Sebastian Rochford, Kit Downes
A Short Story
TEXT: Peter E. Rytz |
A Short Diary ist mehr als nur eine CD. Sebastian Rochford erzählt auf der bei ECM veröffentlichten Platte von seiner Trauer über den Tod des Vaters. Er schreibt Gedichte, Erinnerungsfragmente, reflektiert in Notizen darüber, wie tief ihn dieser Tod getroffen hat.
Dieses „kurze Tagebuch (des Verlusts)“, wie Schlagzeuger Sebastian Rochford es nennt, wird als „klangliche Erinnerung, geschaffen mit Liebe, aus Bedürfnis nach Trost“ angeboten. Das Album ist Rochfords Vater, dem Dichter Gerard Rochford (1932-2019) aus Aberdeen, und seiner Familie gewidmet. Seb, eines von zehn Geschwistern, schrieb den größten Teil der Musik für dieses Album kurz nach Gerards Tod und liefert sie hier zusammen mit dem Pianisten Kit Downes in Performances von tiefem Gefühl und hymnischer Klarheit ab.
Gerard Rochford, Vater, Dichter, Hippie, ein Freigeist, der Sebastian Rochford - wie auch sein Großvater - musikalisch und künstlerisch geprägt hat. Ein Gedicht des Vaters – My Father’s Hand -, im CD-Inlet abgedruckt, beginnt mit dem Vers:
I like to wear a band around my wrist,
an amulet of copper, links of bling,
a hippy weave of cotton or dried grass.
Diese poetische Stimmung schwingt in den Kompositionen immer mit. Sebastian Rochfords Texte, sein Tagebuch übersetzt Kit Downes in eine außerordentlich suggestive, meditative Musik. A Short Diary, aufgenommen im schottischen Haus seiner Väter, atmet und spiegelt als Hommage alles das wider, was ihn als Musiker ausmacht. Der Opener This Tune Your Ears Never Hear driftet ahnungsvoll durch das Haus der Erinnerungen als sonic memories.
Mit jedem weiteren Titel bekennt sich die Musik zu einem unbedingt ehrlichen Sentiment. Rochfords sanft vibrierendes Schlagzeugspiel umhegt Downes Klavier traumverloren. Aufscheinende Motive, assoziierende Erinnerungsfacetten deklinieren im Dialog Möglichkeitsformen des Erinnerns. Erinnern benötigt hier keine vordergründige Aufladung. Keine großen (Musik)Worte, eher staunend im Anblick des Nachthimmels außerhalb der Komfortzone an einer leisen Spurensuche teilzunehmen (Night of Quiet).
Klang-Tagebuch
Love You Grampa, gespielt und aufgenommen mit dem Klavier des Großvaters, geriert sich zu einer Ode tief empfundener Gefühle. Klarsichtig, wehmütig und zugleich demütig, hell durchscheinend, alles andere als Gefühlsduselei. Diese emotionale Unmittelbarkeit findet ihren Höhepunkt in Even Now I Think Of Her, einem Song, den Gerard Rochford seinem Sohn ins Telefon gesungen hat.
Neben dem Abgesang auf ein zu Ende gegangenes Leben vergewissern sich Rochford und Downes gegenseitig, dass ihre Zeit andauert (Our Time Is Still). Gleichzeitig befragen sie sich, wie lange sie noch Zeit haben werden, sich zu erinnern. Dialogische Reflexionen zwischen dem Klavier mit ergreifenden, tonfarbig verschiedenen Akkordfolgen und einem nur das Notwendigste betonenden, gleichsam behütenden Schlagzeug sind wie das Bild einer sich nur für einen kleinen Moment öffnenden Tür. Licht fällt ein, zeichnet schattenhaft (Silver Light), skizziert melodische Themen. It is also imbued with striking melodic themes and poignant chord progresssion, wie es Rochford selbst beschreibt.
Das letzte wehmütige Stück „Even Now I Think Of Her“ wurde von Gerard Rochford komponiert. Sebastian erklärt: „Das ist eine Melodie, die mein Vater in sein Handy gesungen und mir geschickt hat. Ich habe sie an Kits Handy weitergeleitet. Er hat zugehört, und dann haben wir angefangen.“
Von Manfred Eicher sorgfältig abgemischt, erscheint die Musik Rochford beim Abhören, als höre er sie zum ersten Mal. Wer der CD ebenso sorgfältig lauscht, fühlt sich mitgenommen in Rochfords Haus der Erinnerungen. Ein transparenter Sound, der wie von allein klingt. Die Schärfe von A Short Diary wird viele Zuhörer berühren.
Sebastian Rochford & Kit Downes: A Short Diary
ECM 2022