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Wolfram Knauer: Duke Ellington

Anleitung zum Zuhören

Darmstadt, 22.01.2021
TEXT: Heinz Schlinkert | 

Bücher über Duke Ellington gibt es viele. Dieses ist ein besonderes Buch, es kann in gewisser Weise ‚süchtig‘ machen. Bei mir führte es zum Stöbern im Schallplattenarchiv, zum Durchforsten der eigenen Festplatten und zum ausgiebigen Konsum von Musik-Videos in sozialen Netzwerken. In diesem Buch geht es kaum – wie in anderen Biographien – um Kindheit, Jugend, (Ehe)frauen und andere private Dinge. Es geht vor allem um - Musik.

  • Der Autor

Wolfram Knauer (s. Foto oben rechts) ist Leiter des Jazzinstituts Darmstadt und damit Herausgeber der “DarmstädterBeiträge zur Jazzforschung”, die alle zwei Jahre erscheinen. Wir berichteten im letzten Jahr über Bd. 16 Positionen! Jazz und Politik; schon 2000 ist in dieser Reihe Bd. 6 ‚Duke Ellington und die Folgen‘ erschienen.

Wolfram Knauer hat schon Biografien über Charlie Parker und Louis-Armstrong geschrieben. Als erster Europäer war Knauer Inhaber der Louis-Armstrong-Professur für Jazz-Studien an der Columbia University. In der Smithsonian Institution in Washington D.C. hatte er Zugang zu Dukes Nachlass und konnte u. a. die Dolphy-Sammlung der Library of Congress einsehen.

„Der Blick in die musikalischen Skizzen, in denen Ellington (und Strayhorn) seine Musik festhielt, bevor sie von Kopisten in Partituren und Einzelstimmen exzerpiert wurde, der Vergleich unterschiedlicher Fassungen, die dabei von einzelnen Stücken vorhanden sind, und nicht zuletzt der genaue Blick auf ausgewählte Instrumentalstimmen, auf Änderungen, Streichungen, handschriftliche Notizen und vieles mehr gaben mir Gewissheit, mit meinen Einschätzungen nicht ganz so falsch gelegen zu haben.“ (S.11f)

  • Detailanalysen

Solche Einschätzungen gibt es viele im Buch und sie machen das Besondere an diesem Buch aus. Ob es nun um Black and Tan Fantasy, Creole Love Call, Sophisticated Lady oder Black, Brown and Beige geht, immer wieder stößt man auf detaillierte Analysen von Stücken. So schreibt Knauer – in für ihn typisch langen Sätzen - z. B. über das Solo des Trompeters Bubber Miley in der Black and Tan Fantasy von 1927:

Miley benutzt verschiedene Arten von Vibrato, lässt die Stimme in seinem Trompetensound mal mehr mal weniger durchklingen, arbeitet mit Glissandi , also mit dem Hineingleiten in Töne, mit unklaren Intervallen, mit Tonwiederholungen, die sich unmerklich von unten nach oben verschieben, mit rhythmischen Akzenten, die das feste Grundmetrum, das von der Rhythmusgruppe klar akzentuiert wird, aufweichen, ...“ (S.64)

Da kann man nicht anders – man muss sich einfach das Stück noch einmal anhören und man wird vieles entdecken, was einem vorher gar nicht aufgefallen ist.
Klangbilder sind bei Ellington ja ein wichtiges Thema. Knauer bezieht sich dabei über die Kompositionen hinaus auch auf die Spielweise der Musiker. Der gezielte Einsatz von Dämpfern („Klopümpeldämpfer“) in der Brass-Section und das Growling werden ausführlich beschrieben, vor allem in Bezug auf einzelne Musiker und den Jungle-Style. Ähnliches gilt für den Einsatz der Ventilposaune und Spielweisen z. B. von Tricky Sam Nanton.

