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Transmitting

Musikalische Begegnungen in Marokko

Bochum, 02.03.2014
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | 

Ein für die Jazzgemeinde sicherlich hochinteressanter Film hat am 7.3.2014 in NRW Premiere: Der neue Film von Christoph Hübner und Gabriele Voss ist ein Musik(-er)film und ein dokumentarisches road movie, das uns in die Welt von Marokko führt. Gezeigt wird das sich entwickelnde und am Anfang zu scheitern drohende Vorhaben des deutschen Ausnahmepianisten und Saxophonisten Joachim Kühn mit dem marokkanischen Sänger und Guembri- und Oud-Spieler Majid Bekkas und dem spanischen Perkussionisten und Drummer Ramon Lopez. Nach einem Jahr Planung nehmen sich die Drei vor, in einem Studio in Rabat und in der Benin-Wüste mit Berbern gemeinsam Musik aufzunehmen, die europäische und afrikanische Musik(-kulturen) zusammenbringen und in diesem Sinne etwas Neues an musikalischer Sprache kreieren will. Ziel ist die Produktion einer Trio-CD mit dem entsprechenden perkussiven Material von Musikern aus der Sahara.

In einer ausgesprochen ruhigen und damit wohltuenden dokumentarischen Erzählweise mit langen Einstellungen mit langsamen Auf- und Abblenden, in denen der Ton bereits die Bilder vorbereitet oder er bildlos nachhallt, nimmt uns der Film mit auf diese Reise. Hierbei erfährt man etwas über das Musikprojekt des Trios, über die jeweilige Musikerpersönlichkeit und ihre kulturellen Wurzeln, über die Lebenswelt in Marokko (in der Stadt Rabat und über das Leben in der Wüste bzw. in einer Oase), aber auch etwas über die Lebenswirklichkeit und die Lebensbedingungen der marokkanischen Musiker, wenn etwa ein beduinischer Sänger und Perkussionist uns vorführt, wie er sich auf dem Kamel vor Sandstürmen schützt, und dabei erklärt, dass er als Musiker nicht überleben kann und auf den Nebenerwerb seines „traditionellen“ Berufs zurückgreifen muss.

Die Bilddramaturgie ist dabei angenehm traditionell, indem zum Beispiel in establishing shots der Zuschauer ausgehend von außen von Straßenszenen in das Innere des Tonstudios geführt wird. Neben der Orientierung des Zuschauers wird so die Umgebung, das kulturelle Flair der entstehenden Musik mitgeliefert. Es entstehen atmosphärisch dicht komponierte Bilder. Geradezu poetisch werden sie durch stimmungsvolle Tier- und Landschaftsaufnahmen, durch Straßen- und Teehausszenen und etwa mit leitmotivischen Nachtaufnahmen von streunenden und bellenden Hunden aufgeladen. Konsequent umgehen die Filmemacher die Gefahr von touristoiden Klischeebildern. Neben der Landschaft wie selbstverständlich der Wüste und der Oase richtet sich die Kamera von Christoph Hübner vor allem auf die Musiker. Ihr Treffen, die Schwierigkeiten der ersten Annäherung, dem drohenden Scheitern des Projekts, das Ringen um Tonhöhen, um Rhythmus und die Verzweiflung des Toningenieurs („Das Projekt ist zu ambitioniert“) – all das zeigt: „Weltmusik“ zu spielen, nimmt man sie ernst und nicht als bloßen Eintopf mit verschiedenen exotischen Ingredienzien, ist ein ziemlich schwieriges Unterfangen der kulturellen Annäherung. Sie setzt Zuhören und gegenseitiges Ernstnehmen und Sich-Einlassen auf die verschiedenen Traditionen und Besonderheiten voraus. Die kulturellen Differenzen zeigen sich neben der Musik auch in ihren technischen Reproduktionsmöglichkeiten, wenn Joachim Kühn gelassen lächelnd in die Kamera blickt und nuschelnd Afrika als „andere Welt“ tituliert und damit nicht so sehr die Musik als die Aufnahmetechnik bei häufigen Computer-Abstürzen meint. Oder Majid Bekkas bei einer Kameraeinstellung auf ein ziemlich komplexes Computerbild mit unzähligen Tracks darüber räsoniert, dass simpelste Aufnahmetechnik seiner Musik angemessener sei. Im Musikalischen ist die Annäherung der Drei aufschlussreich: Während Ramon Lopez in einem Solo mühelos sein Drumset mit unterschiedlichen Perkussionsinstrumenten und auch im Zusammenspiel mit den Beduinen deren Spiel auf den talking drums in seine Sprache einzubinden weiß, verweist der Leipziger Joachim Kühn nach einem furiosen Pianosolo mit deutlich erkennbaren An-Klängen in der Improvisation an den berühmten Leipziger Kantor darauf, dass seine Herkunft, sein Blues eben selbstverständlich Bach sei. Der eigentlich Blues als Feeling komme ursprünglich aus Afrika und sei von Europäern eben nicht wie im Ursprungsland zu spielen, wie umgekehrt dort Bach wahrscheinlich nicht wirklich verstanden würde. Gemeinsames „interkulturelles“ Improvisieren belässt eben das Authentische und seine Wurzeln und stellt im Sinne des Filmtitels einen Übertragungs- und Übersetzungsprozess dar. In dem Zusammenhang verstört ein wenig die Hommage von Majid Bekkas an John Lee Hooker in dem gleichnamigen Stück – auf der E-Gitarre gespielt, lässt sie zu wenig von dem authentischen Feeling erkennen, das Joachim Kühn beschreibt.

Der Film gipfelt in einer Neuaufnahme des Kühn-Titels ‚Seawalk’ durch die drei Musiker. Christoph Hübner und Gabriele Voss kann man für ihr ästhetisches Prinzip dankbar sein, diese Szene in der Tonspur nicht zu unterbrechen. Das auch sichtbar glückende Zusammenspiel des Trios wird in einer ca. 6 Minuten langen Szene gezeigt. Eingeblendet werden dabei zum Teil die Perkussionisten aus der Sahara, die bei der Aufnahmesession wesentlich mit zu dem Groove auf der Tonspur beitragen. Derer Beteiligung an dem Zustandekommen des sich steigernden Titels wird so angemessen Rechnung getragen.

Der bis auf ein Textinsert kommentarlose Film lässt ausschließlich die Musiker und ihre Musik sprechen. Die bei ACT 2009 herausgegebene CD ‚Out Of The Desert’ des Trios wird man nach dem Filmbesuch gerne noch einmal hören – und mit den wunderbaren Bildern und interessanten Reflexionen sinnlich anders aufnehmen – ein wahres synästhetisches Vergnügen.

Weitere Informationen zu dem Film: www.realfictionfilme.de

offizielle Premiere des Films am 7.3. im Filmmuseum (black box) in Düsseldorf, Schulstraße 2.

Am Donnerstag, 6. März 2014, 20:00 Uhr, ist der Film in der

Peter Kowald Gesellschaft / ort e.V.

Luisenstraße 116, 42103 Wuppertal zu sehen.

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