In Ideen eintauchen
Interview mit der Bandleaderin Luise Volkmann
Bielefeld, 18.03.2018
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Jürgen Volkmann
Wenn sie Songs arrangiert, geht es meist nicht unter einer mindestens zehnminütigen “Jazzoper” zur Sache. Und warum sich mit kleinen Besetzungen begnügen, wenn eine zwölfköpfige Truppe doch viel mehr Ideen, Emotionen, Farben und vor allem auch musikalische Stileinflüsse von Klassik bis Rock beisteuern kann. Denn davon hat die gebürtige Bielefelderin genug in petto. In Leipzig studiert, saugt sie jetzt in Paris oder Berlin sämtliche urbane Energien auf. Ihre Livekonzerte, aber auch der aktuelle Debut-Tonträger “Eudaimonia”, erschienen auf dem Label des in der Schweiz lebenden Postaunisten Nils Wogram, sind auf jeden Fall eine spannende musikalische Neuentdeckung! Wann hast Du zum ersten Mal darüber nachgedacht, Profimusikerin zu werden? Das habe ich mit 17 entschieden. Dem Wunsch bin ich treu geblieben! Ich hatte einen sehr guten Musik-LK am Gymnasium in Bielefeld. Die Entscheidung, Jazz-Saxofon zu studieren, kam erst relativ spät.Als ich zum Studium nach Leipzig kam, habe ich viele Projekte gemacht, mich soziokulturell engagiert, außerdem Festivals veranstaltet und Konzerte in Schulen gegeben. Ich habe immer den Mut zu fragen gehabt und mich getraut, mit Musikern zusammen zu spielen, die eine Nummer größer sind als ich. Ich habe immer allen Ideen Raum gegeben und viel ausprobiert. Ich gehe auf Menschen offen und ehrlich zu. Wie hat der Bielefelder Jazzclub Bunker Ulmenwall Deine künstlerische Sozialisation geprägt? Ich bin dort sehr früh mit experimenteller Musik in Berührung gekommen, auch mit Freejazz und habe dort viele Kontakte bekommen und die ersten professionellen Konzerte gemacht. Was hat Dich nach Paris verschlagen? Ein Erasmus-Stipendium in Paris bestärkte meinen Wunsch, ins Ausland und speziell nach Frankreich zu gehen.Was mich da behalten hat, war die Anziehungskraft der großen Stadt mit vielen Musikern einer eigenen Szene. Das alles habe ich beim Studium in Leipzig etwas vermisst. Paris ist sehr unerbittlich. Alles ist sehr stark konzentriert. 15 Millionen Menschen leben auf engem Raum. Hier prallen ganz viel Kontraste aufeinander. Damit muss man klarkommen. Aber alles ist extrem echt. Es geht nicht anders, als den Dingen ins Gesicht zu sehen. Alles gibt einem hier Kraft in einem wuchernden Dschungel. Was reizt Dich speziell an großen Besetzungen? Da ist zum einen die kompositorische Herausforderung. Große Besetzungen bieten viel mehr Möglichkeiten, den Ideen Ausdruck zu geben. Zum anderen bin ich gerne unter Leuten. Man kann zu zwölft einfach ganz andere Dinge überbringen, als wenn man nur zu dritt ist. Je mehr Leute, desto mehr Ideen und Gefühle sind im Raum. Wie definierst Du Deine Rolle als Bandleaderin? Das ist alles meine Musik, die nur ich schreibe und ich leite die Proben. Alles funktioniert nur, weil ich viele Helfer habe. Meine Eltern, aber auch die anderen Musiker unterstützen mich in organisatorischen Dingen. Aber letztlich zentriert sich alles bei mir. Du nennst Deine großen Kompositionen gerne „Songs“, auch wenn die Stücke oft in regelrechte kleine Jazz-Opern ausufern. Wie sieht der Werdegang üblicherweise aus? Ich habe meist eine fixe Idee für ein Thema. Die kommt oft aus meinem ganz privaten Bereich. Vor allem: Ich denke mir für ein Stück immer eine Geschichte aus. Dann denke ich über Instrumentierung und Formen nach. Ich stelle bestimmte Musiker heraus, entwickele bestimmte Klänge, zitiere einschlägige Techniken. Deine Musik berührt bei aller Komplexität sehr unmittelbar, wo andere sich in großen Labyrinthen verlieren. Was ist Deine wichtigste Inspirationsquelle? Ich glaube, ich bin einfach sehr ehrlich und schäme mich meinen Gefühlen nicht. Welche Einflüsse haben bei Dir Spuren hinterlassen? Die Musik, die mein Vater gehört hat, ist wichtig. Da ist ganz viel Musik aus den 60ern, 70ern, 80ern, aber auch Klassik, westafrikanische Einflüsse, Blues, viel Rock und überhaupt Musik, zu der man tanzen kann. Ich hatte mal eine Rebellierungsphase, wo mir Punk und Hardcore sehr wichtig war, was mir den Einstieg zum Freejazz geliefert hat. Brasilianische Musik bedeutet mir auch sehr viel, zumal ich auch schon in Brasilien gelebt habe. Ich habe auch viel Jazz gehört und auch immer Musik mit Stimme wie zum Beispiel Björk. Im Sommer habe ich mich mit bulgarischer Musik beschäftigt - ich war gerade in Bulgarien. Und natürlich ist freie Improvisation ein wichtiger Einfluss. Bist Du unerbittlich? Wie vermittelst Du alles Deinen Leuten? Es geht darum, für die eigenen Ideen einzustehen. Ich finde es manchmal auch belastend, die Chefin zu sein, weil ich es ja auch toll finde, demokratisch zu sein/zu arbeiten. Wie hast Du die ganzen charaktervollen Leute für Deine Formation „Eté Large“ zusammen bekommen? Ich habe viel gefragt und gesucht und über Kontakte und Freunde viele Leute gefunden, auch aus Frankreich. Die Sängerin Casey Moir ist eine Australierin, die aber in Berlin gelebt hat. Sie hat viel freie Impro und viele Jazzprojekte gemacht. Laurin Oppermann ist der etwas Verrückte in der Band, hat aber ganz viel Herz. Er ist einer der wenigen klassischen Sänger, der bereit war, sich auf meine Musik einzulassen. Ich habe auch viele andere Bandleader dabei, zum Beispiel den Posaunisten Tobias Wember, der in Köln das Subway Jazz Orchestra leitet. Es ist immer schön, in die Ideen anderer Leute einzutauchen! Du hast bestimmt schon wieder viele neue Projekte im Kopf! Gibt es eine ganz besondere Empfehlung? Am 28. Juli spielen wir bei einer Bach-Nacht im Schloss Marienmünster in Höxter, da spielen wir unser Programm erweitert um eine Auftragskomposition in Zusammenhang mit Johann Sebastian Bach. Das ist ein kleines Festival. Die Bedingungen waren, hier in einem klassischen Festival einen Jazz-Act zu platzieren und hier den Bezug zu Bach herzustellen. Aktuelle CD
Luise Volkmann
Eté Large: Eudaimonia (Nwog Records 2017)