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Würdige Hommage auf Julius Eastman

Fesselnder Live-Mitschnitt des Moers-Konzertes

Hamburg, 02.12.2020
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | 

Julius Eastman hatte es als homosexueller Afroamerikaner wahrlich schwer, sich im von Weißen dominierten Musik-Establishment zu behaupten. Mit seiner an minimal music ausgerichteten Kompositionsweise grenzte er sich selbstbewusst-provokativ und unangepasst vom Musikbetrieb, ja vom Gesellschaftlichen ab, Alkohol und harte Drogen sorgten für Obdachlosigkeit und im Jahre 1990 für seinen frühen Tod mit knapp 50 Jahren. Seine bekanntesten 1979 entstandenen Stücke mit ihrem programmatischen Titel Evil Nigger und Gay Guerilla sorgten beim Moers-Festival in diesem Jahr für eine kleine Sensation, jetzt hat man Gelegenheit, den Live-Mitschnitt dieses Konzerts auf einer CD nachzuvollziehen.

An den vier Flügeln: Kai Schumacher, Patricia Martin, Mirela Zhulali, Benedikt ter Braak. Die Kleeblatt-Aufstellung der Flügel in Moers ermöglichte den Pianisten einen Blickkontakt. Dieser ist auch nötig, weil der Musik Eastmans keine ausnotierte Partitur zugrunde liegt, sondern ein Pool von Pattern, die der Interpretation in diesem Sinne durchaus auch eine gewisse improvisierende Funktion zukommen lässt.

Raffiniert variiert das Quartett das Tonmaterial von Evil Nigger mit seiner einfachen Struktur und den repetitiven Mustern, das leitmotivische Thema wird auf unterschiedlichen Tonhöhen in die Tasten gehämmert, die unaufhörlich modulierten Pattern verdichten sich zu einem filigran gesponnenen Tongewebe aus Akkorden und musikalischen Texturen mit ausgesprochen hohem Energielevel und suggestiver Wirkung. Diese basiert darauf, dass die jeweils folgende Sequenz Elemente der vorangegangenen übernimmt und variiert, markiert durch den deutlich vernehmbaren Einzähler und einer „kontrapunktisch“ eingesetzten Bassfigur. Es entwickelt sich eine Spannung mit nahezu orchestralem Pathos, die der politisch intendierten Wucht des Komponisten entsprechen dürfte. Am Schluss diffundieren die Musikfragmente und hinterlassen ein Gefühl von betroffener Nachdenklichkeit.

Gay Guerrilla beginnt mit einem Ein-Ton-Pattern, das Quartett entwickelt daraus einen verhaltenen Schwebezustand mit ostinatem Puls. Über weite Strecken hat dies zunächst nicht die mitreißende Energie wie Evil Nigger, was sich ändert, wenn allmählich das Motiv von Martin Luthers Choral Eine feste Burg ist unser Gott sich eigensinnig behaupten muss gegenüber der renitent-ausdauernd erzeugten Klangebene mit dem konstanten Pattern-Spiel. Ein hoch interessantes Beispiel für eine spannungsgeladene musikalische Doppelbelichtung, die eindrucksvoll die existentielle politisch-künstlerische Widerständigkeit des Komponisten demonstriert. Auch hier löst sich das Stück am Ende wundersam-zurückhaltend in wenige Elemente des Klangmaterials auf.

Das Quartett an den vier Flügeln präpariert in insgesamt über 50 Minuten höchst präzise und einfühlsam die klanglichen Schichten der Eastman-Kompositionen. Es hat mit seiner fesselnden Interpretation eine höchst verdienstvolle und würdige Hommage auf einen großen radikalen Komponisten kreiert und ihn damit aus der Vergessenheit geholt. Großartig!

Kai Schumacher, Patricia Martin, Mirela Zhulali, Benedikt ter Braak: Julius Eastman: Evil Nigger/Gay Guerrilla. Live at Moers-Festival. Neue Meister/Edel 2020. 030 1645 NM

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