Tobi Müller Play Pause Repeat
Von der LP bis zu Spotify
TEXT: Heinz Schlinkert |
.
„Beim Betreten des Plattenladens lasse ich meine Daten an der Kasse: E-Mail-Adresse, Geburtstag, Geschlecht (männlich, weiblich, divers) die Zahlungsverbindung. Kameras registrieren, in welchen Fächern ich stöbere und welche Schallplatte ... ich herausnehme ... Ich gehe mit meinem Stapel zum Tresen, um mir eine Auswahl anzuhören. Dabei hält ein Zähler fest, wie lange ich welche Stücke höre und wie oft. Aufgezeichnet wird auch, ob ich einzelne Lieder ansteuere, ganze Alben wähle oder lieber eine der vielen Compilations höre, die wie von Geisterhand zuoberst auf dem Stapel liegen, obwohl ich sie gar nicht ausgewählt habe.“ (S.203)
Diese nachträgliche Projektion der digitalen Welt auf einen analogen Schallplattenladen früherer Jahre zeigt, wie sich die Welt der Musik verändert hat. Am Anfang stehen die 50er/60 Jahre mit Radio und Schallplatte, am Ende die Gegenwart mit Plattformen wie Spotify. Über gut 200 Seiten berichtet der Autor sehr anschaulich, teilweise anhand eigener Erfahrungen, über die Entwicklung der Popmusik. Doch es geht ihm nicht allein um die Musik:
„Play, Pause, Repeat verbindet die Felder der Technologie mit jener der Musik. Das Buch zeigt, wie Technologie und Pop sich wechselseitig bedingen und beeinflussen.“ (S.12)
POP means popular, ist aber weder Folk noch Volksmusik, noch Jazz oder Schlager. Der Autor verwendet diesen Begriff für all die andern Musikformen, die in der Welt der Musik vorherrschen. Doch es geht dabei nicht nur um die Musik selbst. Pop im Sinne Tobi Müllers ist ein way of life, der in den öffentlichen Raum hineinreicht und auch die Erlebniswelt umfasst.
- Der Autor
Tobi Müller ist Journalist in Berlin und schreibt über Theater, Pop und digitale Themen. Sein Geburtsjahr 1970 spielt eine Rolle, weil im Buch bald deutlich wird, welche Zeiträume er selbst miterlebt hat und welche nicht. Rap, Techno und andere moderne Stile werden besonders detailliert beschrieben, frühere Phasen basieren meist auf Recherchen oder auf Kindheitserfahrungen, die manchmal zu sehr verallgemeinert werden.
Das Buch ist sehr ansprechend geschrieben, im Präsenz. Der Ich-Erzähler ist wohl weitgehend mit dem Autor identisch.
- „Denn jede Zeit hat die Technologie, die sie braucht.“ (S.221)
Ausgangspunkt seiner Darstellung ist die Musikbranche nach dem Zweiten Weltkrieg. Es dominierten Radio und Schallplatten, doch Tonbänder gewannen zunehmend an Bedeutung. Vermisst habe ich hier die Transistorradios, die Aufnahmen mithilfe von Tonband-Geräten ermöglichten. Das war schon ein großer Fortschritt, nicht mehr von dem elterlichen Musikschrank im Wohnzimmer abhängig zu sein. Play, Pause, gab es schon, Repeat noch nicht.
Die Transistorradios ermöglichten es aber auch den Jugendlichen zum ersten Mal ihre Musik im öffentlichen Raum zu hören. Im Buch wird dies erst als Besonderheit von Walkman und Discman erwähnt.
Der Autor erklärt wie sich über Jahrzehnte hinweg die Entwicklung der Musik, der Aufnahme- und Speichertechnik und selbst der Musikinstrumente gegenseitig bedingen. Dazu beschreibt er exemplarisch einzelne Musiker oder auch Musikstücke. Sicher spielen da auch seine Vorlieben eine Rolle, Mike Oldfield, U2, Denniz PoP werden ausführlich bedacht. Besonders interessant finde ich, dass er sich bei der Technik nicht auf Abspielgeräte und Speichermedien beschränkt. Es geht auch um die Entstehung und Bedeutung von Verstärkern, Kopfhörern, Vocodern, Drumcomputern, Synthesizern, um MP 3 und Musikproduktions-Software. So erfährt man z. B., dass die Beatles wegen der unzureichenden Verstärkertechnik auf ihren Konzerten gar nicht mehr zu hören waren und auch deshalb nicht mehr auftraten. Danach wurden neue Verstärker entwickelt, die u. a. erst Heavy Metal möglich machten.
