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Einer Region das Lebensgefühl zurückgeben...

Klartext mit Thomas Hufschmidt

Essen, 21.04.2015
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Laika-Rercords

Thomas, wie siehst Du die mediale Präsenz der Jazzszene in NRW?

Das Problem hier im Ruhrgebiet ist, dass wir nicht so eine Medienlandschaft haben wie andere große Städte. Ich merke es vor allem in Essen ganz extrem. Von der Hochschule her machen wir ganz viel Jazz – aber das meiste davon kommt in den etablierten Medien, allen voran der Essener Tagespresse überhaupt nicht vor. Die Jazzszene ist wie eine verborgene Parallelwelt.

Aber eine ganz schön vielfältige Parallelwelt, oder?

Auf jeden Fall. Da passiert so viel: Allein Folkwang macht über 300 Veranstaltungen im Bereich von Jazz, Klassik, Kammermusik, Tanz, da werden ganz viele Genres abgedeckt. Allein wir machen vielleicht 20 bis 30 Jazzkonzerte - und die sind alle positiv besucht. Aber medial wird das ganze kaum begleitet. Das ist schade, denn zu einer echten Urbanität gehört auch, dass der Jazz durch die Medien vermittelt wird.

Was kann nrwjazz hier leisten?

Auf jeden Fall stößt nrwjazz sehr positiv in eine große Lücke! Wenn in den etablierten Medien überhaupt über Jazz berichtet wird, geht es ja meist um große Ereignisse, die eine Monopolstellung haben.

...und vor allem auch über die etablierten Spielstätten, die schon einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Wenn wir für nrwjazz die ganzen Konzerte in unserem Veranstaltungskalender zusammentragen, staunen wir manchmal selbst über die riesige Vielfalt. Thomas, Du bist ja schon sehr lange im Geschäft. Hat sich über die Jahre etwas geändert in Sachen Kulturberichterstattung?

Man muss sagen, dass früher vieles besser war. Da gab es mehr Veranstaltungen und auch mehr unterschiedliche Medien. Wenn du früher eine CD gemacht hast, und die kam bei einem guten Label heraus, dann hast Du immer eine Rezension in der Tagespresse bekommen. Das ist seit fast 10 Jahren überhaupt nicht mehr möglich. Das ist für mich und vor allem die vielen jungen Kollegen schade.

Was für Konsequenzen sollten daraus folgen?

Ich finde kulturelles Leben sollte wieder mehr kommuniziert werden. Das trägt doch dazu bei, dass ein Standort attraktiver wird. Damit überhaupt publik wird, wenn jemand einen Preis bekommen hat oder eine CD gemacht hat. Das war früher durchaus anders. Da gab es auch so manche kleinen Wochenmagazine, in denen wurden die Tourpläne veröffentlicht. Das ist lange her.

Also werden viele relevante Inhalte kaum mehr abgedeckt?

Guck doch mal bei der WAZ, die schreiben im Kulturteil drei Seiten über Filme. Die inhaltliche Planung läuft ja auch über Anzeigen und Geld. Also steht im Feuilleton viel über Hollywood und Comedy und sowas. Aber daneben passiert dann nicht mehr viel. Lokalpatriotismus und Lebensgefühl

Wie findest Du den Umgang der Politik mit der freien Kultur hier vor Ort?

Ich spüre diese Entwicklung aber nicht nur in der Medienlandschaft, sondern auch bei den politischen Etscheidungsträgern. Überhaupt fehlt in dieser Region so ein Gefühl, wir hier in Dortmund oder Recklinghausen sind „wir in unserer Stadt“ und das ist jetzt unsere Sache hier. Die kulturelle Szene braucht mehr Lokalpatriotismus. Es gibt natürlich die kleinen engagierten Nischen, ich denke da zum Beispiel ans JOE-Festival. Aber die mediale Präsenz lässt zu wünschen übrig. Wenn ich an andere Großstädte in Deutschland denke, wird dort vieles von den Zeitungen ganz anders begleitet. Da wird mit viel mehr Stolz auf den lokalen Charakter hingewiesen. So etwas hängt natürlich auch immer mit den Leuten zusammen. Früher waren viel mehr Journalisten da, die auch über lokale Musiker geschrieben haben. Wenn es hier Festivals gibt, wird in der Presse doch allzu gerne immer nur über die Amis geschrieben. Und überhaupt nicht darüber, worum es wirklich geht. Darüber habe ich mich schon ziemlich oft drüber aufgeregt.