Billy Strayhorn soll mal gesagt haben, Dukes Instrument sei das Orchester selbst. Ganz in diesem Sinne erklärt der Autor wie Ellington seine Kompositionen einigen Musikern geradezu ‚auf den Leib geschneidert‘ hat. Für einige Stücke gab es mehrere Versionen, je nachdem wer welches Instrument spielte.
Im Zentrum des Buchs steht zwar Ellington, seine Musiker spielen aber auch eine wichtige Rolle. Stars wie Bubber Miley, Barney Bigard, Jonny Hodges, Tricky Sam Nantonbis hin zu Paul Gonsalves werden nicht nur bei einzelnen Stücken erwähnt, sondern auch einzeln charakterisiert. Billy Strayhorn als Ko-Komponist spielt dabei natürlich eine besondere Rolle. Trotz der hohen Bedeutung der einzelnen Musiker wird aber klar, dass „jede solistische Stimme [nur]... eine Facette seiner Klangsprache“ ist (S.224).
Kritische Töne sind allerdings kaum zu hören. Hatte Knauer noch in seiner Biografie über Louis Armstrong berichtet, dass ein Teil des Creole Love Call auf dem Camp Meeting Blues basiert, so ist hier nicht die Rede davon, auch nicht von der 'Anleihe' bei Chopin in der Black and Tan Fantasy.

  • Ellington als Pianist

Der Duke ist weltweit bekannt als Bandleader, er war aber eben auch Pianist. Knauer berichtet über dessen Spielweise und Orientierung am Stride-Piano-Stil. Besonders interessant ist die Arbeit Ellington's in kleinen Combos Anfang der 60er, in denen er mit Coleman Hawkins, mit John Coltrane, vor allem aber im Trio mit Charles Mingus und Max Roach zusammenspielte. Dabei erfahren wir u. a. einiges über das besondere Verhältnis zwischen Ellington und Mingus und dass dieser bei der Aufnahme von Money Jungle wegen Roach nicht weiterspielen wollte.

  • Filme

Dass Duke Ellington auch in Filmen aufgetreten ist, war mir neu. Es handelt sich dabei um Streifen in ca. 10minütiger Länge, die als Vorfilm für die Kinos gedreht wurden und gleichzeitig als Werbefilme für das Orchester fungierten. In Black and Tan (1929) kann man eine reduzierte Band in klassischer Aufstellung sehen und Tricky Sam Nanton beim Growling beobachten. In Symphony in Black (1935) singt die erst 20jährige Billie Holiday.

  • »Beyond Category«

Im letzten Kapitel, der ‚CODA‘, charakterisiert Knauer unter dem Motto »Beyond category« Ellington als ‚stilübergreifende Identifikationsfigur‘ des Jazz weit über den Bebop hinaus. Als „Avantgardist, dem man dies nicht anmerkt“ (S.299) habe er den Begriff der Komposition neu definiert und damit die eurozentristische Sichtweise der Musikbetrachtung aufgebrochen.
Was Wolfram Knauer mit seinem Buch bietet, könnte man in gewisser Weise auch »beyond category« verorten. Angesichts der Menge an Fachliteratur über Ellington, die er am Ende vorstellt, ist es schon bewundernswert, wie er auf nur 300 Seiten einen tiefgehenden Einblick in das musikalische Werk Ellingtons gibt. Er schreibt sehr sachlich und die Fülle von Fakten verrät eine geradezu unendliche Detailkenntnis des Autors. Die Einteilung in ‚Chorusse‘ statt Kapitel lässt – trotz der nüchternen Darstellung – aber auch eine emotionale Verbundenheit erkennen. Dies ist – neben "Play yourself, man!"- mal wieder ein Standardwerk von Wolfram Knauer.

Am Ende des Buchs findet sich ein ausführliches Personen- und Titelregister, das dem Buch auch einen Lexikon-Charakter verleiht. Viele Fotos, nicht nur vom Duke, geben auch visuelle Einblicke. Am Ende des Vorworts empfiehlt Wolfram Knauer dem Leser „bei der Lektüre die Musik greifbar zu halten“. Er könne nur Kontexte beschreiben, die Musik stehe „letzten Endes immer für sich selbst“. Es geht letztlich ums Zuhören. Neben den Originalen eignet sich dazu auch die Aufnahme des Jazz at Lincoln Center Orchestra.

Wolfram Knauer, Duke Ellington
Geb. Format 15 x 21,5 cm, 328 S.
Wolke Verlag ISBN: 978-3-15-011127-7 2017
download des 1. Kapitels

Wolfram Knauer (Hg.): Duke Ellington und die Folgen. Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung, Bd. 6
Wolke Verlag 2000
276 Seiten, ISBN 3-923997-91-4

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