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Wolfram Knauer

Black and Blue - Louis Armstrong

Darmstadt, 02.07.2021
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Jazzinstitut Darmstadt

1913 wurde dieses Video der Jenkins Orphanage Band in New Orleans aufgenommen. Louis Armstrong, der vor 120 Jahren geboren wurde, hätte gut einer der Jungs sein können, die bei dieser Band mitspielen.

Wolfram Knauers neues Buch Black and Blue - Louis Armstrong – Sein Leben und seine Musik ist zum Doppeljubliäum (120. Geburtstag, 50. Todestag) erschienen und gibt einen veränderten Blick auf die Persönlichkeit Armstrongs, auf seine Bedeutung für die Entwicklung des Jazz, insbesondere aber auf seinen Umgang mit dem Rassismus.

  • Whats new?

Links auf solch unbekannte Videos wie oben sind eine Spezialität des Buches, das schon 2010 unter dem Titel 'Louis Armstrong' erschienen ist. Zum Doppeljubiläum erscheint nun eine erweiterte Neuausgabe. Was damals ein unscheinbares Reclam-Heftchen war ist nun ein angemessen repräsentables gebundenes Buch. Damit steht es nun in einer Reihe mit Knauers 2017 erschienener Monographie über Duke Ellington.

Knauer begründet die Neuausgabe des bereits 2010 erschienenen Buches mit „weitreichende(n) politische(n) Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, (die) .. den Blick auf die Kultur des Landes beeinflusst (haben): der erste schwarze Präsident, der zwischenzeitliche Siegeszug eines rigiden Populismus, Polizeigewalt und terroristische Attentate auf Schwarze und eine breite Bewegung, die sich dem strukturellen Rassismus in System und Gesellschaft entgegenstellt...
Es ist also eine bewusste Entscheidung, dieser erheblich überarbeiteten neuen Auflage meiner Armstrong-Biographie den Titel »Black and Blue« zu geben und es damit nach einer frühen Aufnahme des Stücks von Fats Waller zu benennen, mit der Armstrong der politischen Forderung von Gleichberechtigung und gleicher menschlicher Würde Ausdruck verlieh.
(S.8; 10)

Diesen Blick auf die politischen Aspekte im Leben Armstrongs kann kein anderer als Wolfram Knauer (s. Foto) wagen, denn nur er war als erster Europäer Inhaber der Louis-Armstrong-Professur für Jazz-Studien an der Columbia University. Zudem leitet er das Jazzinstituts Darmstadt und ist Herausgeber der Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung. In der Neuausgabe wurde ein Kapitel entfernt, eines neu und ein anderes umgeschrieben, viele Passagen sind um konkrete Informationen zu politischen Aktivitäten erweitert.

Aber auch medial gibt es Neues zu verzeichnen, in einer Art ‚augmented reality‘ sind die Seiten durchgehend mit Symbolen versehen, die zu einer ‚Playlist‘ in dem erweiterten Anhang führen. In dieser Liste findet man Informationen zu den im Text besprochenen Aufnahmen und Filmausschnitten: Titel, Mitwirkende mit Instrumenten, Ort, Datum. Auf der Verlagsseite kann man außerdem über einen Link direkt zur Spotify-Liste navigieren oder eine Link-Liste herunterladen.
Man kann darüber streiten, ob es Sinn macht, spotify auf diese Weise zu unterstützen. Viele dieser Aufnahmen gibt’s auch bei YouTube, doch das macht auch keinen großen Unterschied. Praktisch ist es allemal.

  • Black and Blue

Letztlich muss man sich aber von der synoptischen Fokussierung lösen, um dem Text insgesamt gerecht zu werden. Und dieses Buch beinhaltet mehr als gewöhnliche Monographien, die sich oft um möglichst viele biografische Details bemühen. Der Untertitel des Buchs ‚Louis Armstrong – Sein Leben und seine Musik‘ könnte falsch verstanden werden, denn trotz des biografischen Ansatzes geht es auch um die Entwicklung des Jazz.
Das Leben Armstrongs erhält seine Bedeutung vor allem auf dem Hintergrund der Zeitgeschichte und in der Kooperation mit anderen Musikern. In diesem Sinne geht es nicht um die Genialität eines einzelnen Musikers, sondern um die Begabung, all diese Einflüsse zusammenzuführen und daraus etwas Neues zu entwickeln.

Über die Biografie hinaus werden darum viele weitere Aspekte einbezogen:
- die Musiker, mit denen Armstrong zusammenarbeitete, wie Lil Hardin, Bix Beiderbecke, Freddy Keppard, Fletcher Henderson, Bessie Smith, Johnny Dodds, Kid Ory, Earl Hines, später auch Jack Teagarden, Velma Middleton und Benny Barney u. a.
- die soziale Lage und die Aktivitäten der Musiker
- wirtschaftliche Aspekte wie Werbung, Plattenlabels, Gagen, Manager
- die Veränderung der Aufnahmetechnik vom Trichter zum Mikrofon
- die Rolle der Arrangements und Arrangeure

Ein besonderer Schwerpunkt der Neuausgabe ist das Thema Rassismus.

“'Cause you're black, folks think you lack
They laugh at you, and scorn you too
What did I do to be so black and blue?”

