Die Jazzszene wird nicht untergehen!
Aber es ist Weitblick gefragt.
TEXT: Bernd Zimmermann |
Was wird nach der Krise sein? Alles was jetzt aufgeschoben wird, möchte nachgeholt werden. Aber es ist Weitblick bei einem Neustart gefragt. Vor allem für Veranstalter könnte die Vielzahl von „Nachhol-Terminen“ nach Aufhebung der Corona-bedingten Auftrittsverbote künftig überfordern.
„Diese Branche ist durch Veranstaltungsabsagen, Auftragsstornierungen oder wegbrechende Einnahmen aus Ticketverkäufen und den ersatzlosen Wegfall von Gagen besonders hart und zum Teil existenziell getroffen“, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters vor 2 Tagen. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft mit einer Bruttowertschöpfung von mehr als 100 Milliarden Euro einer der größten Wirtschaftszweige – noch vor chemischer Industrie, Energieversorgern und Finanzdienstleistern ist. „Deshalb sei es so wichtig“, so Monika Grütters, „dass Kultur-, Kreativ- und Medienwirtschaft durch das Hilfspaket der Bundesregierung massiv gestützt werden.“
Soeben lassen Bund und Länder auf die Versprechungen Taten folgen: Rettungsschirme und milliardenschwere Hilfsprogramme sind beschlossene Sache und hier auch die bevorzugte Behandlung von kleinen Selbstständigen festgelegt, also auch von den zahlreich betroffenen Jazzmusikern in NRW, ebenso den Konzertveranstaltern der freien Szene.
Darüber hinaus will die Staatsministerin schon bestehende Programme so schärfen und einsetzen, dass die von der Bundesregierung verabschiedeten Maßnahmen sowohl Kultureinrichtungen und insbesondere in Not geratenen Künstlerinnen und Künstlern sowie anderen in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätigen Freiberuflerinnen und Freiberuflern gezielt zugutekommen. Hierüber hat Grütters Ende letzter Woche mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern und Vertretungen der kommunalen Spitzenverbände bereits Gespräche geführt.
Hier wurde zudem festgestellt, dass das öffentliche Haushalts- und Zuwendungsrecht die Möglichkeiten bietet, auf Rückforderungen für bereits verausgabter Fördermittel absehen zu können. So kann in Anwendung des Rechts sichergestellt werden, der gegenwärtigen Ausnahmesituation Rechnung zu tragen.
Soweit der derzeitige Stand der Hilfeleistungen durch Bund, Länder und Gemeinden.
So erfreulich es ist, eine Woche nach dem landesweiten Verbot von Veranstaltungen jetzt schon Konkretes von der Politik zu hören, so wichtig ist es aber bereits jetzt ein Blick auf die Zeit nach der Coronakrise zu werfen.
Die Krise nach der Krise?
Aktuell bestätigen uns Veranstalter, Booker und Musiker, dass es große, sehr gut gemeinte, Anstrengungen gibt, die jetzt in der Krise ausfallenden Konzerte möglichst im nächsten Halbjahr nachzuholen. Die Solidarität ist gewaltig. Ein Hoffnungsschimmer für die vielen Jazzmusiker, deren Einnahmen auf noch nicht absehbare Zeit weggebrochen sind. Eine (Teil-)Kompensation der Einnahmen scheint dadurch in Sicht. Aber so positiv dies für die Musiker ist, sollten die Veranstalter realistisch darüber nachdenken, wie viele Konzerte und andere Kulturangebote vor Publikum überhaupt zu bewältigen sein werden. Hier besteht durch ein Überangebot die Gefahr, nicht die notwendigen Deckungsbeiträge zu erzielen.
Da die Rechtslage in der aktuellen Situation sehr unklar ist, befinden sich aber die Veranstalter in der Falle, diese Verschiebungen vorzunehmen, um die Ticketeinnahmen nicht zurückzuzahlen. Denn, so wohl die Rechtslage (?), bei einer Terminverschiebung aufgrund Höherer Gewalt bleibt der zivilrechtliche Sachverhalt der „nicht erbrachten Leistung“ außen vor. Aber wie gesagt, genaues weiß man nicht und der zur Zeit beste Weg ist immer noch an die Solidarität des Publikums zu appellieren, dass es das bereits Gezahlte nicht zurück verlangt.
Aber dennoch sind die Verschiebungen nicht ohne Risiko. Wenn also über (Not-)Hilfen für Veranstalter gesprochen wird, kann und darf es nicht allein darum gehen, wie diese „Branche“ über die aktuelle Situation zu bringen, sondern auch, darüber nachzudenken, welche Unterstützung mittel - und langfristig notwendig und sinnvoll ist. Und ohne schwarz malen zu wollen: Auch im kommenden Jahr werden die Auswirkungen dieser Krise noch zu spüren sein. Durch den Zusammenbruch der Börsen werden viele freie Institutionen der Kulturförderung große Einbußen ihrer Budgets hinnehmen müssen und auch bei den Sponsoren wird möglicherweise das Geld nicht mehr so locker sitzen wie vor der Krise.
In der aktuellen Situation zeigt sich wie fragil die Kulturszene in Deutschland ist und wie dringend notwendig es ist, hier grundsätzlich und nachhaltig eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen herbeizuführen. Wenn das aufgrund der aktuellen Krise kurz- und mittelfristig geschieht, dann hätte diese Krise für die Kulturschaffenden in Deutschland wenigstens im Nachhinein einen Sinn.
Kultur ist mehr als dekorativer Luxus
Zum Schluss soll aber noch einmal die Kulturstaatsministerin zu Wort kommen, die in ihrer Presseerklärung schrieb: "Was im Kultur- und Medienbereich an gewachsenen Strukturen einmal wegbricht, lässt sich so schnell nicht wiederaufbauen", mahnte Grütters. "Das kann mittelfristig kaum vorstellbare Auswirkungen auf die Vielfalt unserer Kultur- und Medienlandschaft haben. Deshalb gilt jetzt mehr denn jemals zuvor: Kultur ist kein dekorativer Luxus, den man sich nur in guten Zeiten gönnt. Wie sehr wir sie brauchen – insbesondere was den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrifft – sehen wir jetzt, da wir in großen Teilen auf sie verzichten müssen. Umso wichtiger sind jetzt diese Hilfen."
Aber eins ist sicher: Die Jazzszenen werden nicht untergehen! Denn gerade jetzt erlebt man eine unglaubliche Solidarität untereinander. Veranstalter, Musiker und auch das Publikum stehen zusammen und versuchen die Situation gemeinsam zu meistern. Es ist ein großartiges Gefühl, dazu zu gehören.
Vgl.: https://nrwjazz.net/jazzreports/2020/Bund_und_Laender_sagen_Hilfe_zu_1584642421/
Eine sehr umfangreiche Handlungsempfehlung hat der Verband der Musikspielstätten in Deutschland e.V. „LIVEKOMM“ zusammengestellt (-> Link zu den Handlungsempfehlungen) https://www.livemusikkommission.de/erste-handlungsempfehlungen-zur-abwehr-der-club-insolvenz/