Trygve Seims
Rumi Songs
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Ein besonderes Beispiel von eigentlich nur schwer einzuordnender „Weltmusik“ ist auf dem neuen Album des norwegischen Saxophonisten Trygve Seim auszumachen: Rumi Songs. Dem Titel ist zu entnehmen, worum es geht: Mit seinem Quartett mit der vielseitig erfahrenen Mezzosopranistin Tora Augestad, dem Akkordeonisten Frode Haltli und dem Cellisten Svante Henryson werden Gedichte des persischen Sufi-Mystikers Lelaluddin Rumi (1207-1273) vertont. Seim nimmt die englische Übersetzung von Coleman Bark auf, die sich der lyrischen Tradition von Walt Whitman und William Carlos Williams verpflichtet fühlt. Barks Anthologie ‚The Essential Rumi’ führte zu einem regelrechten Rumi-Boom. Auf die im Booklet komplett abgedruckten 10 Gedichte soll hier nicht weiter eingegangen werden.
Auch Seim ist von der Poesie des persischen Dichters angetan, die verstorbene Sopranistin Anne-Lise Berntsen lädt den bis dahin dem Jazz verpflichteten Saxophonisten 2003 zu einem Konzert für Stimme, Orgel und Piano ein und bringt diesen dazu, sich näher mit Rumi und verschiedenen Vertonungsoptionen zu beschäftigen. Trygve Seim setzt sich darüber hinaus in Ägypten intensiv mit arabischer Musik auseinander. Die Beschäftigung mit verschiedenen Instrumentierungen, mit der Erstaufführung des kompletten Liederzyklus’ 2013 in Norwegen und auf verschiedenen Tourneen führten schließlich zur Aufnahme von Rumi Songs im Februar 2015 im Osloer Rainbow Studio.
Der Opener In Your Beauty führt bereits in den ästhetischen Grundtenor des gesamten Albums ein: Ein reimloses Gedicht mit nur sechs Versen wird gesanglich mit hoher Stimme vorgetragen, Akkordeon und gestrichenes Cello begleiten das langsame, in dieser Instrumentierung sakral wirkende (Kunst-)Lied, das Saxophon nimmt die getragene Stimme kurz auf, im Pizzicato übernimmt das Cello die Rolle des Bassinstrumentes. Seeing Double wechselt Klangfarbe und musikalischen Ausdruck, das Gedicht über das Einssein von zwei Liebenden wird mit dem Akkordeon in einen lebendig-spritzigen Tango versetzt, es folgen eine Pizzicato-Basslinie und ein beschwingtes Rubato auf dem Cello und anschließend auf dem Akkordeon, bis der Song in ruhiger Saxophonstimme ausklingt. Indische Einflüsse sind in der durch Stimme und Begleitung repetierten Melodielinie von Leaving My Self auszumachen, der einfach gehaltene Song hält dank der Phrasierung der Instrumente von Anfang bis zum im Bass vorgetragenen Ende eine eigentümlich irritierende Spannung. Der Latin-Rhythmus zu Beginn von When I See Your Face transformiert im Rubato zu einer in arabischen Farben gewirkten Melodie, Seim bläst ein Solo, das ägyptische Einflüsse verrät, und tritt in einen hymnischen Dialog mit Frode Haltli. Das mit gut zweieinhalb Minuten kürzeste Stück des Albums, Whirling Rhythms, ist rein instrumental, es beginnt mit einer „arabischen“ Weise des Tenor-Saxophons, das vom Akkordeon sekundiert wird, anschließend übernehmen Cello und Akkordeon die Begleitung von Seims solistischen Variationen. Im letzten Song, There Is Some Kiss We Want, intoniert Seim mit dem Sopran-Saxophon die Melodiestimme, die wunderbar der Tonlage und dem sehnsuchtsvollen Ausdruck von Augestads Stimme und damit der Aussage des Gedichtes entspricht.
Anders als Trygve Sein laut eigener Aussage selbst erwartet hat, durchzieht Rumi Songs kein durchgängig „orientalischer“ Tenor, der Reiz des Albums besteht darin, den spirituell-mystischen Kern der Lyrik Rumis in eine ganz eigene nord-west-östliche musikalische Idiomatik zu übertragen. Dank der Instrumentierung mit Stimme und drei Instrumenten und den feinfühligen Arrangements bzw. Improvisationsansätzen gelingt Trygve Seim eine überzeugende transkulturelle Übersetzungsleistung des Lyrischen ins Musikalische - eine interessante Form des „grenzenlosen“ Kunstliedes mit Rückgriff auf die Bilderwelt des 13. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert, in dem Grenzen politisch offensichtlich wieder wichtiger zu werden scheinen.
ECM Records 2449