Z-Country Paradise
Urbane poetry music vom Feinsten
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Bereits im letzten Jahr ließ Frank Gratkowskis Z-Country Paradise beim Moers Festival aufhorchen, bot doch die Gruppe um den Saxophonisten und Bassklarinettisten und die Vokalkünstlerin Jelena Kuljic eine Performance, die von Publikum und Kritik unisono als herausragend angesehenen wurde.
Jetzt hat man dank der Veröffentlichung des Albums Gelegenheit, die Begeisterung für den einmaligen Live-Auftritt nachzuvollziehen, ja das Vergnügen durch wiederholtes Hören zu vertiefen. Ein Hochgenuss ist es in der Tat, einer Band und einer Stimmperformerin erster Güte zuhören zu können, die sich von herkömmlichen Begleitbands von SängerInnen oder von Lyrikvertonungen bis hin zum poetry slam wohltuend absetzen. Das Geheimnis von Z-Country Paradise ist darin begründet, dass hervorragende Musiker mit einer ebensolchen Vokalkünstlerin mit deutlich erkennbaren Erfahrungen auch als Schauspielerin etwas Besonderes jenseits der „klassischen“ Zuordnungen kreieren. Die „Traumband“ (Gratkowski) mit Kalle Kalima an der Gitarre, Oliver Potratz am E-Bass und Christian Marien an den Drums produziert mit dem Bandleader am Alt-Saxophon und an der Bassklarinette ein eigentümliches Klanggewebe, ein Amalgam aus improvisierter Musik, Jazz, Noise, Funk, No Wave, Punk – durchwirkt mit einer gehörigen Portion Rock. Hier auf eine Ahnengalerie von Vorbildern oder Vorreitern wie etwa Ornette Coleman oder Hendrix oder Miles oder vielleicht Tom Waits zu verweisen, kann nur in die Irre gehen, produzieren die fünf mit Z-Country Paradise einen eigenen Sound, der mit der Vokalstimme, mit dem schier unendlich scheinenden Modulationsrepertoire von Jelena Kuljic eine wundersame Verbindung eingeht.
Auf dem Album präsentiert das Quintett zwei lyrische Texte von Charles Simic (Two, Clouds Gathering), einem der bedeutendsten zeitgenössischen Lyriker der USA und ursprünglich, wie Jelena Kuljic, aus Serbien stammend, sowie drei Gedichte von Arthur Rimbaud in englischer Übersetzung (My Little Lovelies, Season in Hell, Memories) und ein Poem der kanadischen Künstlerin und Lyrikerin Gabriele D.R. Guenther (Clear Monday).
Schon in dem langen Opener Two mit seinem treibenden Rhythmus, den schroffen Gitarrenriffs, mit den wohl dosierten Pausen und Tempoänderungen zeigt Jelena Kuljic ihre Vokalkunst: Selbstbewusstes, ja punkig-trotziges Sprechsingen, Flüstern, Dehnen der Phoneme, lautmalerisches Wiederholen von Silben bis hin zur Vokalise. In My Little Lovelies folgt ihr Sprechgesang dem schleppend-monotonen Gitarrenlauf und den zunächst verhalten umspielenden Saxophon-Tönen, die sich zu jazzig-groovigen hyperschnellen Läufen steigern und zum expressiven Finale mit einem wiederholt gerufenen „I hate you“ kulminieren. Das 13 Minuten lange Season in Hell besteht aus zwei Teilen, der Rimbaud-Text wird in zwei Versionen dargeboten: Einmal in einer musikalisch sehr zurückhaltenden, rätselhaften, vielleicht „paradiesischen“ Form mit fordernd-bestimmender bis flüsternd-hauchender Stimme, in der zweiten Hälfte wird der Text herausgeschrieen, geradezu herausgerotzt und mit entsprechend punkiger Musik versehen. Im Kontrast zu dieser starken Expressivität mutet Clear Monday zunächst karibisch entspannt an, Bassklarinette und Gitarre umspielen den Flow, Frank Gratkowski bläst ein wunderschönes Solo, Kalle Kalima übernimmt den Solo-Part und tobt sich in einem wilden Soloritt auf der Gitarre aus. In Clouds Gathering wird die stimmliche Textpräsentation mit einer wiederholten und allmählich komplexer werdenden Fanfare, einem schmetternden Tutti-Hammer der Instrumente, begleitet, oder besser: gedeutet. In dem mit 15 Minuten längsten Track des Albums Memories sprechsingt Jelena Kuljic das Rimbaud-Poem auf der Basis eines zunächst entspannten Gitarre-Bassklarinetten-Duos mit klarer rhythmischen Struktur durch Bass und Drums. Dies steigert sich allmählich und nimmt sich dann wieder bis auf ein paar Gitarrenklänge zurück, um geflüsterten Textsequenzen Raum zu lassen. Allmählich entwickelt sich am Schluss ein durchgehender Rhythmus mit einem expressiven Höhepunkt von allen Instrumenten.
Das letzte Stück des Albums, Success, fällt ein wenig aus dem Rahmen: Es basiert nicht auf einem lyrischen Text, sondern auf Ratgeberliteratur für diejenigen, die wissen wollen, was im Beruf erfolgreiche Leute vor dem Aufstehen machen oder machen sollten. Dieser Text wird von Jelena Kuljic auf wenige Sentenzen reduziert und in ihrer infantil klingenden und übertreibenden Performance und dem kraftvollen Punkrock karikiert – ein schönes Beispiel für eine lyrische Transformation eines Gebrauchstextes durch Musik (Tipp für ein potentielles Folgealbum: die appellative Weisheiten des von Julie Zeh in ihrem aktuellen Bestseller Unterleuten genial erfundenen Predigers kapitalistischen Erfolgsstrebens, Manfred Gortz, ähnlich zu traktieren).
Insgesamt gehen Stimme und die anderen Instrumente auf Z-Country Paradise ein spannendes, zum Teil skurriles, auf jeden Fall gleichberechtigtes Miteinander ein. Voller Raffinement in dem Zusammenspiel und der stilistischen Vielfalt lassen die sämtlich in Berlin lebenden Musiker einen urbanen Gesamtsound entstehen, der mit Hilfe von Poesie eine eigene Musikgattung generiert: poetry music vom Feinsten.
Z-Country Paradise, WismART LC 30165
(Die Fotos der Rezension wurden beim Auftritt des Quintetts beim Moers Festival am 25.05.2015 aufgenommen.)