Stefan Werni und Thorsten Töpp
Whale
TEXT: Stefan Pieper |
Auf der Suche sein im interstellaren Space - diese Empfindung durchdringt den Hörer bereits in den ersten Momenten von "Whale", jenem bemerkenswerten Album, das die künstlerische Symbiose zwischen dem Gitarristen Thorsten Töpp und dem Bassisten Stefan Werni dokumentiert. Die tragische Dimension dieser Aufnahme offenbart sich in der Tatsache, dass Werni kurz nach Vollendung des Mastering-Prozesses im Juni 2024 unerwartet verstarb. Dass diese vitale, intellektuell wache und zutiefst inspirierte Klanglandschaft zum künstlerischen Vermächtnis werden würde, konnte während der intensiven Momente dieses kongenialen Zusammenwirkens niemand erahnen. Die unbeschwerte Freiheit und befreiende Kraft dieser Musik spricht eine andere Sprache.
Die vereinzelten Klangsplitter insbesondere der Gitarre wecken Assoziationen an die explorativen Phasen der frühen Pink Floyd-Ära von „Ummagumma", derweil der Albumtitel und auch das expressive Coverdesign unendliche Tiefsee-Welten assoziieren lässt. Doch dies sind Details am Rande, wo sich in den fünf dramaturgisch stark aufeinander bezogen wirkenden Stücken ein völlig eigenständiger klanglicher Kosmos entfaltet. Die Musiker tragen mit präzisem Gespür für Nuancen und elektronische Erweiterungen immer neue Farbschichten auf ihre instrumentalen Leinwände auf. Und ja: Das Ganze hebt richtig ab und transportiert den Hörer in Traumlandschaften jenseits konventioneller Form- oder Genreschubladen – getragen von einem intuitiven Gespür für die Wirkung von Schwingungen und Texturen, für Materialität und Transzendenz.
Es bleibt nicht bei psychedelischer Vagheit
Die große Kunst zeigt sich, dass es auf diesem Album bei allem klanglichen Freigeist keineswegs bei psychedelischer Vagheit bleibt. Das organisch pulsierende Klangkontinuum löst zwar die gewohnten Grenzen zwischen den Instrumenten und ihren Erzeugern sukzessive auf, kristallisiert jedoch immer wieder Momente einer sprechenden musikalischen Artikulation heraus. Töpps E-Gitarre entfaltet ihr expressives Potenzial in spektakulärer Bandbreite: Von ätherisch schwebenden, gleichsam von unsichtbaren Kräften getragenen Klangflächen über kristalline Flageolett-Passagen bis hin zu markanten Geräuschattacken von wütender Intensität. Klangliche Verdichtungen kulminieren im gepflegten Wall of Sound, um im nächsten Moment in sich zusammenzufallen wie kollabierte Sternenmaterie. In ähnlicher Konsequenz transzendiert Stefan Wernis E-Bass seine traditionelle Rolle – seine ruhelosen, energetischen und treibenden Ostinati gehen nahtlos in hypnotische Drone-Landschaften über. Bemerkenswert ist die vollständig analoge und physische Natur dieser klanglichen Explorationen, die sämtliche Verzerrungen, Echoeffekte und unkonventionellen Spieltechniken einschließt.
Aus diesem Ur-Universum der Klänge kristallisiert sich stets das Konkrete, zutiefst Menschliche und emotional Resonante heraus. Eben weil hier ein perfekter intellektueller und emotionaler Konsens zwischen zwei beseelten Musikerpersönlichkeiten hinter der Sache steht. Im Verlauf der klanglichen Entfaltung gewinnt die Narration an Konkretion: Die zuvor schwebenden Klangmassen transformieren sich in pulsierende Energiefelder und mutieren schließlich zu Strukturen mit rockiger Prägnanz. Die tief verwurzelte Jazzer-Identität beider Künstler offenbart sich letztendlich in einem eloquenten Diskurs über subtil angedeutete Blues-Strukturen – die assoziative Reise findet ihren Höhepunkt in einem musikalischen Dialog von bemerkenswerter Virtuosität.
"Das Herzstück dieses Albums sind vor allem die ersten drei Duo-Stücke", erklärt Töpp im Gespräch über die Entstehung von "Whale". "Die Stücke 1 und 3 entstanden bei unserer letzten gemeinsamen Session, etwa zweieinhalb Wochen vor Stefans plötzlichem Tod." Was diese Aufnahmen besonders macht, ist ihre vollständig freie Improvisationsnatur. "Wir haben komplett ohne Absprachen gespielt", betont Töpp. "Im Duo haben wir uns nicht einmal angesehen während des Spielens, geschweige denn vorher irgendetwas festgelegt." Dass trotz dieser spontanen Entstehung viele Passagen wie durchkomponiert wirken, verdeutlicht das außergewöhnliche, fast telepathische Verständnis zwischen den Musikern. Diese intuitive Verbindung und ihre beseelte Herangehensweise an den improvisatorischen Prozess verleihen dem Album seine einzigartige Qualität.
Ludger Schmidt und Vincent Royer erweitern die Besetzung
Im vierten Stück „RockWhale“ mit seinem grunge-artigen Tonfall gibt Ludger Schmidt mit elektrisch aufgemotztem Cello der Sache noch zusätzlichen Druck. Einen bemerkenswerten Kontrapunkt zur ekstatischen Klangmagie der ersten vier Kompositionen bildet das abschließende Stück“FarWhale“ von nicht einmal zwei Minuten Dauer unter Beteiligung des Violaspielers Vincent Royer. Hier präsentiert sich die Musik in zarter, melancholischer und kammermusikalischer Transparenz, vollständig akustisch realisiert. Überraschend: Dieses akustisch-kammermusikalische Kleinod entstand bereits im Jahr 2010 und dokumentiert zugleich die allererste gemeinsame musikalische Begegnung zwischen Thorsten Töpp und Stefan Werni. So schließt sich der Kreis von Whale in symbolträchtiger Weise – ein elegischer Epilog, der das musikalische Vermächtnis dieser bemerkenswerten Partnerschaft auf bewegende Weise abrundet und gleichzeitig auf den Ursprung einer künstlerischen Verbindung verweist, die es kein zweites Mal geben wird.