Der Buchtitel Black and Blue, gleichnamig mit dem berühmten Stück, das immer zu Armstrongs Repertoire gehört hat, wird mit seinem Subtext als Protest gegen Rassismus erklärt (S.106). Viele neue Passagen finden sich zur Lage der Afroamerikaner und zu Positionen von Armstrong, z. B. bei der Harlem-Renaissance. In dem neuen Unterkapitel ,Botschafter für die Kultur und gegen den Rassismus‘ (S.172ff) werden wichtige politische Aktivitäten dargestellt, darunter Armstrongs Stellungnahme zu den Vorfällen 1957 in Little Rock und seine Weigerung in New Orleans aufzutreten.

  • Who was Louis Armstrong?

Armstrongs Zeit in New Orleans und in Chicago nimmt in etwa die erste Hälfte des Buches ein. Das entspricht der Bedeutung dieser Zeit, in der Armstrong als „erste(r) wirkliche(r) Solokünstler es Jazz“ (S.159) maßgeblich die Entwicklung des Jazz beeinflusst hat. Wichtiger noch als der Scat-Gesang, der wohl zufällig erfunden wurde (S.87), ist seine Spielweise auf der Trompete:
„Hohe Töne konnte Armstrong also spielen wie kein anderer. In seinem Solo im S.O.L. Blues vom 13. Mai 1927 hält Armstrong fünf hohe Cs für jeweils dreieinhalb Taktschläge, bevor er sie mit einer absteigenden Linie schließt. Hier nahm er eine Virtuosentechnik vorweg, die später vor allem in den Big Bands fortgeführt wurde. ... In diesen Aufnahmen wird immer deutlicher, dass Armstrong sich vom Ideal der melodischen Umspielung, der Paraphrase, gelöst hat und mehr und mehr über Akkord-Sequenzen improvisiert - <playing the changes> - wie es im Jazz heißt. Es ist diese Technik, die Armstrong vielleicht zum ersten modernen Solisten des Jazz machte.“ (S.91f)

In der zweiten Hälfte des Buches hat die musikalische Entwicklung nicht mehr denselben Stellenwert. Konnte Armstrong in der Swing-Ära noch seinen Star-Status behaupten, so wurde dies nach dem 2. Weltkrieg schwieriger. Die Einheit des Jazz als Kunst- und Unterhaltungsmusik zerbrach. Die Jugendlichen tanzten zum Rock ’n‘ Roll und der Bebop war die Kunstmusik einer Minderheit, zu der sich Armstrong auch nicht mehr zugehörig fühlte. Was blieb ihm da?

Knauer schreibt in der 2. Hälfte des Buches weniger chronologisch, sondern mehr im Rahmen übergeordneter Themen wie Auslandstourneen, Verhältnis zum modernen Jazz, Rassismus, Kommerzialisierung. Die All Stars waren seine neue Band, hatten aber kaum mehr innovative Kraft und werden auch im Zusammenhang mit dem nostalgisch motivierten Dixieland gesehen.

Mache Details erstaunen, z. B. dass Armstrong einmal zusammen mit Lotte Lenya gesungen hat und dass 1961 bei einer Tournee in Afrika ein Waffenstillstand für die Zeit seines Konzerts vereinbart wurde.

Wichtiger aber ist hier die Frage, wer Armstrong eigentlich war: ein ‚Uncle Tom‘ und nützlicher Idiot? Ein Opportunist? Ein ‚Gutmensch‘? Ein Kämpfer für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner? Knauer beantwortet diese Frage vorsichtig, aber sehr kompetent, indem er sich nicht auf Pauschalisierungen einlässt. Im Kapitel Nachbar als Star kommt man Armstrong als Mensch näher, wenn man z. B. erfährt, wie bescheiden er wohnte. So entsteht ein differenzierte Bild von einem sympathischen Musiker, der mit seiner Menschlichkeit seinen eigenen Weg in den schwierigen Zeiten des 20. Jahrhunderts gefunden hat.

  • „personifizierter Inbegriff der Jazzgeschichte“ (S.170)

Eine besondere Stärke von Wolfram Knauers Büchern ist seine detaillierte Analyse einzelner Stücke, die dem Leser helfen die Musik besser zu verstehen und damit anders zu hören. Dies ist besonders im ersten Teil des Buches der Fall, z. B. bei dem berühmten Intro zum West End Blues, das „wie eine Art Essay über die elementaren Charakteristika des Jazz (wirkt), darüber wie man mit Melodik, Harmonik, Rhythmik, Dynamik und Artikulation Spannung und Entspannung zugleich erzeugen kann“ (S.88).
Manchmal vergleicht der Autor auch zwei Versionen des gleichen Stücks, wie Copenhagen, 1924, einmal mit Bix Beiderbecke, einmal mit Armstrong im Fletcher Henderson Orchestra.

In der ‚Zugabe‘ am Ende des Buchs wird Armstrong als einflussreichster Jazz-Musiker neben Parker und Coltrane gewürdigt. Aber Wolfram Knauer wäre nicht er selbst, wenn er es bei diesem pauschalen Statement beließe. Vier Seiten dazu bilden den Abschluss dieses neuen Standardwerks von Wolfram Knauer, das in jede Jazz-Bibliothek gehört.

Wolfram Knauer, Black and Blue - Louis Armstrong – Sein Leben und seine Musik
ISBN-13: 9783150113233
Umfang: 256 Seiten
Erscheinungstermin: 24.6.2021

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