Grenzüberschreiter aus dem Ruhrgebiet
Ein Interview mit dem Posaunen-Erneuerer Rocco Rescigno
TEXT: Stefan Pieper |
Duisburg – eine Stadt, die man eher mit Stahlwerken als mit Avantgarde assoziiert. Doch genau hier, in der nordrhein-westfälischen Kulturlandschaft zwischen Rhein und Ruhr, forscht einer der innovativsten zeitgenössischen Bläser Europas: Rocco Rescigno. Der italienische Posaunist der Duisburger Philharmoniker nutzt seine Orchesterheimat als Basislager für ein zehnjähriges Soloprojekt, das nun mit dem Soloalbum "Echoes of Now" seine Vollendung erfuhr und die Posaune aus allen angestammten Rollen befreit – kein sinfonisches Fundament mehr, kein Combo-Mitglied, sondern autonome Erzählstimme. Das aktuelle Release des Wahl-Duisburgers ist ein Manifest künstlerischer Unabhängigkeit. nrwjazz traf den umtriebigen Musiker zum Gespräch über künstlerische Emanzipation, die Beziehung zur Stille, kreative Freiräume zwischen Orchesterdienst und Soloproduktion – und darüber, warum Duisburg die perfekte Heimat für musikalische Grenzgänger ist.
Eine Solo-CD nur für die Posaune allein ist schon ungewöhnlich genug. Was für ein persönliches Statement verbirgt sich für Dich dahinter?
Echoes of Now war ein Herzensprojekt. Wenn ich mich präsentieren möchte, und das wird meine allererste Produktion, dann nicht mit einem Repertoire, das jeder schon gemacht hat. Diese Form von Unabhängigkeit ist klar gewollt – auch wenn vielleicht einige Leute jetzt sagen: Du bist ja komplett verrückt. Aber das ist genau der Punkt – sich nicht einschränken zu lassen, die Posaune aus ihren Rollen zu befreien, jungen Komponisten eine Stimme zu geben. Das ist künstlerische Emanzipation.
Wie unterscheidet sich dein Spiel und diese Musik von deinen sonst üblichen Projekten und Besetzungen?
Manfred Schumacher, mein Tonmeister für diese Aufnahme, hat es beim Zusammenschneiden eigentlich gut auf den Punkt gebracht: Er bemerkte, dass ich in dieser Musik mit den Pausen zusammen spiele. Und ja, tatsächlich werden die Pausen hier besonders wichtig. Ich finde es überhaupt spannend, eine Beziehung zur Stille zu haben. Sie ist Begleiter in meiner Musik für Posaune solo, ebenso wie der Raum. Im Orchester ist die Situation eine andere – da spielt man, was da steht, weil der Gesamtklang vom Orchester jede Stimme braucht. Alleine bin ich viel freier, da kann ich immer wieder entscheiden, was ein Ton bedeutet. Ich kann mich immer fragen: Wie kann ich das so gestalten, dass das rauskommt? Das ist eine komplett andere Freiheit.
Diese Freiheit scheint zentral für das Projekt zu sein. Geht es auch darum, die Posaune aus ihren üblichen Rollen zu emanzipieren?
Absolut. Hier habe ich den Raum, das Instrument sprechen zu lassen. Die Posaune ist in meinem Soloprojekt kein sinfonisches Fundament mehr, kein Tuttiverstärker, kein Bandmitglied in einer Combo – sondern Statement, Monolog und Bekenntnis. Es geht dabei aber nicht um meinen eigenen Egotrip – das ist mir auch sehr wichtig. Ich will, dass man das Stück anhört und nicht den Posaunisten. Ich selber will ja gar nicht in der Mitte sein, sondern verstehe mich eher als ein Medium. Der Spaß geht mir dadurch überhaupt nicht verloren, vor allem, weil ich solo richtig mit den Klängen spielen kann. Das kann man im Orchester oder in einer Band natürlich nicht so machen, weil wir da immer als Team spielen.
Hattest du prägende Schlüsselerlebnisse für diese Entwicklung?