Es geht um große Namen, die jeder kennt, die Aufmerksamkeit und Quote produzieren. Weniger um die Vermittlung von etwas wirklich Neuem. Da birgt natürlich die journalistische Freiheit von nrwjazz die Chance, der Szene viel davon zurück zu geben.

Mit nrwjazz.net tut sich die Chance auf, dass endlich mal ein Gesamtüberblick entsteht. Aber es geht hier noch um mehr: Nämlich ein Lebensgefühl zu vermitteln. Eine spannende Kulturlandschaft hat schließlich ganz viel mit Lebensgefühl zu tun.

Was bedeutet Lebensgefühl für dich?

Menschen entscheiden sich, irgendwo hin zu ziehen, weil sie fühlen, da geht etwas ab. Und sowas muss kommuniziert werden. Macht die Musikszene mit, um dieses Lebensgefühl aufkommen zu lassen? Ich entdecke da eine ganz erfreuliche Entwicklung. Die kooperieren immer mit anderen Hochschulen. Ich entdecke, dass seit 5 Jahren immer mehr Absolventen in der Umgebung wohnen bleiben und sich in einem Viertel ansiedeln, etwa im Südviertel. Da entsteht ein bisschen davon, so ein Pflänzchen, eine Szene. Da haben welche erkannt, dass das Ruhrgebiet gute Bedingungen zum Leben hat. Viele großen Städte liegen ganz eng beieinander sind, und das kulturelle Angebot ist immens – es gibt gleich mehrere Theater, Konzerthäuser, Jazzclubs auf engem Raum dicht beieinander. Diesem Standortfaktor im Ruhrgebiet wird doch allmählich Rechnung getragen und das ist erfreudlich. Die Folge ist, dass viele jetzt doch hier wohnen bleiben, wenn sie schon während des Studiums etwas aufgebaut haben.

Wie beurteilst Du den Arbeitsmarkt für junge Musiker und alle anderen, die sich hier kreativ betätigen wollen?

Das ist deutschlandweit am besten hier im Ruhrgebiet. Die geografische Lage ist ja auch optimal. Weniger Fahrzeit, Gigs werden billiger. Aber eine gute mediale Begleitung der vielen hoffnungsvollen Talente und Projekte ist dabei sehr wichtig. Sie wirkt wie eine Klammer. Es kommt darauf an, dass Musiker die Konzerte machen, auch öffentlich präsentiert werden. Ich war jahrelang in Gespräche mit Politikern involviert. Und ich habe mich immer aufgeregt, dass die nicht in der Lage sind, für unsere Gegend eine Vision zu entwickeln. Wollen wir immer noch eine Stadt sein, die noch der Kohle und den alten Sachen nachhängt? Will man nicht mal eine Dynamik entwickeln? Hier sind so viele Möglichkeiten. Hier sind vier Dax-Konzerne in der Stadt. Es gibt ne Uni, ein Aalto Theater, zahllose Konzerte. Ruhr 2010 war in dieser Hinsicht ein Kaffeekränzchen. Da ist so viel verschlafen worden. Daran krankt das Ruhrgebiet. Die Politik hat keinen Plan, wie man Image schafft, wie man die Stadt sexy macht.

Welchen Imagefaktor siehst Du hier speziell bei der Jazzszene?

