Sophie Tassignon
Khyal
TEXT: Stefan Pieper |
Sophie Tassignon, eine talentierte belgische Sängerin, Pianistin und Komponistin überwindet mit ihrem neuen Album "Khyal" Grenzen – und sie tut das mit der ihr eigenen Empathie. Die in Berlin lebende Musikern hat arabische Gedichte vertont und auch ihre eigenen Texte ins Arabische übertragen lassen. Vor allem: Um sich für die arabische Kultur verstehend zu öffnen, hat sie erst mal die Sprache erlernt.
Der Titel des Albums, "Khyal", stammt aus dem Arabischen und bedeutet "Erinnerung an und Sehnsucht nach etwas längst Vergangenem". Sophie Tassignons Vorgeschichte für dieses Album währt schon lange und ist berührend: Im Jahr 2015 bekam sie das Foto eines ertrunkenen syrischen Jungen zu Gesicht und war tief erschüttert. Wie könnte man Menschen, die fliehen mussten, ein neues Leben in unserer Gesellschaft aufbauen? Als nur zwei Straßen von Sophies Zuhause in Berlin entfernt ein Auffanglager eröffnet wurde, beschloss sie zu helfen und kümmerte sich um einige Flüchtlinge. Als Zeichen ihres persönlichen Interesses an deren Kultur entschied sich Sophie Tassignon für das Erlernen der Sprache. „Es war eine sehr große Herausforderung, denn die arabische Sprache ist sehr spezifisch, was die Aussprache betrifft. Aber einfach auch, dass diese Sprache so weit weg ist von unserer, machte es eine langwierige Arbeit. Ich habe allein die Aussprache der acht Gedichte, die ich auf dieser CD vertont habe, zwei Jahre lang mit meinem Lehrer geübt“ beschreibt sie heute den Prozess.
Im Zentrum des Albums stehen Vertonungen der Worte von Mohammad Mallak, einem syrischen Drehbuchautor und Dramatiker, der in Deutschland und Frankreich lebt und Chefredakteur einer Kulturzeitschrift ist. Komplettiert wird das Werk durch Sophie Tassignons eigene Songs, deren Texte sie sich von der Ousha Bint Khalifa, einer emiratischen Dichterin, ins arabische übertragen ließ und die Sophie Tassignons eigene Empfindungen in dieser Zeit widerspiegeln. "Zum Beispiel habe ich das Stück 'Time is your only Healer' für Flüchtlinge geschrieben, die alles verloren haben und mit dem Traum leben müssen." Es ging dabei nicht nur um das Eintauchen in diese Kultur und Sprache, sondern auch darum, den neuen arabischen Freunden etwas von der eigenen Kultur, also dem Jazz nahe zu bringen. Das Resultat heute: In "KHYAL" vermischen sich poetische arabische Texte mit zeitgenössischen Jazzströmungen, wie sie aus dem Leben dieser belgischen, heute in Berlin lebenden Musikerin kommen.
Aufrichtigkeit und Dramatik
Die Kenntnis dieser ganzen Hintergründe bereichert ohne Zweifel das Hörerlebnis dieses neuen Albums. Sämtliche Stücke auf dem Album sind von großer Erhabenheit, transportieren aber auch viel aufrichtige Lyrik und manchmal auch eine Prise exotischer Dramatik - was vor allem für viele, der arabischen Sprache unkundigen Hörerinnen und Hörer so wirkt. Im Zentrum steht Sophie Tassignons emotionaler Gesangsstil mit seinem dunklen, herben Timbre. Dabei ist "Khyal" in erster Linie das Album eine Band, zu der auch Peter Van Huffel (Saxofon), Peter Meyer (Gitarre), Roland Fidezius (Bass) und Schlagzeuger Mathias Ruppnig auf gleichberechtigter Augenhöhe beisteuern. Als special Guest macht auch Lina Allemanu an der Trompete eine ausgesprochen gute Figur. Die Kompositionen sind vielschichtig mit einer Vorliebe für weitgespannte, verschlungene Melodienbögen, was die epische Dimension dieses Unterfangens noch verstärkt. Die Bandbreite reicht von dramatischen Momenten bis hin zu lyrischen, sanften Klängen. Besonders beeindruckend ist immer wieder die unmittelbare „Nähe“ zwischen Sophie Tassignons Gesang und Peter Van Huffels Tonskalen auf dem Saxofon.
Sophie Tassignon erweist sich mit diesem neuen Werk und einer gut aufeinander eingeschworenen Band als verlässliche Instanz im europäischen Jazz. Im Zentrum steht eine couragierte gesellschaftliche Botschaft.