Auf ein Neues
Beeindruckende Wiedergeburt des RuhrJazzFestivals
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Nach 22-jähriger Kunstpause gibt es wieder das RuhrJazzFestval im Kunstmuseum Bochum. Im Jahre 1985 wurde es von Ulli Blobel – Musikproduzent und Begründer des legendären Jazzfestivals in Peitz („Moers der DDR“) – ins Leben gerufen und 1989 vom Musiker Martin Blume bis 1996 fortgeführt, als es wegen ausbleibender Förderung durch den WDR aussetzen musste. Und jetzt der Neubeginn – und was für einer!
Das Programm der drei Fest-Tage überzeugt gerade in seiner Vielfalt, ja, das durchweg begeisterte Publikum lobt gerade die Mischung: von Groß-Formationen und großen internationalen Namen und kleinen Besetzungen und Vertretern der regionalen Szene, von „alten Hasen“ und jüngeren Musiker*innen bis hin zu Shooting Stars. Auch stilistisch deckt das Festival eine gewisse Bandbreite ab, ohne zu einem Gemischtwarenangebot der Beliebigkeit und Zufälligkeit zu verkommen, wie es manchen anderen Festivals passiert, die den gerade angesagten Namen des Mainstreams entsprechen wollen. Nein, das RuhrJazzFestival bleibt seinem damaligen Profil treu, ein Forum der Improvisierten Musik zu sein, und erweitert dies geschickt um programmatische Akzente wie etwa den Auftritt von Gianluigi Trovesi & Gianni Coscia. Die beiden Italiener warten im ausverkauften Saal mit einem Reigen aus Weill, canzoni italiane und Jacques Offenbach auf. Dies wird, wie auch Django – eine Version von Donna Donna - und Pinocchio, in einer schalkhaften Anmoderation und eben solchen Interpretation dargeboten, deren Frische im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Alter des Akkordeonisten und des Klarinettisten steht.
Eröffnet wird das Festival mit Jan Klare und seiner Großformation The Dorf, die mit ihrem fetzigen Punk-Rock-Jazz-Mix das Festival gleich auf ein hohes Energielevel setzt. Das folgende 3-Generationen-Quartett mit der Rolf Kühn Unit bleibt auf diesen Höhen, wenn auch mit ganz anderen Mitteln. Der Doyen der Jazzklarinette von Weltformat (Jg. 1929!) überzeugt mit seinem nach wie vor stupenden Ton auf seinem Instrument, ebenso mit seiner dynamischen Band mit dem Bassisten Johannes Fink und den beiden Shooting Stars, mit Ronny Graupe an der Gitarre und Christian Lillinger an den Drums. Ihre Interaktion entfaltet eine unglaubliche Spannung und ist von einer Subtilität und Finesse getragen, die den Wesenskern des Jazz ausmacht: die Freiheit, die jeder Musiker dem anderen lässt, verbunden mit den Impulsen, die man sich gegenseitig gibt, ohne in Ehrfurcht vor dem Alter oder dem eigenen, noch jungen Ruhm zu erstarren. Die implizite Botschaft des Quartetts bezieht sich treffend auch auf das Festival-Revival: Der Jazz geht weiter seinen Weg.
Zu dem Revival-Charakter passt auch ein wenig der nostalgische Rückblick, wenn die beiden Klarinettisten Eckard Koltermann und Theo Jörgensmann ihr subtiles Zwiegespräch halten, gehörten doch beide bereits zu den Musikern des früheren Festivals. Ihrem konzentrierten und intimen Musizieren ist deutlich auch die Freude darüber anzuhören, wieder gemeinsam beim Revier-Festival spielen zu können, das alte Festival-Feeling mit seiner inspirierenden Schubwirkung wieder aufleben zu lassen.