2015 bekam ich eine Einladung vom Verein TKE zum Festival Risuonanze in Italien. Ein Festival für moderne Musik, teils Wettbewerb für neue Kompositionen. Ich habe sofort zugesagt, weil ich das einfach spannend fand. Dann bekam ich plötzlich elf Stücke direkt von den Komponisten. Ich war überrascht, wie unterschiedlich die Stücke waren. Komplett verrückt. Von sehr jungen Komponisten bis zu etablierten Dozenten – alles dabei aus allen möglichen Kulturkreisen. Das Tolle war, dass ich richtig mit den Komponisten sprechen konnte, weil die natürlich selber auch nicht wussten, wie die Stücke klingen würden. Als die Komponisten mich dann spielen gehört hatten, haben viele angefangen, Stücke für mich zu schreiben. Die waren irgendwie so begeistert. Man spürt: Diese jungen Komponisten aus aller Welt suchen nach Musikern, die ihre Ideen ernst nehmen und zum Leben erwecken.
Du sprichst von einer Generation, die nach Ausdruck sucht. Was sagt das über die zeitgenössische Musikszene?
Diese Musik entspricht so ein bisschen der Gesellschaft – die Komponistenszene von heute ist extrem divers. Karen Keyhani kommt aus Teheran, Jorge Antunes aus Brasilien und ich habe auch Stücke von italienischen und deutschen Komponisten bekommen.
Was ist das Besondere an diesen Stücken, kannst du dafür ein paar Beispiele geben?
Jedes Stück hat eine große Bedeutung und viele erzählen das auch. Zum Beispiel Keyhanis Nightly Monologue III, welches ein Gedicht über Leben und Tod präsentiert. Ein Adler fliegt vom Gipfel des Berges runter und sieht sein ganzes Leben. Die letzten zwei Töne des Stückes, die ich ohne Dämpfer spiele, sind der Moment des eigentlichen Todes. Das hat etwas Symbolträchtiges: Der ganze Lebensweg ist gedämpft, aber der Moment des Todes hängt offen.
Das Stück In direzione ostinatamente contraria von Davide Pitis ist wie ein Schlüssel zum ganzen Programm. Da gibt es zum Beispiel ein Ostinato, das sich selbst sabotiert. Hartnäckigkeit geht hier mit ironischer Subversion einher. Mir ist immer aufs Neue die Emanzipation ein Anliegen: Nämlich als Musiker nicht nur auszuführen, sondern selbst zu gestalten, zu komponieren und zu entscheiden.
Einige Stücke gehen sehr theatralisch vor – etwa Antonio Agostinis „La Solitudine di Medusa“, wo du selbst deinem Spiel mit dadaistischer Lautpoesie antwortest, oder Il Gentiluomo di Livorno von Sonia Bo, wo auch Kuhglocke und Topfdeckel erklingen. Was für ein Anliegen steht hinter solch verspielten Erkundungen?
Das hat für mich immer etwas von Befreiung – vom rein musikalischen Denken hin zum Gesamtkunstwerk. Bei Agostini trete ich selbst in einen Dialog mit meinem Instrument durch meine eigene Stimme. Bei Il Gentiluomo di Livorno geht es noch weiter – die Geschichte ist: Dieser Mann aus Livorno sagt „Buongiorno", schaut sich in den Spiegel, und der Spiegel antwortet zurück. Da gibt es Topfdeckel, einen Hut, Vogelstimmen, eine Entenstimme, Pfeifen. Wenn jemand das auf einer Bühne spielt, kommt man ins Schauspielerische rein. Man geht über das reine Spiel hinaus und mir geht es auch darum, tänzerische Gesten von allen Klischees zu befreien – und das sind natürlich Dinge, die in einer Combo oder einem Orchester nie denkbar wären. Bei Coffee Spots pfeife ich, und dann experimentiere ich mit dem Harmon-Dämpfer. Den kann man auseinanderbauen und der Klang verändert sich dadurch. Der eine Klang ist mehr nasal, der andere klingt wie eine ferne Trompete. Hier immer mehr mit den Klängen zu spielen, fühlt sich wie ein richtiger Weg für mich an.
