Enrico Ravas Wild Dance
Italienische Melancholie mit überzeugendem Quartett
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Und wieder einer der ganz Großen des Jazz auf der Bühne des Grillo-Theaters: Der Trompeter Enrico Rava gehört zu den bekanntesten Vertretern seines Instruments, des Jazz in Europa, jetzt gibt sich der 78-Jährige mit seinem Wild Dance-Quartett die Ehre. Einen „wilden Tanz“ traut man dem drahtigen Italiener trotz seines Alters durchaus zu, in Essen zu erleben ist allerdings ein eher kammermusikalisches Konzert der Sonderklasse. Mit seinen Bandmitgliedern aus der Nachwuchsgeneration, mit Francesco Diodato an der E-Gitarre, Gabriele Evangelista am Kontrabass und Enrico Morello an den Drums, spielt das Quartett vornehmlich Titel aus seiner gleichnamigen CD-Veröffentlichung (s. Rezension bei nrwjazz ) - allerdings ohne den Posaunisten Gianluca Petrella.
Den Abend bestreitet die wandelnde Jazzgeschichte mit ihren vielen Wendungen und Entwicklungen mit unterschiedlichem Material und ausschließlich auf dem Flügelhorn. Rava beginnt mit dem poetisch-ruhigen Interiors mit den für ihn typischen Glissandi und dem Verschleifen des Tons, bei Choctaw, der Verbeugung vor Don Cherry,gibt der wuchtige Sound des Kontrabasses und des Schlagzeugs eine rhythmisch orientierte Grundlinie vor, auf der Rava und Diodati wunderbar solieren und in einen Dialog treten. Space Girl wird in einer meditativen Version präsentiert. In den Up-Tempo-Nummern Don’t und F.Express gibt Rava seinen Mitspielern viel Raum für eigenes Spiel, wie dies überhaupt für das Quartett charakteristisch ist.
Seinem Flügelhorn entlockt Rava einen klaren Sound, dieser ist mit dem des anderen großen Trompeters aus Europa, Tomasz Stankos, verwandt und doch als eigene Stimme identifizierbar. Die Melodielinien sind voller Melancholie, einer feinsinnigen, leichten Melancholie, man bekommt eine Ahnung davon, dass im mediterranen Selbstverständnis Melancholie und Lebensfreude als zwei Seiten einer Medaille gelten. Die Linien werden allerdings nicht lang ausgespielt, sondern sind eher aufblitzende Fragmente, kurze Phrasen. Rava ist mit einem nuancenreichen Timbre eher ein Kurzgeschichten-Erzähler. Faszinierend ist, wie Francesco Diodato die kurzen Themenaufrisse aufgreift, nachspielt oder im Unisono mit Rava parallelisiert - mit flinken Fingern, immer für eine neue Spielidee und eine technische Raffinesse aufgeschlossen. Die Virtuosität des Gitarristen und sein Füllhorn an Spielideen ersetzen im Rava-Quartett mühelos die Stimme eines zweiten Bläsers oder die Harmonien eines Pianisten, wie man sie etwa von Stefano Bollani kennt, der Entdeckung von Enrico Rava mit seinem Gespür als Talentscout. Auch Enrico Morello und Gabriele Evangelista erweisen sich in ihrer Rolle als zupackende und nuancierte Rhythmusgeber und Solisten als hervorragende Musiker.
Das Publikum ist begeistert und zollt dem Quartett nach einem traurig-schönen Once Upon A Summertime begeisterten Applaus, um in die winterliche Kälte entlassen zu werden. Tröstlich zu wissen, dass – wie „Jazz in Essen“-Leiter Berthold Klostermann stolz ankündigt – Stefano Bollani am 22. April Gast im Grillo sein wird. Stefano Bollani? Genau: der!