Angelika Niescier
Now
TEXT: Klaus Hübner |
Ein ausführlicher Blick über Tundra oder Steppe verändert nicht nur den visuellen Eindruck von Weite, sondern revidiert auch städtische Klangräume und – visionen. So mag es gar nicht verwundern, dass die international ambitionierte, gleichwohl der Urbanität nahe stehenden Altsaxophonistin Angelika Niescier sich einem Thema, das Häuserschluchten, Jazzclubs und Menschenansammlungen – in Köln und anderswo – einmal ignoriert, nähert. Man mag auch darüber spekulieren, ob die Klangrealität in einer Großstadt wie Köln, wo Niescier lebt, inzwischen verbraucht ist. Oder ob es keine neuen Klänge zu entdecken gibt. Das alles kann möglicherweise zutreffen, erscheint als Grund für die Veröffentlichung des Albums „Now“ jedoch nur am Rande interessant. Angelika Niescier ist ganz bewusst einen etwas anderen Weg gegangen, nämlich sich einen „ungeträumten Traum von einem Trio“ zu erfüllen. Ihre Entdeckungsreise führt weit weg von jeder großstädtisch geprägten Soundrealität. Sie verbindet, und das ist nicht ironisch gemeint, die Simplizität folkloristisch gezeichneter Traditionsmusik mit den Klangmöglichkeiten, die sich aus dem Leben in einer Metropole ergeben.
Das alles sind reine Lügengeschichten, könnte man dem entgegen halten. Denn schon das Titelstück „Now“ taucht tiefer in die Urbanität ein als vermutet, findet sich jedoch auch in ruhigeren Stadtvierteln zurecht. Ein Wechselspiel zwischen Saxophon und Akkordeon verbindet zwei Auffassungen von Musik: den eher traditionell ausgerichteten Grundton des Akkordeons und das kaum zu bändigende, exzessive Material, das Angelika Niescier ihrem Instrument entlockt Obwohl nur zu dritt, vermessen Angelika Niescier und ihre Musiker (mit ihr der Akkordeonist Simone Zanchini und der Bassist Stefano Senni) auch in den anderen, mit einer Ausnahme eigenen Stücken die Klanglandschaften mit großformatigen, eigenen Maßstäben. Es scheint, als kann Niescier nichts bremsen, weder Zeit- noch Raumvorgaben.
Chamäleonartig schillern auf „Now“ feinst nuancierte Klangfarben, flattern unaufhaltsam starke Töne, schwirren akustische Perlen. Dabei war es mehr oder weniger reiner Zufall, dass dieses Trio zueinander gefunden hat. Im Juli 2012 begegneten sich die Musiker wegen eines Kompositionsauftrages für das „Südtirol Jazzfestival Alto Adige“ bei Bozen. Während des obligatorischen Konzertes entstand ein gemeinsames Band musikalischer Vorstellungen, das Niescier unbedingt erhalten wollte. Diesem Ansatz begegnet man am besten mit dem Song „You Are Too Beautiful“ von Victor Young, der am Ende des Tonträgers zeigt, dass das Trio auch den traditionellen Jazzstandards ziemlich nahe steht. Hier sind Gefühl und Intuition gefragt – ein leichtes Unterfangen für Niescier, Zanchini und Senni angesichts ihres eigenen impulsiven und innovativen Spiels.
blue pearls music
Distribution: Indigo (CD 980062)
www.angelika-niescier.de
Erscheint am 6. Februar 2015