Starke Musik-Tanz-Performance zu Fukushima
Gunter Hampel Music + Dance Improvisation Company
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Sich mit der Atomkatastrophe Fukushima künstlerisch auseinanderzusetzen, ist eine besondere Herausforderung. Fünf Jahre nach der Atommeiler-Havarie ist jetzt eine solche Auseinandersetzung auf einer Blue-Ray-Disc nachzuvollziehen: Der nach wie vor umtriebige Gunter Hampel hat anlässlich einer Veranstaltung am 11.03.2016 in der Berliner Werkstatt der Kulturen eine Musik-Tanz-Performance zu Fukushima umgesetzt. In NRW konnte man häufiger ähnliche Performances mit ihm und dem brasilianischen Choreographen und Tänzer Danilo Cardoso erleben (s. nrwjazz-Review), man darf deshalb auf die Gunter Hampel Music + Dance Improvisation Company in Berlin gespannt sein. Zur generationsübergreifenden Company gehören: Gunter Hampel (Orgel, Vibraphon, Bass-Klarinette), Bernd Oezsevim (Drums, Percussion) und Cavana Lee Hampel (Stimme), Ruomi Lee Hampel (Groovemaster) und als TänzerInnen neben Danilo Cardoso Ching-Mei Huang, Magdalena Dzeco und Aaron Samuel Davis.
Die Performance beginnt damit, dass die auf dem Boden liegenden Tänzer zu dissonanten Orgel-Flächen und stammelnden Vokallauten sich zu bewegen anfangen, sie steigern sich in ein Taumeln und Herumirren, ein Weglaufen in alle Richtungen, in ein hilfloses Hilfe-Suchen. Gemeinsam mit dem Dauerton-Cluster der Orgel, den aufgeregten Exklamationen von Cavana Lee Hampel, dem flackernden Weiß-Blau-Rotlicht entsteht eine Atmosphäre von Chaos, die mit dem Thema und dem Anlass der Performance stark korrespondiert. Unablässig erfinden die Tänzerinnen und Tänzer neue Bewegungsabläufe, die aus statischen Momenten ein getanztes Perpetuum mobile mit Figuren des klassischen Tanzes, vor allem des modern dance, der Akrobatik und des brasilianischen Kampftanzes Capoeira entwickeln. Den durch die Atomkatastrophe ausgelösten Schmerz wegen der Wunden gegenüber der Schöpfung und den dadurch ausgelösten Turbulenzen im Sozialen macht die Performance bis zur Grenze des Erträglichen sinnlich nachvollziehbar. Nach ca. 17 Minuten beginnt eine neue Sequenz mit neuer stilistischer Ausrichtung: Gunter Hampel wechselt zum Vibraphon, es schließt sich ein rhythmisches Ensemble mit „Jazz“-Feeling an, die Tänzer nehmen dies mit Flamenco-artigen Bewegungen auf. Unterstützt von Ska-Gesang, „swingenden“ Drums und entsprechendem Vibraphon (er-)finden die Tanz-Performer vielfältige Interaktionen, die mit hoher Energie und Präzision, mit einer Vielzahl von interkulturellen körpersprachlichen Fragmenten Spannungen auf- und abbauen. Ein Drum-Solo begleitet einen rasanten Pas de deux – oder vielleicht auch umgekehrt: Bei der Gunter Hampel Music + Dance Improvisation Company animieren und stimulieren sich Musiker und Tänzer gegenseitig zur Improvisation – anderes als bei vielen Projekten, bei denen sich die Tanzperformance nach der Musik richtet und in ihrem Ablauf durch sie strukturiert wird. Es folgt eine karibisch anmutende Sequenz mit hoher Dynamik in der Musik und auf dem Tanzboden. Man spürt förmlich, wie die Katastrophe durch Energie und Lebensfreude überwunden werden soll. Das Vibraphon gibt ein synkopiertes Thema vor, das mit Jazzgesang und Elementen des jazz dance aufgenommen und weiter entwickelt wird. Diese Sequenz endet mit einem rätselhaften Fading Out des Vibraphons. Die Schlusssequenz findet noch einmal in einem Duett von Gunter Hampels Bass-Klarinette und dem Gesang seiner Tochter dazu zum Teil im Unisono zu einem stark rhythmisierten Song zurück, auf dem Tanzboden entwickeln Danilo Cardoso und seine Mitstreiter elegant-flüssige Bewegungen dazu – bis zum Schlussbild, bei dem die Tänzer wie in der Eingangssequenz wieder auf dem Boden liegen.
Der Film von Kristian Kowatsch ist nicht gerade filmdramaturgisch und –technisch aufbereitet: Von einem einzigen – und dann noch seitlichen - Standort aus, mit viel Gummilinseneinsatz, mit unruhiger Kamera wird die Performance ziemlich un-ambitioniert dokumentiert. Das ist angesichts der starken Gesamtperformance von Musik und Tanz bedauerlich. Zu empfehlen ist die Blue-Ray-Disc aus Gunter Hampels Schatztruhe von über 200 Veröffentlichungen von seinem Label birth records trotzdem, verschafft sie doch einen guten Eindruck von der Kollektivimprovisation - und sie hilft, die Wartezeit bis zum nächsten Live-Auftritt der Gunter Hampel Music + Dance Improvisation Company zu überbrücken (im Juli in Leverkusen).
Zu beziehen ist die DVD-160311 fukushima – live at the fukushima festival berlin-2016 per Mailorder an birth records, gunterhampel@aol.com.
Ein Nachsatz zur Rezension:
Hinweisen möchte ich auf die Tatsache, dass die Aufzeichnung der „Fukushima“-Performance ohne jegliche Finanzierung zustande kam. Pianist Kristian Kowatsch hat sich spontan zur Filmaufnahme mit einer Kamera bereit erklärt. Ihm und Gunter Hampel ist zu verdanken, dass die Musik-Tanz-Performance der Company so trotz der leider im Jazzbereich üblichen Unter- oder gar Null-Finanzierung gerade von Projekten außerhalb des kommerziellen Mainstreams einem größeren Publikum zur Verfügung steht. Dafür ist ihnen zu danken - am besten durch den Kauf der Disc oder durch Buchung der Company.
H BB