Acht Brücken – Großstadtpolyphonie
Vom U-Bahnhof über die Skaterhalle zur Philharmonie
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Jörg Hejkal
Zum neunten Mal findet in Köln 12 Tage lang das Festival Acht Brücken - Musik für Köln statt.
Acht Brücken im U-Bahnhof
Musiker des Ensemble MusikFabrik mit dem Kammerchor der Uni Köln und Schüler*innen des Albertus-Magnus-Gymnasiums spielen und singen im U-Bahnhof Heumarkt in Köln. Passanten steigen aus der U-Bahn, bleiben stehen und hören der Musik zu. Es ist anspruchsvolle und für viele sicher auch ungewöhnliche Musik. Einige Hundert Menschen stehen bei den Musikern, viele sind gezielt wegen der Musik gekommen, aber auch eine große Anzahl an Passanten, die zufällig auf die Musik stoßen, verweilen dort. Diese Musik vom Komponisten Gerhard Stäbler bildet den Auftakt des Acht Brücken Festivals.
Stäbler nennt seine Komposition Hörflecken, da sie an unterschiedlichen Orten im großen U-Bahnhof Heumarkt aufgeführt wird. Sänger*innen und Teile des Ensembles wechseln die Orte. Einzelne Musiker sind Solo an unterschiedlichen Standorten zu hören. Gruppen von Sprecher*innen bewegen sich auf der Rolltreppe und in den Durchgangsräumen zu den Bahnsteigen und rezitieren Texte im vorgegebenen Rhythmus. Beendet wird die fast zweistündige Musikaktion mit einer Performance von Gerhard Stäbler und Kunzu Shim. Gibt es einen besseren Ort um ein Festival mit dem Thema Großstadtpolyphonie zu eröffnen, als einen Innenstadt U-Bahnhof?
Musik von Gerhard Stäbler ist während Acht Brücken nicht nur im U-Bahnhof zu hören, sondern auch in der Philharmonie. Dort wird sein Werk Den Müllfahrern von San Francisco vom WDR Sinfonieorchester unter Brad Lubman aufgeführt. Als Orchesterwerk ist dies eine Uraufführung. Ursprünglich hat Stäbler das Werk vor 30 Jahren für ein Ensemble geschrieben. Eine kritische Aufarbeitung seines Amerikaaufenthaltes. Eine stürmische Musik mit einem eingängigen Thema. Unter dieser Oberfläche gibt es noch eine kryptische Ebene. Stäbler hat das Gedicht America von Allen Ginsburg in Morsecode umgewandelt und in die Komposition eingeflochten. Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen der USA, wie sie nun wieder (oder immer noch?) aktuell ist. Ein Höhepunkt des Festivals.
All that Jazz
In einerGroßstadtpolyphonie darf Jazz nicht fehlen. Im großen Sendesaal des WDR tritt die Afro-amerikanische Saxophonistin Tia Fuller mit ihrem Quartett auf. Sie spielt ihr komplettes aktuelles Album Diamond Cut. Straight Ahead Post Bop mit einer ganz eigenen Stimme. Ihr dunkles Altsaxophonspiel reicht von Balladen bis zu freien Improvisationen im Geiste von Charly Parker. Bei Tia Fullers, die viel mit Superstar Beyoncé zusammengearbeitet hat, ist in der Musik immer eine Prise Soul beigemischt. In ihrem aktuellen Quartett verzichtet sie zum ersten Mal auf ein Piano, stattdessen wird eine Gitarre eingesetzt. Tia Fuller steht bei aller Eigenwilligkeit in der Tradition von Wes Montgomery oder Cannonball Adderley. Ein Highlight für Jazzfans.
Auch viele junge kreative Jazz- Musiker*innen aus Köln sind vertreten. Ihre Konzerte finden unter dem Titel jazz and beyond im Klub Domhof statt. Bands und Projekte wie etwa das groovig experimentelle theLAB mit Thea Soti, Rebecca Salomea und Anthony Greminger feat. Sebastian Gille und Leif Berger oder das Indie Projekt MAREK JOHNSON von David Helm mit Thomas Sauerborn und Dominik Mahnig. Der bekannte Bassist Helm schafft sich als MAREK JOHNSON ein Alter Ego und spielt hier E-Gitarre, Keyboard und singt. Das Köln-Berliner Quartett mit Wanja Slavin, Pablo Held , Oliver Lutz und Andi Haberl bietet Jazz im Grenzbereich von Avantgarde und Jazzrock und mit dem Filippa Gojo Quartett feat. Theresia Philipp , Jonivon Freitas, Tim Dudek, Alphonso Garrido werden dem Publikum brasilianische Rhythmen präsentiert.
