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Das Schöne weiter erhalten

Interview mit der ukrainischen Jazzpianistin Alexandra Hanke

Bochum, 11.11.2025
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Anlässlich ihres Konzertes im Kunstmuseum Bochum mit dem Alexandra Zhernova Trio (https://nrwjazz.net/reviews/alexandra-zhernova-trio), benannt nach dem Mädchennamen der Jazzpianistin Alexandra Hanke, sprach Heinrich Brinkmöller-Becker mit der Pianistin. Sie stammt aus Kiew und kann auf ein internationales Engagement verweisen. Sie lebt seit ein paar Jahren in NRW und konzertiert auch noch regelmäßig in ihrer ukrainischen Heimat. 

Kannst du kurz deine Ausbildung, deinen musikalischen Werdegang beschreiben? 

Ich bin mit fünf Jahren in die Musikschule gegangen, ich hatte großes Glück: Meine erste 
Klavierlehrerin – sie ist jetzt meine Freundin – hat als sehr junge Pädagogin mit dem 
Unterrichten angefangen, wir hatten uns sofort gut verstanden. Sie hat mir blues scales, Basisharmonien gezeigt und Improvisation und Komposition beigebracht. Das weiß ich sehr zu schätzen. Dann, zwischen 15 und 19 Jahren, habe ich in Kyjiw auf einem musikalischen Gymnasium studiert, einer Art Vorstufe zur Hochschule. Nun ist dies eine Hochschule mit Jazz-Abteilung geworden. Lustigerweise, wenn ich in Kyjiw bin und dort Konzerte spiele, proben wir dort in meiner Alma mater. Jetzt heißt das Gliere Music College.

Danach, mit 19, bin ich nach Polen gegangen, weil ich immer schon wusste, dass ich im Ausland studieren will, um mehr Möglichkeiten zu haben, um Jazz zu studieren. Man muss sagen, dass Polen in Osteuropa, wenn es um Jazz-Erziehung geht, ganz vorne ist. Ich habe an der Musikakademie in Katowice Jazzklavier studiert. Bis heute habe ich dort Freunde, Kontakte. Wenn ich in die Ukraine fahre, dann fahre ich entweder über Katowice oder über Krakau, um alte Freunde zu sehen. 

Du bist ja offensichtlich früh mit Jazz in Kontakt gekommen, was ja von der Ausbildung her eigentlich etwas ungewöhnlich ist, weil der Weg ja häufig erst über eine klassische Ausbildung führt.

Ich hatte natürlich auch eine klassische Ausbildung. Deshalb habe ich meine erste Klavierlehrerin erwähnt, Larysa Ivanenko, die tatsächlich auch eine große Liebe zum Jazz hat und mir die Faszination weitergegeben hatte und mich entsprechend förderte. Die Ausbildung lief schon parallel, aber für ein Kind war es faszinierend mitzubekommen, mehr Freiheit am Instrument zu haben, zu improvisieren. Dass man selber wählen kann, in welcher Tonart man spielt, dass man Melodien unterschiedlich modulieren kann. Das habe ich schon immer gerne gemacht. 
 
Und was treibt dich dann nach Nordrhein-Westfalen? 
 
Nach NRW bin ich aus privaten Gründen gekommen, ich war mit einem Musikkomponisten und -produzenten, Uli Hanke, verheiratet, wir haben zusammen eine CD produziert. Vor zwei Jahren habe ich Uli Bär und Dmitrij Telmanov mit dem EastWest-Sextett kennengelernt, daher der Kontakt zum Take5-Jazzfestival und zu mehreren anderen Formationen. 
 
Für dich stand dann doch sehr früh fest, dass das Klavier dein Instrument ist. 

Ja. Ich muss gestehen, ich war kein fleißig übendes Kind. Da passierte es schon mal, dass meine liebste Lehrerin mir sagte: „Siehst du, jetzt hast du geübt, jetzt kann man den Unterschied hören.“ So früh kann man schon lügen lernen. Ich liebte außer Klavier und 
Improvisation auch immer Musiktheorie. Das ist für mich immer auch eine besondere Faszination. Wenn man mit Musiktheorie gut umgehen kann, hat man auch eine Tür für Jazzharmonie geöffnet. 

Gibt’s bei dir bestimmte Vorbilder im Jazz? 
 
Vor Kurzem habe ich eines meiner Lieblingsalben, das „Köln Konzert“, wieder gehört: Ich liebe Keith Jarrett. Manchmal ist das Leben emotional schwierig, seine Musik ist dann so heilend. Das Köln Konzert ist faszinierend, trotz des ungestimmten Flügels. Ich habe das zum ersten Mal vor 25 Jahren gehört – und das bleibt. Vor Kurzem habe ich auf Empfehlung eines Musikkollegen „Songs From Home“ von Fred Hersh gehört, das fand ich wunderbar.

Deinen eigenen Stil, wie würdest du ihn beschreiben?

Ich liebe Latinomusik, habe auch mit Lateinamerikanern zusammengearbeitet, diese 
Rhythmik und Melodik faszinieren mich. Das Temperament ist sehr interessant, für uns Europäer ist es attraktiv. Ich glaube, in meinem Spiel kann man bestimmte Elemente der Latinomusik hören. 
Ich mag aber auch Lyrik sehr, da fühle ich mich zu Hause. Auch klassische Stücke zu bearbeiten, Coverversionen ins Jazzidiom zu übertragen, reizt mich.