Was war der Impuls, diese neue Musik auf CD zu dokumentieren?
Die jungen Komponisten, deren Stücke ich hier aufgenommen habe, haben mich gefunden, und dann ist es in meinen Händen: Möchte ich damit was machen oder möchte ich es sterben lassen? Die Zukunft liegt aktuell in meiner Verantwortung. Zeitgenössische Musik hat generell ein Problem mit öffentlicher Aufmerksamkeit. Deswegen ist es auch so wichtig, dass es Labels wie ARS gibt, die sich neugierig und engagiert auf solche Wagnisse stürzen – ebenso wichtig sind Festivals, in denen neue Verbindungen zwischen Musikern und Komponisten generiert werden.
Willst du auch dazu beitragen, das Repertoire zu erweitern?
Auf jeden Fall. Es gibt relativ wenig Repertoire für Posaune solo. Studenten brauchen aber immer bei Wettbewerben Stücke nach 1950, bei Aufnahmeprüfungen, bei jeder Situation. Ich selber als Dozent merke: Es gibt nichts. Oder die ganz berühmten wie Luciano Berios Sequenza, die sind aber ultraschwer. Deswegen möchte ich diese neuen Stücke bekannt machen, denn die erzählen wirklich etwas und sind nicht einfach nur Bravoure-Stücke. Man kann sie in unterschiedlichen Situationen anbieten und damit leben sie auch erst richtig.
Du bist in Duisburg beheimatet und Mitglied der Duisburger Philharmoniker. Wie gut kannst du deinen Orchester-Job mit solchen emanzipatorischen Projekten verbinden?
Bei einem freien Projekt wie diesem profitiere ich ganz klar von der Orchestererfahrung, ich würde sagen, die ist natürlich in jeder Phrasierung spürbar. Ich hatte das Glück, mit Prof. Alfred Wendel zu arbeiten, dem ehemaligen Intendanten, und bin gerade hier auf eine hervorragende Aufgeschlossenheit in Bezug auf Musik der Gegenwart gestoßen. Alfred Wendel hat ermöglicht, dass ich Musik im Museum gemacht habe, und zwar mit moderner Musik. Ich habe in der Deutschen Oper am Rhein in einer Oper für Posaune, Schlagzeug und zwei Sänger gespielt. Die Ouvertüre war ein Stück für Posaune solo und Elektronik. Dann haben wir ein Solokonzert mit meinem Orchester gemacht. Das habe ich alles Alfred Wendel zu verdanken. Der hat immer an mich geglaubt.
Als Wahl-Duisburger kennst du ja vermutlich alle Aspekte vom Negativ-Image, die dieser Stadt anhaften und die manchmal auch die tatsächlich vorhandene Kultur nicht so nach draußen dringen lassen. Wie geht es dir hier?
Mir hat mal ein Kollege ein Kopfkissen geschenkt, auf dem stand drauf: „Berlin kann jeder, Duisburg muss man wollen." In dieser Hinsicht hat mich Duisburg überrascht und auch wirklich gewonnen. Ja, man assoziiert diese Stadt nicht unbedingt mit der Mercator-Halle oder dem Theater. Das Lustige dabei ist: Wir alle lachen immer über Duisburg. Ich schreibe deshalb immer „Liebe Grüße aus Duisbronx" an die Kollegen in München. Aber es gibt das Theater mit Oper, Schauspiel, eigenem Ensemble, Ballett. Es gibt zwei tolle Museen für moderne Kunst – die Küppersmühle, das Lehmbruck-Museum. Es gibt eine sehr umtriebige, freie Szene, die diese Platzhirsch-Feste macht, auf dem Innenhafen. Die wirken international, produzieren fantastische Sachen. Duisburg ist richtig eine Überraschung. Im Endeffekt ist es einfach eine ganz nette Stadt. Man lebt gut dort und ja: Die Stadt ist meine musikalische Heimat geworden – aber ein Projekt wie dieses erlaubt mir, über die Stadt hinauszuwirken und neue Musik bekannt zu machen.
Hier gehts zur Album-Rezension von "Echoes of Now"





