Bild für Beitrag: Wadada Leo Smith & Vijay Iyer | Defiant Life

Wadada Leo Smith & Vijay Iyer

Defiant Life

Moers, 10.10.2025
TEXT: Stefan Pieper | 

Aus tiefsten Basstönen vom Klavier wird der Raum weit gemacht, dann klingen Trompetentöne wie schwere Seufzer. Das Piano funkelt zunächst nur leise auf. Was Wadada Leo Smith und Vijay Iyer beim diesjährigen Moers-Festival zeigten, war der definitive Höhepunkt des Festivals, wenn es um Weltklasse-Exzellenz im zeitgenössischen Jazz geht. Der Pianist schaffte atmosphärischen Raum auch auf dem Synthesizer, während Smiths Erzählfluss nie abriss. Erst später antwortete Vijay Iyer in messerscharfer Kalibrierung auf die endlos weiten, im Innersten ergreifenden Narrative dieses genialen Trompeters, der 1979 zum ersten Mal in Moers spielte. Genau diese synergetische Komplizenschaft macht Defiant Life zu einem der bemerkenswertesten ECM-Alben des Jahres.

Zwei Stimmen, eine Sprache

Defiant Life präsentiert Iyer und Smith in einem intensiven, auf das Wesentliche reduzierten Dialog, in dem sparsame Klangmittel eine große expressive Bandbreite eröffnen. Das Duo arbeitet mit feiner Dynamik, weiten Pausen und subtilen elektronischen Schattierungen, sodass jede Geste Gewicht bekommt und der Raum zwischen den Tönen zum formbildenden Element wird. Denn wenn Iyer und Smith zusammenkommen, verbinden sie sich auf mehreren Ebenen zugleich. Ihre gemeinsame Zeit wird bestimmt von Gesprächen über den Zustand der Welt, vom Studium von Befreiungsgeschichten und dem Austausch historischer Referenzen. Diese intellektuelle und spirituelle Grundierung trägt jede Note. Iyers Spiel liefert oft tiefe, modulierte Unterbauten und punktuelle, harmonische Muster, die sowohl als Fundament als auch als Impulsgeber fungieren. Smith antwortet mit konzentrierten, oft fragilen Trompetenlinien, die zwischen Fragmenten einer Melodie und offenen Schallflächen oszillieren. Die Stücke folgen eher einem inneren Atem als einem eindeutigen Rhythmus, wodurch melancholische, nachdenkliche Stimmungen und gelegentliche Aufblitze von Klarheit nebeneinanderstehen. Elektronische Farbtupfer und das Rhodes ergänzen die akustische Palette dezent und erweitern das Klangspektrum, ohne die intime Direktheit des Duos zu verwischen.

Klang als Haltung

Thematisch spürt das Album Fragen von Erinnerung, Verlust und Widerstand nach, ohne in plakative Gesten zu verfallen. "Diese Aufnahmesession war geprägt von unserer anhaltenden Trauer und Empörung über die Grausamkeiten des vergangenen Jahres, aber auch von unserem Glauben an die menschlichen Möglichkeiten", schreibt Vijay Iyer in den Linernotes. Zwei Widmungen rahmen diese Haltung: Wadadas Floating River Requiem für den 1961 ermordeten kongolesischen Premierminister Patrice Lumumba und Iyers Kite für den 2023 in Gaza getöteten palästinensischen Dichter Refaat Alareer. Prelude Survival setzt bedrohliche Drones gegen aufsteigende Trompeten-Auren, das Lumumba-Requiem entfaltet wehmütige Intonationen über majestätischen, dunklen Klangflächen. Elegy The Pilgrimage öffnet einen meditativen Raum spiritueller Klarheit, während Kite lyrische Passagen mit schmerzhaft-luminösen Sequenzen verbindet.

Defiant Life ist ein anspruchsvolles, emotional dichtes Werk, das tiefe Zustände von Berührung eröffnet und Hörerinnen und Hörer, die Geduld und ein offenes Ohr mitbringen, reich belohnt. Es ist kein lautes Statementalbum, sondern ein leises, aber mächtiges Plädoyer für Haltung durch Klang – eine würdige Fortsetzung der künstlerischen Verbindung zwischen zwei Giganten des zeitgenössischen Jazz.

ORDER ALBUM

Suche