Auch das Abschlusskonzert in der Kölner Philharmonie mit Afrobeatlegende Tony Allen und Techno Urgestein Jeff Mills gehört durchaus in den Bereich jazz and beyond. (Siehe Bericht von Stefan Pieper:
http://nrwjazz.net/jazzreports/2019/Jeff_Mills,_Tony_Allen_und_Jean-Philippe_Davry_in_Koeln_/
Ungewöhnliche Orte in der Großstadt
Nicht nur ein U-Bahnhof ist ein ungewöhnlicher Ort für Konzerte, auch die Lagerstätte für mobile Hochwasserschutzelemente an der Rodenkirchener Brücke ist nicht wirklich für Konzerte gedacht. Dort spielt der umtriebige und von der Kritik hoch gelobte Kölner Posaunist Janning Truman mit seiner Band Makkro, die mit doppelten Tasteninstrumenten ( Christian Lorenzen / Oliver Lutz ) und Schlagzeugen ( Thomas Sauerborn / Fabian Arends ) besetzt ist und in der David Helm den Bass zupft.
Akiko Ahrendt, Violine und Dirk Rothbrust, Schlagzeug, treten ebenfalls in einem besonderen Ort auf, der Skaterhalle in Kalk. In ihre Musik werden die Fahrgeräusche und Klacken beim Stop and Go von drei Skatern miteinbezogen. Idee und Regie hat Lea Letzel. Ein sehr besonderes Projekt, bei dem experimentelle improvisierte Musik mit der musique concrete der Skaterboarder hervorragend verwoben wird. Auch ein kleines Highlight.
Auch auf dem Rhein an Bord eines Schiffes wird Musik gemacht und die vorbeiziehende Stadtlandschaft wird hier in eine Klanglandschaft verwandelt.
In den Veranstaltungsorten spiegelt sich die ganze Breite der Musikauswahl des Festivals wieder, vom Club bis zur Philharmonie, von Jazz über Indie bis zum Sinfonie Konzert.
Im Fokus: Georges Aperghis
Der Komponist und Musiktheatermacher Georges Aperghis ist im Fokus des diesjährigen Festivals. Aperghis wurde 1945 in Athen in einer Künstlerfamilie geboren und ist mit 18 Jahren nach Paris gezogen, wo er seit dem lebt und wirkt. Beeinflusst von Iannis Xenakis, Mauricio Kagel und John Cage beginnt er zu komponieren. 1965 heiratet er die Schauspielerin Edith Scob und entdeckt das Theater für sich. In der Folge werden in seinen Werken immer wieder Musik, Malerei, Film und Theater miteinander verbunden. 1976 gründet das Atelier für Theater und Musik (ATEM). Hier werden Alltagsituationen in die Poesie von Musik und Theater überführt. Geoges Aperghis ist ein Künstler der Großstadt und ist eine gute Wahl für das Motto Großstadtpolyphonie. Acht Brücken gibt mit 18 Werken in zwölf Konzerten einen breiten Überblick über das Werk von Aperghis.
Weitere Highlights
Nach den spannenden Hörflecken im U-Bahnhof Heumarkt beginnt auch das erste Konzert in der Philharmonie direkt mit einem Highlight, Die Hamletmaschine von Aperghis. Der Komponist hat das dramatische Sprechstück von Heiner Müller zu einem deutsch-französischen Oratorium geformt. Das niederländische Ensemble Asko| Schönberg und das SWR Vokalensemble setzen dieses sprachmächtige Werk eindrucksvoll um.
Bemerkenswert ist auch das Werk Im Schatten der Harfen von Georg Friedrich Haas,bei dem zwei Harfen im Mittelpunkt stehen, die unterschiedlich gestimmt sind. Die eine ist normal gestimmt und die andere hat eine besondere mikrotonale Stimmung. Das Ensemble greift die Impulse der Harfen auf und spiegelt sie.
Der junge katalanische Komponist Alberto Posadas schafft in seinem Werk Umbrales evanescentes mit zwei Bläser Duos eine besondere Spannung. Die vier Solisten stehen dem Ensemble gegenüber. Von unglaublich feinen Pianissimo Teilen bis zu furiosen Passagen ein sehr gelungenes Auftragswerk für das Festival. Das Werk ist Teil von Posadas Poética del espacio (Poetik des Raumes).
Herausragend sind auch die Werke der in Köln lebenden chinesischen Komponistin Yin Wang und der in Berlin lebenden britischen Komponistin Rebeca Saunders, die in der Trinitatiskirche aufgeführt wurden.
