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Sun blowing

Spontansession mit perfektem Zusammenspiel

Bochum, 04.05.2016
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | 

Die CD sun blowing gibt die Spontan-Session mit dem Schweden Lars Danielsson am Kontrabass, frisch dekoriertem ECHO-Preisträger, dem Dänen Morten Lund an den Drums und dem Shooting Star am Tenorsaxophon aus Norwegen, Marius Neset, wieder.

Der legendenhaft klingenden Entstehungsgeschichte nach treffen sich die drei Skandinavier auf der Rückreise von der JazzBaltica zufällig im Zug in Richtung ihres gemeinsamen Wohnortes Kopenhagen und verabreden eine erste gemeinsame Session, die ihnen an einem kostenlosen Tag in Kopenhagens MillFactory Studio durch Initiative von Morten Lund im Beisein von ACT-Produzent Siggi Loch am 3. April 2014 auch gewährt wurde. Jeder bringt seine Stücke mit und ein - nach der Devise: „Einfach spielen, ohne große Vorbereitung“ (Lund). Dabei heraus gekommen ist das Gegenteil von einer überperfektioniert technikverliebten, dafür vielleicht steril klingenden Musikproduktion, sondern ein Album eines akustischen Trios, das sich auf den Kern des Jazz’ besinnt: auf energiegeladenes gemeinsames Improvisieren mit viel Spielfreude, großem spieltechnischen Können und frischen Ideen.

Bereits der Opener Little Jump aus der Feder von Lars Danielsson bedeutet mit seinem kräftigen Bass-Groove einen Rückgriff auf den New Orleans-Genpool des Jazz’: Bluesig frisch kommt der Tune daher und bringt die drei zum ersten Mal gemeinsam musizierenden Skandinavier in einen erkennbar stimmigen Flow, der First Take wird direkt auf die CD gesetzt. Die titelgebende Ballade Sun Blowing ist dagegen ein ruhiges Stück. Auch hier gibt der Kontrabass die Vorlage mit gezupfter Melodie in höherer Lage, das Tenorsax setzt mit kräftigem Ton ein. Der Bass behält melodiös singende Passagen bei, der Track erreicht einen hymnischen Charakter, der auch dem längsten Stück der CD, Salme (Psalm), und Folksong eigen ist. In Salme hört man Marius Neset mit expressiv-starker Stimme seines Tenors, Bass und Drum erden das gemeinsame Psalmieren, das sich allmählich immer stärker groovend ganz auf die Melodie-Struktur bezieht und Neset ausdrucksstarke Ausbrüche verschafft, bis die drei Musiker wieder auf eine eher besinnliche Form des Psalms und damit zu einem eindringlich zurückgenommenen Modus zurückkehren. In Up North – einer Komposition von Morton Lund – erhält Marius Neset auf der Grundlage einer starken Vorwärtsbewegung durch die kleine Rhythmusgruppe die Gelegenheit, den Calypso wunderbar Brecker-haft zu phrasieren, ebenso wie in dem Schlusstrack The Cost of Living, einer Don Grolnick-Komposition, die Michael Brecker auf seinem 1987 veröffentlichten Solo-Debütalbum einspielte. Die Reverenz gegenüber Brecker kommt nicht von ungefähr: Unverkennbar ist dieser Vorbild für den norwegischen Saxophonisten, Lund spielte mit Brecker auf einem Workshop im Duo, Danielsson tourte mit der Saxophon-Legende in den 1980er Jahren durch Europa. Am Trackende nimmt der Saxophonklang immer mehr zugunsten von rhythmischen Klappengeräuschen ab. In Evening Song For B – einer langsamen Serenade – erzeugt Neset mit dem Sopran-Saxophon und einer zweiten Saxophon-Stimme im Overdub eine relaxte Abendstimmung, die ein lyrisches Bass-Solo von Lars Danielsson zusätzlich untermauert.

Überhaupt: Die drei Ausnahmemusiker „harmonieren“ in sun blowing in perfekter Weise, ihr Zusammenspiel ist feinsinnig aufeinander abgestimmt, ob in kontemplativen oder zupackend-groovigen, ob in frei improvisierten oder in themenbasierten Phasen – immer ist ihre Musik ästhetisch raffiniert miteinander verwoben. Ohne Harmonieinstrument verstehen die drei, motivische Räume für ihr Zusammenspiel zu schaffen und organisch ihre solistischen Ausflüge einzubringen und dabei eine spielökonomische Balance zu halten: Bei aller Virtuosität und dem Ideenreichtum der Phrasierungen hat man nie das Gefühl, dass ein Ton zu viel gespielt würde. Marius Nesets Spiel gemahnt dabei an große Saxophon-Stimmen wie Michael Brecker und Jan Garbarek und Joe Henderson undundund... So jung der Saxophonist auch sein mag (Jg. 1985), er ist bereits jetzt ein ausgesprochen reif klingender und versierter Geschichten-Erzähler auf seinem Instrument mit eigener Stimme. Die Kennzeichnung der CD als „Sternstunde des Jazz“ entspringt ein wenig übertriebenem Label-Marketing, aber auf jeden Fall ist sun blowing ein großartiges Album, die CD weckt Neugier auf zukünftige Auftritte von allen Musikern, gerne auch wieder als Trio.

Danielsson Neset Lund: sun blowing. ACT 9821-2

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