Medientheoretische Aspekte werden auch thematisiert und zeigen, dass der Autor auch in größeren Zusammenhängen denkt. Klar, Adorno muss sein, Foucault, Virilio sind dabei, das Buch über Pop-Musik von Diedrich Diederichsen darf nicht fehlen. Besonders interessant fand ich die Ausführungen über Walter Benjamins berühmten Essay ‚Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‘. Müller bemerkt, dass sich das Verhältnis umkehrt, wenn z. B. beim HipHop der Sampler selbst zur Reproduktionsmaschine wird. Der berühmte Medienwissenschaftler Marshall McLuhan wird nicht erwähnt, obwohl ‚The Medium is the Messsage‘ doch genau den Bedeutungsverlust der Musik thematisiert. Den zentralen Begriff der Medienkonvergenz habe ich im ganzen Buch nicht gefunden.
- unterm Strich ...
Dieses interessante Buch hilft die Entwicklung der Musik besser zu verstehen. Je nach Alter des Lesers kann man viele eigene Musikerfahrungen wiederaufleben lassen bzw. in neuem Licht sehen. Leider gibt es keine Fotos, aber eine Playlist mit den im Buch genannten Stücken.
Wichtige Ergebnisse des Buchs sind:
- der Zusammenhang von musikalischer und technischer Entwicklung
- der Bedeutungsverlust der PopMusik, die keine Botschaften mehr transportiert, sondern nur noch Konsumbedürfnisse befriedigt:
„Die häufig gestellte Frage inwiefern Streaming die Musik beeinflusst habe, ist .. etwas fehlgeleitet. Denn es haben sich weniger die Songformen verändert als die Art und Weise, wie wir Musik hören.“( S.219)
- die prekäre Lage viele Musiker, der die überragende Bedeutung einiger weniger Stars gegenübersteht
- die große Bedeutung der Konzerte als Haupteinnahmequelle der Musiker, CDs dienen oft nur der Promotion (vgl. aktuell ABBA)
- die besondere Bedeutung der Location: das Konzerterlebnis ist oft wichtiger als die Musik selbst
- die Entwicklung des Pop zur Weltmusik
- POP und JAZZ
POP schön und gut, aber was bedeutet das für den Jazz, der im Buch kaum thematisiert wird, ist er von diesen Veränderungen nicht betroffen?
Jazz war fast schon immer Weltmusik, könnte man sagen. Zudem sind Pop und Jazz nicht immer klar abgrenzbar, Fusion Jazz und Crossover schufen Verbindungen, auch Keith Jarretts Köln Konzert und Herbie Hancock werden im Buch erwähnt.
Sicher, Jazzfans sind vergleichsweise älter als Pop-Fans und mehr an älteren Medienformaten interessiert. Vermutlich gibt es dort überdurchschnittlich viele Vinyl-Fans. Aber auch hier hat die digitale Welt Einzug gehalten. Da hat Corona mit den Streaming-Formaten sicher einiges verändert, aber auch schon vorher wurden Synthesizer, Theremins und Looper eingesetzt. YouTube ist eine Selbstverständlichkeit geworden, Jazz-Playlists gibt’s auch bei Spotify und seit kurzer Zeit gibt es auch die Plattform jazzed. So gesehen scheint Jazz den gleichen Weg zu gehen wie der Pop, wenn auch langsamer und vielleicht nicht so extrem.
Im Epilog des Buchs schreibt Tobi Müller über die Zukunft der Popmusik:
„In wenigen Jahrzehnten stirbt das Prinzip globaler Pop Stars ganz aus. Endloses Touring wird bei steigenden Mobilitätskosten kaum finanzierbar sein, ökologisch sinnvoll sowieso nicht. Das bedeutet mehr lokale Konzerte, kleinere Formate, weniger Reisen.“ (S.231)
Macht das den Jazz nicht schon immer aus? Nrwjazz kümmert sich besonders um die regionale Musik und steht genau dafür!
Tobi Müller Play Pause Repeat
Was Pop und seine Geräte über uns erzählen
Hanser Berlin
240 Seiten, gebunden, € 23
ISBN 978-3-446-27110-4
Erscheint am 27.09.2021