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Steve Tibbets

Close

New York, 14.11.2025
TEXT: Stefan Pieper | 

Wenn sich Gitarrensaiten in Schwebezustände verwandeln und perkussive Akzente eher Andeutungen als Ankerpunkte setzen, dann bewegen wir uns in jenem Zwischenreich, das Steve Tibbetts seit Jahrzehnten erkundet. Sein aktuelles Werk für ECM, erschienen Ende Oktober 2025, trägt den programmatischen Titel Close – und tatsächlich fordert diese Musik eine besondere Nähe, ein Sich-Einlassen auf klangliche Nuancen, die sich erst bei konzentriertem Hören erschließen. Über einen Zeitraum von drei Jahren hat der Gitarrist in seinem Studio in St. Paul, Minnesota, Material zusammengetragen, das nun in elf numerierten Kapiteln vorliegt. An seiner Seite: Marc Anderson, der mit Perkussion, Gongs, Handpan und Loops arbeitet, sowie Schlagzeuger JT Bates. Das Trio agiert weniger als klassische Band denn als Klangkollektiv, in dem akustische und elektronisch bearbeitete Elemente ineinander übergehen.

Architektur statt Erzählung

Die Stücke – mit Titeln wie „We Begin", „Away" oder „Remember" versehen – folgen keinem konventionellen Songaufbau. Stattdessen entstehen Klangräume durch Überlagerungen und Wiederholungen, durch das behutsame Hinzufügen und Wegnehmen einzelner Elemente. Tibbetts nutzt die Gitarre häufig als Klangquelle für Texturen; melodische Entwicklungen weichen atmosphärischen Schichtungen und Farbwechseln.

Diese Herangehensweise erzeugt einen meditativen Sog, der in seinen gelungensten Passagen an rituelle Musik erinnert – nicht im folkloristischen Sinn, sondern als konzentrierte Versenkung in den Moment. Die Produktion folgt dabei jener ECM-Ästhetik, die Raum als gestalterisches Element begreift: Jedes Atemgeräusch, jedes Ausschwingen eines Gongs wird hörbar gemacht, ohne dass die Aufnahme dabei analytisch oder distanziert wirken würde.

Doch genau hier beginnt das Problem von Close: Die permanente Konzentration auf Feinheiten und kleinste Klangveränderungen führt über weite Strecken zu einer Statik, die sich nur schwer als künstlerische Absicht rechtfertigen lässt. Was als meditative Tiefe gemeint sein mag, wirkt mitunter wie ein Verharren auf der Stelle. Die Dramaturgie operiert so zurückhaltend, dass sie bisweilen ganz zu verschwinden scheint. Wer von Improvisationsmusik Spontaneität oder von komponierter Musik zumindest subtile Wendungen erwartet, wird hier oft enttäuscht. Die einzelnen Teile unterscheiden sich kaum voneinander; was sich variiert, bleibt im Grunde austauschbar. Selbst für ein ECM-Album, einem Label, das für seine Vorliebe für Raum und Stille bekannt ist, bewegt sich Close erstaunlich wenig vorwärts. Die konsequente Vermeidung von Kontrasten oder überraschenden Momenten mag konzeptuell stringent sein – hörend erlebt man sie jedoch häufig als verpasste Chancen.

Dabei gelingen Tibbetts und seinen Mitstreitern durchaus beeindruckende klangliche Details: die Art, wie ein Gong-Nachhall sich mit einem Gitarren-Loop verwebt, die feinen rhythmischen Verschiebungen, die Andersons Handpan-Spiel erzeugt. Doch diese Momente bleiben vereinzelte Lichtblicke in einer ansonsten gleichförmigen Klanglandschaft. Das Album verlangt nicht nur Geduld, sondern eine beinahe asketische Bereitschaft, sich mit minimalen Veränderungen zufriedenzugeben. Tibbetts selbst spricht von einer „Zwielichtsprache" – doch was hier zwischen den Zeilen gesagt werden soll, bleibt über weite Strecken unklar. Die Wiederholungen wirken weniger rituell als redundant, die Reduktion nicht als bewusste Konzentration, sondern als Mangel an Impulsen.

Für sehr geduldige Ohren

Close ist zweifellos handwerklich versiert produziert, und wer sich auf langsames, introspektives Hören einlassen möchte, findet hier sorgfältig gestaltete Klanglandschaften. Doch auch die aufmerksamste Hörerin, der geduldigste Hörer wird sich fragen müssen: Rechtfertigt die klangliche Raffinesse den oft allzu sparsamen Umgang mit dramaturgischer Entwicklung? Die Antwort hängt wohl davon ab, wie viel Stillstand man als kontemplative Tiefe interpretieren möchte – und ab welchem Punkt man einen solchen als künstlerische Selbstbeschränkung empfindet. Tibbetts bleibt seiner Vision treu, keine Frage. Aber diese Vision hätte durchaus Raum für mehr Mut zu Brüchen und Überraschungen vertragen, ohne ihre meditative Grundhaltung aufgeben zu müssen.

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