Zu deinen Aufenthalten in den verschiedenen Ländern wie Ukraine, Polen, Italien, Deutschland: Wie nimmst du die jeweilige Jazz-Szene wahr, welche Unterschiede, Parallelen siehst du?

Ich fange mit Polen an: Die Musikszene in Polen ist hochprofessionell, Klavierspieler, Musiker generell haben eine hervorragende Technik, sie sind wirklich toll. Die Musikszene in Deutschland zu beschreiben, fiel mir schwer: Deutschland ist so groß, die Szenen in NRW, in Hamburg, Berlin oder Leipzig können ganz unterschiedlich sein. Allerdings sind die Musiker so mobil, dass sich die Grenzen verwischen. Aber das zusammenfassend zu beurteilen, fällt mir schwer. In der Ukraine sind die Jazzszene und auch das Publikum vor allem jung. In Deutschland sehe ich als Konzertbesucher häufig ältere Menschen, die dazu die Möglichkeiten und Zeit haben. Ich finde das toll, dass Menschen, wenn sie nicht mehr aktiv im Beruf sind, sich für Kultur, für Jazz interessieren. In der Ukraine ist das leider häufig nicht der Fall, ältere Menschen haben zum Teil nicht die Möglichkeit, zu Konzerten zu gehen. Dafür ist die Jazzszene sehr jung und vital. Ich habe z.B. ein Trio, mit dem ich in der Ukraine seit Jahren spiele, beide Musiker sind jünger als ich. 
 
Das ist doch toll. Wir überlegen, wie wir ein jüngeres Publikum für Kultur, für Jazz interessieren können.

Jazz scheint bei uns nicht das dominante Musikmedium für ein jüngeres Publikum zu sein. 
Ich muss mich jetzt selber widersprechen: Ich war bei der Jazzahead in Bremen und traf vor allem auf ein junges Publikum. 

Aber bei normalen Konzerten überwiegt schon ein älteres Publikum. 
 
Ja, aber in der Philharmonie oder der Oper ist das ja genauso. Aber ich wäre froh, wenn auch in der Ukraine Ältere, Rentner, am kulturellen Leben aktiver teilnehmen könnten.

Unabhängig vom Alter: Wie lebendig kann die Jazzszene unter den Bedingungen des Krieges sein?

Ich glaube, Jazz ist ein Modus, der russischen Aggression zu trotzen. Ich erlebe es immer wieder, dass die Konzerte ausverkauft sind, wenn auch oft erst kurzfristig. Es drückt eine Art aus, im Rahmen des Krieges lebendig zu bleiben.

Hat Jazz, wie auch in seinen Ursprüngen, etwas Widerständiges?

Nein, das würde ich nicht so sagen. Ich glaube, das ist einfach ein Teil der Kultur, den man jetzt zu erhalten versucht.

Was man den Medienberichten entnehmen kann von Konzerten und Performances in Bunkern, in der U-Bahn: Man spürt eine sehr lebendige Szene.

Und man spielt auch ein Stückchen anders, freier, nach dem Motto: Ich muss jetzt nicht alles korrekt machen, It’s now or never.

Du engagierst dich ja in Spendenaktionen für die Ukraine…

Ja, seit 2014, seit dem Beginn der russischen Aggression ist die Voluntariatsbewegung in der   Ukraine sehr stark, es gibt mehrere Stiftungen. Eine dieser Stiftungen heißt “SVOYI” und widmet sich unterschiedlichen Aufgaben, angefangen mit palliativer Hilfe für krebskranke Menschen bis hin zu Knochenimplantaten für verwundete Soldaten. Wir unterstützen jetzt 
das Projekt “Na Shapku” (auf Deutsch “Auf den Hut”) Die Konzerte werden von der 
Journalistin Sonya Sotnyk organisiert. Die finden immer donnerstags statt, das Publikum spendet immer in einen symbolischen Hut. Für mich ist wichtig, dass die Musiker in der Ukraine bleiben und spielen, nicht auswandern. Dass sie die Möglichkeit haben, ihren 
Lebensunterhalt zu verdienen. Mit unseren Einnahmen können wir sowohl direkt die Musiker als auch die Stiftung unterstützen. Im Oktober letzten Jahres haben wir das gemacht, dieses Jahr findet das Konzert am 1. Januar statt.

Die abschließende Frage nach der Zukunft, nach deiner als Jazzpianistin fällt mir schwer…

Ich bin auf jeden Fall da, ein anderes Szenario kommt für mich nicht in Frage. Man kann in die Ukraine fahren, das Leben findet weiterhin statt. Die täglichen Bilder aus den Medien, die Berichte sind wahrhaft, was man hört und sieht  an Grausamkeiten, findet wirklich statt, vieles ist noch schlimmer. Aber: Gleichzeitig geht das Leben weiter. Das Schreckliche, Tragische und das Hoffnungsbringende, Schöne sind eng miteinander verschmolzen. Darum geht es mir: das Schöne weiter zu erhalten. Dafür machen wir das Ganze. 

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