian und Bassklarinette spielend kommen die Musikerin und der Musiker durch den Zuschauerraum nach vorn. Den Schalltrichter der Bassklarinette hat Rainer Weber mit Alufolie abgedeckt. Die Musik beginnt mit ruhigen Tönen, steigert sich dann und wird immer schneller. Xu Fengxia hat die Führung und Rainer Weber geht sehr sensibel auf ihre Impulse ein. Dann wechselt Xu Fengxia zur chinesischen Wölbzitter Guzheng. Sie improvisiert auf dem Instrument, aber sie spielt keine traditionelle chinesische Musik, sondern westliche Improvisationsmusik. Teilweise ist ihr Spiel sehr perkussiv und sie bearbeitet die Saiten mit der Faust oder der flachen Hand, dazu singt sie mit lauter kräftiger Stimme chinesische Lieder. Für eine kürzere Passage spielt sie dann die Guzheng im traditionellen chinesischen Stil. Rainer Weber umspielt sehr einfühlsam mit Klarinette oder Bassklarinette (nun ohne Aluabdeckung) die Klänge von Xu Fengxia. Zwischendurch entfernt er sich von ihr und die Beiden spielen nebeneinander, aber immer mit Achtsamkeit für die/den Andere*n. Langsam wird die Musik dichter und temperamentvoller, der Gesang expressiv und das Konzert kommt zu seinem Höhepunkt.
Ein großartiger Einstieg in die Experimentale, eine Improvisationsmusikerin und ein Improvisationsmusiker, die beide von behutsam bis wild miteinander spielen und immer neue Formen und Strukturen entwickeln. Nach diesem Beginn ist es für die Gruppe Argo, die das nachfolgende Konzert spielt, nicht leicht. Die klassische Jazzbesetzung, mit Jan Lukas Roßmüller Klavier, Philipp Hayduk Posaune, Emil Buchholtz Kontrabass und Philipp Buck am Schlagzeug, täuscht. Die Musik geht weit über ein Jazzquartett hinaus. Die Band Argo entwickelt aus langen modulierten Posaunenklängen, gestrichenem Bass, feiner leiser Perkussion und lange tönenden Klavierklängen einen langsam dichter werdenden Sound. Das Pianospiel wird intensiver, das Schlagzeug spielt härter, mit viel Basstrommel, der Kontrabass wird nun schnell gezupft. Die Musik entwickelt sich, wie ein Küken, das sich langsam aus dem Ei schält. Aus der Kommunikation der Musiker miteinander entstehen immer wieder spannende musikalische Figuren. Argo gelingt es ein ganz eigene Musiklandschaft zu evozieren und die Zuhörer*innen dorhin mitzunehmen.
Der zweite Abend beginnt mit dem Essener Schlagzeuger Simon Camatta . Simon Camatta , war ebenso wie der Klarinettist Rainer Weber schon mit verschiedenen Bands und Projekten auf der Experimentale, aber nun spielt er zum ersten Mal solo. Er setzt sich ans Schlagzeug und sagt, dass die anderen noch zum Essen seien. Und um es vorwegzunehmen, es gelingt ihm, immer neue spannende Klänge und rhythmische Figuren zu produzieren und so die Aufmerksamkeit des Publikums zu binden. Simon Camatta beginnt mit Geräuschen, die er mit einer Metallschale hervorbringt. Sie Geräusche werden lauter und er bearbeitet dann die Schale mit einem Trommelstock. Danach schlägt er mit der flachen Hand und/oder der Faust auf seine Trommeln. Leiser werdend setzt er ein Stäbchen ein und bringt feine Töne hervor. So setzt er verschiedene Mittel ein um einen Dynamikwechsel herzustellen. Dann münden die Klänge in ein klassisches Schlagzeugsolo, inklusive Einsatz der Basstrommel. Das Solo klingt aus und er entwickelt einen leisen Rhythmus mit den Händen. Mit viel Einfühlungsvermögen hat Simon Camatta die Zuhörer*innen mit seinem Schlagzeug auf einen spannenden Klangparkour mitgenommen. „Camatta empfindet sein Instrument nicht als Werkzeug, sondern als Partner.“ Freistil.
Knack! – Salome Amend, Luise Volkmann , Vasco Furtado
Das zweite Konzert des Abends bestreitet das Trio Knack! Vasco Furtado am Schlagzeug beginnt mit leisen Reibegeräuschen an einem Gong. Salome Amend am Vibraphon setzt mit wenigen leisen Tönen ein und Luise Volkmann spielt sehr zurückgenommen auf ihrem Altsaxophon. Das Saxophon spielt nun melodische Linien, Vibraphon und Schlagzeug halten den Rhythmus, zu einer langen Saxophon-Improvisation. Dann tritt Luise zurück und Vibraphon und Schlagzeug spielen ein spannendes Duett. Luise bringt sich mit Knack-, Klappen- und Luftgeräuschen ein, entwickelt dann langsame Linien und steigert sich.
