Simin Tander
“Where water travels home”
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Simin Tander
So anders, so eigenwillig ist diese Stimme - und so sehr von subtiler Mystik und bewegender Empfindung gesättigt sind die neuen Songs auf der zweiten CD der deutsch-afghanischen Sängerin Simin Tander. Sie wuchs in Köln auf, hat auch dort ihre musikalische Sozialisation erfahren und dann in den Niederlanden weiter an ihrer erstaunlichen Karriere gearbeitet und dort auch ihre Band, das Simin Tander 4tet, gefunden.
„Where water travels home“ ist eine der interessantesten Vokalplatten dieser Tage. Fast traut man sich nicht, dieses Stück Musik zu oft abzuspielen in der geheimen Furcht, der exotische Zauber könnte verfliegen. Aber das passiert zum Glück nicht angesichts von so viel vorhandener Substanz. So viel zu den unmittelbaren Wirkungen, die sich beim empfindsamen Hörer einstellen. Dahinter steht eine selbstbewusste Künstlerin, die in punkto Stimmbeherrschung und Jazzgesang alles denkbare verinnerlicht hat - aber sich von all dem auch wieder kreativ zu emanzipieren weiß und vor allem auf die eigene Stimme in ihrem Inneren hört. Und erst so etwas markiert ja einen wahren Aufbruch! Neue, weite Horizonte sind das erklärte Ziel von ihr und ihrer Band. Diesbezüglich gibt der Globus ja auch unerschöpfliches, entdeckenswertes her! Simin Tander s Reise führte in das eigene Innere und zu den Wurzeln der reichen Kultur des Landes ihrer Vorfahren. Für die Interpretation überlieferter afghanischer Lieder und Songs aus der Feder ihres Vaters hat sie eigens die Sprache Pashtu erlernt, die übrigens ihr Vater auch beherrscht.
So etwas beschert dieser aktuellen Platte diese empfindsamen Metaphern und eine atmosphärische Intensität, wie sie die orientalische Lyrik in einzigartiger Weise hervorbringt. Es loht sich also unbedingt, das Booklet beim aufmerksamen Hören mitzulesen. „Ich verwandelte mich in einen Tautropfen und schlief unter einer Morgenblume“ ist nur eines von vielen Satzsplittern, die einen nicht mehr loslassen in den Song-Poemen, die letztlich doch wie überall auf der Welt vor allem die „Verrücktheiten der Liebe“ thematisieren – mit allen Glückshormonen, aber auch Melancholie und Verzweiflung.
Und Simin Tander schafft es in jedem Moment – eine solche Skala hautnah abzubilden. Da berührt leiser Klagegesang, offenbart sich so viel zerbrechliche Zärtlichkeit und lässt ein verlangender Atem den Gestus gerne auch kraftvoll, in einigen Momenten gar rockig werden. So manche arabeskenhafte Linie aus nonverbalen Melismen macht dort weiter, wo die Worte enden.
All dies wirkt so aufrichtig, dass sich ganz selbstverständlich die eigenen Stücke dieser Sängerin sowie Jacques Brels Chanson über die alten Liebenden in diesen intensiven Kosmos nahtlos einfügen.
Die aus niederländischen Musikern bestehende Band umspielt, verdichtet und überhöht all dies, wofür vor allem Jeroen van Vliets Pianospiel sorgt, aber auch die subtilen Percussionakzente inklusive südindischem Tablaspiel. Die Ballade „De Kor Aman“ setzt dann aufs große imaginäre Kino: Da spannt eine Klarinette mit orientalischen Glissando-Effekten einen sehnsuchtsvollen Melodienbogen über den weiten Horizont. Fremdländische Stimmen und Autohupen verdichten zusätzlich das Gefühl, endgültig an einem neuen Reiseziel angekommen zu sein.
Aber die Reise geht weiter – so will es der letzte Song, der auf diesem Album aus Simins eigener Feder kommt: „Mit offenen Armen schwimme ich über die See….. es ist Zeit, weiter zu ziehen.“ Sehnsucht und Fernweh vereinen sich.