Wolfgang Muthspiel
‚Rising Grace’
TEXT: Heinrch Brinkmöller-Becker |
Ein aktuelles Album, das stark an Ralph Towner oder Pat Metheny oder Jim Hall im Zusammenspiel mit Kenny Wheeler erinnert, überrascht insofern, als dieses nach déjà entendu, bestimmt nicht nach Innovation klingt – aber das gerade bei ECM erschienene Album Rising Grace klingt trotzdem verdammt gut. Dies mag daran liegen, dass der österreichische Gitarrist Wolfgang Muthspiel mit seinen „angestammten“ Rhythmikern Larry Grenadier am Kontrabass und Brian Blade am Schlagzeug zusätzlich zwei ebenfalls herausragende Musiker ins Quintett-Boot holt: keinen Geringeren als Brad Mehldau am Piano und den umwerfenden jungen Trompeter Ambrose Akinmusire.
Bereits der Opener mit dem Titelstück – man ist geneigt zu sagen: Titelsong – zeigt die musikalische Richtung des Albums an: eine lange Melodie mit einfachem Motiv fließt ruhig dahin, akustische Gitarre, strahlender Trompetensound und eher zurückhaltende Pianoläufe spielen und umspielen die ostinate Figur. Wie auch das folgende langsame Intensive Care mit seinem feinsinnigen Schwebezustand oder der butterweiche Triad Song mit seiner einfachen Pop-Melodie und herrlichen Solo-Einlagen von Mehldau, Muthspiel und Akinmusire dokumentieren: Bei den Musikern des Quintetts handelt es sich allesamt um ausgesprochen lyrische Melodiker, ihr Zusammenspiel bewegt sich hart an der Grenze zum Kitschverdacht. Diesem entgehen sie jedoch durch eine sehr konzentrierte, kunstvoll aufeinander abgestimmte Interaktion, deren Artistik im genauen Aufeinander-Hören und einem eher zurückhaltend verwobenen Kommunikationsgeflecht besteht. Ob Muthspiels singende akustische oder elektrische Gitarre, ob das kristallklar und phantasievoll phrasierte Trompetenspiel Akinmusires, ob Mehldaus perlende Pianoläufe, ob der sanft zupackende groovende Kontrabass Grenadiers, ob Blades subtil variierter Rhythmus – das intime Interplay der Fünf erzeugt eine spannungsgeladene und spannende Verdichtung ihres musikalischen Ausgangsmaterials. In der im Titel explizierten Hommage an Kenny Wheeler, der ruhigen Rêverie Den Wheeler, Den Kenny, wird der US-amerikanische vielfach ausgezeichnete Ambrose Akinmusire – wie auf dem gesamten Album – seinem Vorbild mehr als gerecht und entzieht sich souverän jeglichem epigonalen Kopieren. Die einzige Komposition des Albums, die nicht von Wolfgang Muthspiel stammt, ist ebenfalls als Hommage konzipiert: Wolfgang’s Waltz aus der Feder von Brad Mehldau kommt nach einem verspielten Intro am Piano und einer Metheny-ähnlichen Reise auf der elektrischen Gitarre als langsamer Walzer in Schwingung. Die Dynamik wird durch solistische Ausflüge von Brad Mehldau und Wolfgang Muthspiel und einer raffinierten Rhythmusunterstützung weiter entwickelt.
Mit dem serenadenhaften Oak endet ein spirituell-melancholisches Tonpoem aus zehn Titeln, das nichts unerhört Innovatives oder gar Provokantes in sich birgt, aber ein sehr subtiles und kunstvolles Werk von fünf melomanen Musikern bedeutet. Rising Grace erzeugt mit seinen vielfältigen introspektiven Lyrismen und seiner Orientierung am Melodiösen als Basis für eine großartige musikalische Entfaltung im Solo- und im Gruppenspiel einen unaufdringlich-betörenden Schönklang. Wolfgang Muthspiel gelingt als Leader einer All-Star-Band mit Rising Grace in der Tat ein großer Wurf voller Anmut.
Wolfgang Muthspiel: Rising Grace. ECM 2515 (CD 6025 4797962 9 ; 2-LP 6025 4799787 6)