Schmutz von Yin Wang für Geige und Orchester setzt sich musikalisch mit dem Thema Individuum und Gesellschaft auseinander. Die Geige als Verkörperung des Einzelnen steht den stürmischen Klängen des Ensemble gegenüber. Ein sehr eindrückliches Werk der jungen Komponistin. Bei Rebecca Saunders Scar geht es um die Verwundbarkeit des Körpers und die Narben die sie hinterlässt. Mit einem hohen Dynamikumfang von dreifach Pianissimo bis zu wilden Ensembleausbrüchen. Alle vier genannten Werke hat das Klangforum Wien hervorragend dargeboten.
Ein besonders eindrückliches Erlebnis ist das Werk Run Time Error von Simon Stehen-Andersen, das im Schauspiel Köln vom Ensemble Modern aufgeführt wird. Eine ortsspezifische Live-Musik-(Vorab-) Video Komposition, die 2009 entwickelt wurde. Der Autor wählt einen Ort, hier: ein altes Industriegelände in Köln, dort nutzt er vorhandene Gegenstände um Klänge zu produzieren. Das wird auf Video festgehalten. Dieser Film wird dann eingespielt und Live mit Musik unterlegt. Der Autor hat eine Konsole mit zwei Joysticks und kann den Film damit steuern, d.h. zurücklaufen oder hin und her laufen lassen. Er kann auch die Tonspur steuern und diese mit der Livemusik verbinden. Ein spannendes visuelles und klangliches Erlebnis, das das Publikum sehr fordert. Der Film läuft ausgesprochen schnell bzw. schnell hin und her, mit entsprechender Klangbegleitung. Manchmal wähnen die Zuhörenden sich auf einem Drogentrip.
Ein visuell-musikalisches Highlight ganz anderer Art bietet das Konzert des Concertgebouorchesters Amsterdam mit den Solistinnen Patricia Kopatchinskaja, Violine und Sol Gabetta, Cello. Die beiden Streicherinnen spielen mit vollem körperlichem Einsatz. Michel von der Aa hat das Werk akin für die beiden Virtuosinnen geschrieben. Wobei nicht nur die Solistinnen sehr gefordert werden, sondern auch das großartige Amsterdamer Orchester seine ganzen Qualitäten zeigen muss. Dirigent ist Peter Eötvös. Er dirigiert auch sein eigenes Werk Alle vittime senza nome – An die namenlosen Opfer. Ein musikalisch eindrückliches Requiem für die Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrunken sind. Ein sehr politisches Werk und ein großes Stück Musik.
Es gäbe noch vieles zu erwähnen: Riot of Spring mit dem Stardirigenten Teodor Currentzis, Parkour für Jazzquintett und Musikroboter von Sebastian Gramss, die beiden Solowerke für Schlagzeug von Aperghis, großartig von Christian Dierstein umgesetzt, das Konzert für Akkordeon und Orchester von Aperghis und Bruckners 6. Sinfonie vom Gürzenich Orchester unter Emilio Pomárico und vieles mehr.
Acht Brücken ist seinem Motto Großstadtpolyphonie gerecht geworden. Von vielen unterschiedlichen Seiten wurde das Thema musikalisch ausgelotet. Acht Brücken steht für Gegenwartsmusik unterschiedlicher Genre und gehört damit zu den zukunftsweisenden Festivals. Die aktuelle Gegenwartsmusik ist geprägt davon, dass sich Genre gegenseitig beeinflussen oder miteinander verwoben werden. Spartenfestivals wie Jazz-, Klassik- oder Neue Musik-Festivals haben ihre Berechtigung, aber Festivals die über die Genregrenzen hinaus gehen bilden die Gegenwartsmusik in all ihren Schattierungen auf unterschiedlichen Ebenen ab.
Wir dürfen uns schon jetzt auf das 10. Festival Acht Brücken 2020 mit dem Titel Kosmos vom 30. April bis 10. Mai freuen.
Berichte über die vorherigen Acht Brücken Festivals:
http://nrwjazz.net/reviews/2015/Acht_Bruecken_2015_Festivalbericht_/
http://nrwjazz.net/jazzreports/2016/Acht_Bruecken_im_Zeichen_von_Spirtualitaet_und_Glaube_/
http://nrwjazz.net/jazzreports/2016/schlaglichtachtbrueckenfestival/
http://nrwjazz.net/jazzreports/2018/Acht_Bruecken_Festival_zweitausendachtzehn_Koeln/