Auf Vibraphon liegt eine große Plastiktüte, die Töne auffängt und verschluckt und dabei knistert. Vasco Furtado spielt dazu nur auf den Becken. So entwickeln die drei Musiker*innen, immer wieder kleine lyrische Miniaturen, die sich langsam und vorsichtig entwickeln. Die drei Musiker*innen haben sich 2020 auf einem Festival für improvisierte Musik kennengelernt und haben schnell ihre gemeinsamen musikalischen Vorstellungen entdeckt. Ein Jahr später haben sie bereits ihr Album “Aforismos“ herausgebracht.
Am dritten Abend der Experimentale spielen zwei Quartette. Diaphane, ein kollektives Quartet spielt als erste Gruppe. Frantz Loriot aus Zürich an der Bratsche, Raphael Loher aus Luzern an Piano, Carl Ludwig Hübsch aus Köln an der Tuba und Carlo Costa aus New York am Schlagzeug. Die Musiker arbeiten an allen Instrumenten mit erweiterten Techniken, ob es Klammern an den Saiten der Bratsche sind, mit farbiger Knete präparierte Klaviersaiten, oder allerlei Objekte auf den Fellen des Schlagzeugs, am meisten verändert Carl Ludwig Hübsch seine Tuba. Er spielt mit und ohne Mundstück, blockt den Schalltrichter mit verschiedenen Gegenständen oder seiner Faust, nutzt die Tuba als Perkussionsinstrument und bläst in unterschiedliche kleine Flöten. Die Handhabung seines Instrumentes hat herzlich wenig mit dem herkömmlichen Tubaspiel zu tun, so sind die erzeugten Klänge auch weit weg vom Klang einer Tuba. Alle Musiker erzeugen ungewohnte und überraschende Klänge auf ihren Instrumenten. Die Musiker beginnen mit sehr feinen filigranen Klängen, leise Töne, die die volle Aufmerksamkeit der Zuhörer*innen fordern und sie so ganz in die Musik hineinziehen. Aus diesen minimalistischen Strukturen formt sich langsam ein dichter Klangteppich, bei dem die Musik immer schneller spielen. Dann lassen sie den Sound wieder abebben und sich fein verästeln. Als eine kurze Pause entsteht, klatscht das Publikum Beifall, weil es nach einem Ende klingt. Aber Diaphane spielt dann noch weiter, es entwickelt sich ein explosiver Noiseklang. Ein wirklich wildes Ende für ein sehr spannendes und feinsinniges Konzert, ein Höhepunkt der Experimentale.
Das Abschlusskonzert spielt der Saxophonist Norbert Stein mit seinem Pata Ensemble, mit Michael Heupel an den Flöten, Dirk Bell an der Gitarre und Vasco Furtado, den wir schon mit der Band Knack! erlebt haben, am Schlagzeug. Neben dem Ensemblesound, bei dem mir manchmal das Saxophon zu laut ist und die anderen Instrumente in den Hintergrund verweist, gibt es viele spannende Duos und Trios. Etwa wenn Michael Heupel mit der Flöte zusammen mit Dirk Bell an der Gitarre spielt und das Saxophon nur sehr leise im Hintergrund zu hören ist, oder sehr lyrische Duos von Flöte und Saxophon. Aber die Band kann als Ensemble auch wilde Passagen spielen, bei der alle Instrumentalisten Vollgas geben. Nach diesem Wechsel von lyrischem Spiel und Freejazz Energie, stellt Norbert Stein die Frage, was denn noch fehle, um das Konzert abzurunden. Seine Antwort ist: „Das einfache Lied.“ Und so spielte das Pata Ensemble als Abschluss ein melodiöses Stück, mit Michael Heupel an der Bassflöte.
Das Pata Ensemble zeigt damit die Bandbreite seiner musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten und steht damit pars pro toto für die ganze Experimentale. In sechs Konzerten bekam das Publikum eine Fülle an musikalischen Ideen präsentiert, feine kleine Miniaturen ebenso wie wilde Klangattacken. Die Experimentale gleicht einer Lyrik-Lesung, mit feinen, geschliffenen Worten, überraschenden Wendungen, aber manchmal auch mit einem lauten Aufschrei. Musik, die Achtsamkeit fordert, die die Zuhörer*innen ganz in der Gegenwart ankommen lässt, die aber auch nachwirkt und
zum Nachdenken anregt. Anregung für Körper und Geist. Für Frank Baquet und das Kunsthaus Troisdorf bedeutet nach dem Festival vor dem nächsten Konzert. Neben dem jährlichen Experimentale Festival im September gibt es das ganze Jahr über spannende Konzerte und immer inmitten der ausgestellten Kunst, bei freiem Eintritt. Spenden sind natürlich erbeten.
Am Mittwoch, den 27.9. um 20 Uhr spielt das Meretrio, um den brasilianischen Gitarristen und Posaunisten Emiliano Sampaio im Kunsthaus Troisdorf zum Auftakt ihrer Europatournee.