Steve Tibbets
Close
TEXT: Stefan Pieper |
Wenn sich Gitarrensaiten in Schwebezustände verwandeln und perkussive Akzente eher Andeutungen als Ankerpunkte setzen, dann bewegen wir uns in jenem Zwischenreich, das Steve Tibbetts seit Jahrzehnten erkundet. Sein aktuelles Werk für ECM, erschienen Ende Oktober 2025, trägt den programmatischen Titel Close – und tatsächlich fordert diese Musik eine besondere Nähe, ein Sich-Einlassen auf klangliche Nuancen, die sich erst bei konzentriertem Hören erschließen. Über einen Zeitraum von drei Jahren hat der Gitarrist in seinem Studio in St. Paul, Minnesota, Material zusammengetragen, das nun in elf numerierten Kapiteln vorliegt. An seiner Seite: Marc Anderson, der mit Perkussion, Gongs, Handpan und Loops arbeitet, sowie Schlagzeuger JT Bates. Das Trio agiert weniger als klassische Band denn als Klangkollektiv, in dem akustische und elektronisch bearbeitete Elemente ineinander übergehen.
Architektur statt Erzählung
Die Stücke – mit Titeln wie „We Begin", „Away" oder „Remember" versehen – folgen keinem konventionellen Songaufbau. Stattdessen entstehen Klangräume durch Überlagerungen und Wiederholungen, durch das behutsame Hinzufügen und Wegnehmen einzelner Elemente. Tibbetts nutzt die Gitarre häufig als Klangquelle für Texturen; melodische Entwicklungen weichen atmosphärischen Schichtungen. Die Produktion folgt dabei jener ECM-Ästhetik, die Raum als gestalterisches Element begreift: Jedes Atemgeräusch, jedes Ausschwingen eines Gongs wird hörbar gemacht, ohne dass die Aufnahme dabei analytisch wirken würde.
Doch genau hier beginnt das Problem: Die permanente Konzentration auf Feinheiten führt über weite Strecken zu einer Statik, die sich nur schwer als künstlerische Absicht rechtfertigen lässt. Die Dramaturgie operiert so zurückhaltend, dass sie bisweilen ganz zu verschwinden scheint. Die einzelnen Teile unterscheiden sich kaum voneinander; selbst für ECM-Verhältnisse bewegt sich Close erstaunlich wenig vorwärts. Die konsequente Vermeidung von Kontrasten mag konzeptuell stringent sein – hörend erlebt man sie jedoch als verpasste Chance. Dabei gelingen durchaus beeindruckende Details: die Art, wie ein Gong-Nachhall sich mit einem Gitarren-Loop verwebt, die feinen rhythmischen Verschiebungen von Andersons Handpan-Spiel. Doch diese Momente bleiben vereinzelte Lichtblicke in einer gleichförmigen Klanglandschaft. Tibbetts selbst spricht von einer „Zwielichtsprache" – doch was hier zwischen den Zeilen gesagt werden soll, bleibt unklar.
Für sehr geduldige Ohren
Close ist zweifellos handwerklich versiert produziert, und wer sich auf langsames, introspektives Hören einlassen möchte, findet hier sorgfältig gestaltete Klanglandschaften. Doch auch die aufmerksamste Hörerin wird sich fragen müssen: Rechtfertigt die klangliche Raffinesse eine solche auf die Spitze getriebene Sparksamkeit in Sachen dramaturgischer Entwicklung? Die Antwort hängt davon ab, wie viel Stillstand man als kontemplative Tiefe interpretieren möchte. Tibbetts bleibt seiner Vision treu, keine Frage. Aber diese Vision hätte Raum für mehr Mut zu Brüchen vertragen, ohne ihre meditative Grundhaltung aufgeben zu müssen.
