Florian Ross Quartett
Reason and Temptation
TEXT: Stefan Pieper |
Eine enorme Vielschichtigkeit und zahllose imponierende Momente – so etwas ergab sich scheinbar wie von selbst, als Florian Ross , Sebastian Gille, David Helm und Fabian Ahrends einfach weiter machten, weil noch ein Tag im Studio des DLF übrig war. Gerade hatten die vier mit sieben klassischen Bläsern mehrere Aufnahmetage für neue „ARCHITEXTURE’-Projekt hinter sich (auch dies soll in diesem Jahr erscheinen, man darf gespannt sein!) Also was lag näher, als den Flow, der sich in mehreren Aufnahmetagen naturgemäß einstellt, noch weiterleben zu lassen?
Herausgekommen ist an diesem Extra-Tag ein – in Relation zu der kurzen Zeit- verblüffend abgerundetes, ausdrucksstarkes Album, das sich „Reason and Temptation“ nennt. Die Reife und Eingespieltheit dieser vier Musiker zeigt sich allein dadurch, dass diese Stücke trotz der Spontaneität ihrer Entstehung überhaupt nicht skizzenhaft anmuten. Im Gegenteil: Ein freier Atem im Spiel aller Beteiligten und eine organische, extrem präzise konturierte Gesamtwirkung ist die Folge, wenn es sich diese vier Spieler auf einem Hochplateu musikalischer Reife gut gehen lassen.
Erstmal locker machen in einer angeregten Konversation lautet die Parole noch beim ersten Stück – einer lässig swingenden Modern Mainstream Nummer. Aber die hat es in sich, denn hinter jedem suchenden Harmoniewechsel lauert viel forschender Freigeist, der auf den folgenden Stücken auf verschlungenen Wegen Zustände auskostet. Impressionistische Elemente kommen mit fantasiegesättigten Improvisationen zusammen. Viele Diskurse, die daraus erwachsen, markieren das Versuchslabor, das nach wie vor geöffnet hat. Punktuelle Freejazz-Ausbrüche und virtuose Momente sind nie Selbstzweck, sondern ein Fazit vorhergehender Entwicklungen. Und immer wieder erobern tief lyrische Stimmungen den Raum, denn dieser mutige Jazz folgt in erster Linie der Emotion, während Intellekt das Handwerkszeug, ein Vehikel zur Freiheit darstellt. In diesem Wechselspiel aus beredten kompositorischen Ideen des Bandleaders und spontanen Resultaten im Kollektiv fühlt sich dann auch das Stück „Celeste“ von Ralph Towner in bester Gesellschaft.
Auf jeden Fall zeigt sich: Diese vier Kölner Spieler sind charaktervoll genug, dass sie gar nicht anders können, als Farbe zu bekennen. Tief geerdet ist das Klavierspiel von Florian Ross . Sebastian Gilles hymnischer, manchmal zerbrechlich-bebender Sound bedient Sopran geht auf einer breiten Gefühlspalette immer neu ans Eingemachte. Die feinnervig-filigrane Rhythmus-Section bestehend aus David Helm am Bass und Schlagzeuger Fabian Ahrends sorgt für dauerregten Spannungslevel, greift aber auch ebenso empfindungsstark ins melodische Geschehen ein – mit behutsamem Gespür für dieses groß(artig)e Ganze, das aus dem Moment heraus entstand und vermutlich nicht viele Worte brauchte!
CD Florian Ross : Reason and Temptation
toypianorecords 2020