Rocco Rescigno
Echoes of Now
TEXT: Stefan Pieper |
Rocco Rescigno, Posaunist der Duisburger Philharmoniker, demonstiert auf seinem Album „Echoes of Now" in neun frei komponierten Solominiaturen, was dieses Blechblasinstrument jenseits seiner angestammten Rollen noch alles kann. Eine solistisch gespielte Posaune ganz für sich allein ist ein Instrument, das Raum fordert und Raum schafft. Losgelöst von angestammten Rollen – kein sinfonisches Fundament mehr, kein Tuttiverstärker, kein Bandmitglied in einer Combo – werden Emanzipationsprozesse hörbar: Statement, Monolog, Bekenntnis. Unbegleitete Recitals sind immer auch Befreiungsakte: Sie lösen das Instrument und ihren Spieler aus üblichen Rollen und Funktionen und öffnen Freiräume.
Rocco Rescigno, der aus Italien stammt, in Berlin studierte und heute Posaunist der Duisburger Philharmoniker ist, nutzt seine Doppelexistenz zwischen Orchesterdienst und künstlerischer Autonomie für ein zehnjähriges Forschungsprojekt. „Echoes of Now" ist das Destillat dieser Entwicklung: neun komponierte Miniaturen aus rund vierzig Werken, die Rescigno zwischen 2015 und 2025 im Kontext des italienischen Festivals „Risuonanze – Incontri di nuove musiche" in italienischen oder weltweiten Erstaufführungen spielen durfte. Die meisten von ihnen entstanden aus einem unmittelbaren Dialog mit jungen Komponistinnen und Komponisten aus aller Welt, die dem italienischen Ausnahme-Posaunisten zuarbeiteten. Das klingende Resultat, aktuell auf dem Label ARS veröffentlicht, wirkt wie ein verdichtetes Panorama, welches Klangräume öffnet und auch den konzentrierten Hörer befreit: von Erwartungen, von Genregrenzen, von der Vorstellung, was eine Posaune zu sagen hat und wie sie es sagt.
Atemräume als Ausdrucksmittel
Die kompositorische Zugänge sind dabei denkbar divers: Karen Keyhanis „Nightly Monologue III" arbeitet mit modal-mikrotonalen Farbverläufen, die an persische Maqam-Traditionen erinnern, ohne je folkloristisch zu werden. Bruno Zanolinis „Bag's" setzt auf rhythmische Schärfe und kontrapunktische Verdichtungen im monophonen Raum. Antonio Agostinis „La Solitudine di Medusa" nutzt extreme Dynamiken und dadaistische Lautpoesie, mit der Rescigno seinem eigenen Spiel antwortet. Simone Fontanellis „Coffee Spots" operiert mit dialogischen Strukturen, die durch präzise Atemökonomie artikuliert werden. Vor allem das Stück von Davide Pitis „Indirezione ostinatamente contraria" fungiert wie ein programmatischer Schlüssel: Ein Ostinato sabotiert sich selbst, Hartnäckigkeit trifft auf ironische Mittel. Jorge Antunes' elektroakustisch konzipiertes „Il Gentiluomo di Livorno" erweitert derweil das Spektrum um szenische Elemente – Kuhglocke, Topfdeckel, Vogelstimmen –, wobei Rescigno die Balance zwischen akustischem Instrument und externen Klangschichten souverän navigiert. In Martin Lichtfuss „Monolog für Posaune" integriert Rocco Respignio abstraktes Geräuschmaterial organisch in die Linienführung.
Und ja - dieser experimentierfreudige Musiker spielt hier nicht einfach Noten. Er formt Atemräume, in denen erweitertes Vokabular zum Ausdrucksmittel wird – Flageolett, Multiphonics und Luftgeräusche. Raffiniert und variabel ist auch der Einsatz diverser Dämpfer-Konfigurationen. Aufgenommen wurde im Wuppertaler Kulturzentrum Immanuelskirche und das garantiert ein Highend-Hörerlebnis. Feinste Timbre wurden eingefangen, sodass auch leiseste Texturen nachvollziehbar werden. Für aktive Spieler ist diese CD sicherlich eine Fundgrube an Spieltechniken und Formmodellen in allen erdenklichen Schwierigkeitsgraden. Für Hörende, welche der Posaune mehr zutrauen als sinfonische Grundierung oder Combo-Bläsersätze, ist dieses unkonventionelle Werk nicht minder eine Offenbarung: Hier wird das Instrument zur Denkfigur und zur narrativen Instanz und portraitiert überzeugend einen Gegenwartsmusikers, der weiß, was er will: Nämlich forschend hören und aus dem Hören heraus neu gestalten.
Rocco Rescigno – Echoes of Now
Label: ARS Produktion
Aufnahme: Wuppertal 2025
Tonmeister: Manfred Schumacher
Interpret: Rocco Rescigno, Posaune