Das samstägliche Mitternachtskonzert ist mit Monk’s Mood Thelonious Monk gewidmet. Das Wolfgang Schmidtke Orchestra zelebriert zum 100. Geburtstag des Bebop-Großmeisters im letzten Jahr ein Feuerwerk einer Großformation. Man erkennt bereits nach den ersten Tönen, dass die Bezeichnung „Big Band“ bei dem Sound der 15 Musiker*innen unangebracht ist: Das „orchestra“ besteht in der Tat aus Musikerpersönlichkeiten, die ihren individuellen Sound und ihre Stärken nicht einer homogenen „glatten“ Big Band-Ästhetik opfern, sondern im Zusammenspiel und in den vielen Soli einen eigenen Sound kreieren. Die Arrangements von Bandleader Wolfgang Schmidtke übersetzen die Monk’schen Kompositionen perfekt in eine adäquate Band-Sprache. Die je fünf Musiker*innen aus NRW, Italien und Berlin feiern fetzig pointiert den 100. des Genies des Jazzklaviers und der Jazzkomposition. Die Soli aller Mitspieler belegen die höchste Qualität dieser Formation. An dieser Stelle können nur zwei aus der Band herausgehoben werden: Zum einen ein weiterer Grandseigneur des deutschen Jazz, der Saxophonist Gerd Dudek (Jahrgang 1938) mit seiner großartigen durchsetzungsfähigen Stimme am Tenor- und Sopransaxophon, zum anderen Helga Plankensteiner am Bariton-Saxophon, die bereits in den unterschiedlichsten Gruppierungen wie z.B. der Carla Bley Bigband mitgespielt hat, von der man sicherlich noch viel hören wird.
Der Konzert-Reigen am Sonntag wird von dem Berliner Julie Sassoon Quartet Fourtune eröffnet. Die Pianistin Julie Sassoon war bereits vor kurzem in einer anderen Formation bei einem Konzert im Kunstmuseum zu erleben (s. nrwjazz-Review), ihr Festival-Konzert bestreitet sie mit Lothar Ohlmeier (bs-cl, ss), Meinrad Kneer (b) und Rudi Fischerlehner (dr). Das Quartett erzeugt eine ganz eigentümliche Tonsprache: von sehr ruhigen, sensiblen Passagen zu expressiven Klangeruptionen und umgekehrt. Die Pianistin setzt dabei sowohl hämmernde Klangkaskaden und wuchtig-virtuose Tastenkunst ein als auch leise Töne mit intensiver Nutzung des Sustain-Pedals, die lang angehaltenen schwebenden Töne geben dem Klaviersound einen impressionistischen Charakter. Vor allem Lothar Ohlmeier nimmt diese Stilistik mit seinem Sopran-Sax und seiner Bass-Klarinette wunderbar auf.
Es folgt das Trio mit John Butcher (ts,ss), Wilbert de Joode (b) und Co-Veranstalter Martin Blume (dr/perc). Auch hier erlebt man ein Glanzstück improvisierter Musik: John Butcher entlockt seinen beiden Blasinstrumenten eine Vielzahl von unerhörten Tönen, die mit dem zupackenden Stil des holländischen Bassisten und dem filigran-klanglichen Spiel des Perkussionisten bestens „harmonieren“. Ein sehr intensiver Trialog der drei herausragenden Vertreter der europäischen Impro-Szene!
Der Abschluss des Festivals erfolgt mit James Blood Ulmer und dem skandinavischen Free Jazz-Trio The Thing. Gitarren-Legende James Blood Ulmer nimmt sich in seinem Spiel ziemlich zurück und behandelt seinen 6-Saiter geradezu reduktionistisch, lächelnd und mit ein paar Riffs und Läufen auf seiner Gitarre schaut er dem Spiel von The Thing zu. Das Power-Trio mit Mats Gustafsson (ts), Ingebrigt Haker-Flaten (b) und Paal Nilssen-Love (dr) drückt mächtig „auf die Tube“ der lautstarken freien Improvisation, getreu dem Free Jazz-Motto „no chords, no scales, no modulation“. Ein brachialer Orkan fegt durch das voll besetzte Forum im Kunstmuseum, unaufhörlich setzt Mats Gustafsson mit seinem Instrument zu neuem Dauerschrei an, von ebenso lautmächtiger Wucht durch Bass und Drum begleitet: 90 Minuten pure musikalische Energie.
Deutlich spürbar ist eine gewisse Aufbruchseuphorie bei den Machern und beim Publikum des RuhrJazzFestivals. In gespannter Erwartung freut man sich auf das Festival im kommenden Jahr. Es geht weiter mit ambitionierter improvisierter Musik, Musiker, Publikum und Veranstalter haben allen Grund, sich darüber zu freuen.