Ich sehe die Jazzszene nicht für sich alleine, sondern betrachte sie als Teil einer gesamten, vielfältigen freien Kultur. Der Jazz ist hier aber eine Art Brennpunkt, wo sich so vieles bündelt – es ist die Musik, die am kompatibelsten in alle Bereiche hineinstrahlt. Der Jazz war immer verantwortlich für die Szene. Wenn du von Manhatten sprichst, kommt sofort die goldene Ära seit den 30ern und 40ern ins Bewusstsein, wenn Du an Paris denkst, drängen sich Bilder von den existanzialistischen Clubs der 1950er Jahren auf. Das alles hat immer mit Jazz zu tun. Womit wir ja wieder beim Lebensgefühl sind – bei einer Haltung.

Was sollte sich hier entwickeln?

Öffentliche Förderung ist ein Thema. Ich bin grundsätzlich dageben, die Hochkultur gegen die freie Kultur auszuspielen. Die „Hochkultur“, also Theater und Opernhäuser und Klassikbetrieb bekommen 99,5% der öffentlichen Förderung. Für die freie Szene bleiben die restlichen 0,5% der Subventionen. Ich bin der Meinung, dass die Jazzszene auch nicht so viel braucht. Wir brauchen ja keine teuren Bühnenbilder wie in der Oper. Trotzdem ist das Berufsbild vieler Jazzmusiker durch eine angespannte existenzielle Sage extrem kompliziert. Es gibt in Deutschland 18 Hochschulen mit Jazz-Departments. Unsere Studenten wollen Erfahrungen sammeln, daher kann man mit ihnen vieles realisieren und braucht keine großen Budgets dazu. Das ist eine große Chance gerade für unsere Region. Gleichzeitig wird die Förderung der Spielstätten vielerorts zurück gefahren. Es geht also darum, die Region zu beleben und als kulturellen Standort attraktiv zu machen.

Das ist ja auch unsere Intention bei dem Musikportal nrwjazz.net mit seiner kritischen Berichterstattung, ebenso eine umfassende Bestandsaufnahme der gesamten Szene, wofür wir mit unserer Datenbank ein gutes Werkzeug bereitstellen.

Ja, genau! Es ist so wichtig, dass die ganze Realität und Vielfalt endlich medial publik gemacht wird. Da schließt nrwjazz.net schon eine wichtige Lücke.

Biografie

Thomas Hufschmidt (* 31. Oktober 1955 in Mülheim an der Ruhr) ist ein deutscher Pianist des Modern Jazz und Komponist. Sein Vater ist der Komponist und Kirchenmusiker Wolfgang Hufschmidt. Hufschmidt hatte in Bonn, Essen und Hamburg studiert und tourte mit „Noctett“ durch Europa. Anschließend spielte er in der Band „Virgin’s Dream“, deren Album „Sophisty“ die Deutsche Phonoakademie 1978 auszeichnete. In den Vereinigten Staaten besuchte er Clinics bei Attila Zoller, Don Friedman und Walter Norris, bevor er mit Musikern wie Jan Akkerman, Albert Mangelsdorff, Uli Beckerhoff, Tony Lakatos und Rick Abao arbeitete. 1986 gründete er die Gruppe „Tyron Park“, zu der neben Lakatos (später Matthias Nadolny) Sigi Busch (später Gunnar Plümer) und Jo Thönes gehören. Weiterhin leitete er die Gruppe „Quartet and Brass“, mit der auch für das Goethe-Institut Tourneen unternahm, und arbeitete in verschiedenen Formationen von Wayne Bartlett, Ron Williams und Remy Filipovitch. Er konzertierte auch als Solist und im Duo mit dem Vibraphonisten Stefan Bauer und wirkte 2006 bei der Essener Aufführung der Jazz-Oper Escalator over the Hill unter Leitung von Carla Bley mit. Seit 1990 ist Hufschmidt an der Folkwang-Hochschule Essen Professor für Jazzpiano, Theorie und Bigband-Leitung. An seinen Bigband-Projekten nahmen u. a. David Friedman, Kenny Wheeler, Nguyên Lê, Uli Beckerhoff oder Norma Winstone teil. Er schrieb auch Theater-, Fernseh- und Filmmusik, etwa für „Der Leibwächter“ (1989; Regie: Adolf Winkelmann).

Zu diesem Beitrag gibt es eine kritische Stellungnahme von Sven Thielmann unter

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