SCHNELLDURCHLAUF VOL 39
Christoph Giese stellt neue Platten vor
TEXT: Christoph Giese |
Jamie Branch: Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((World War)) (International Anthem)
Sie wurde nur 39 Jahre alt. Gestorben ist Jamie Branch vor ziemlich genau einem Jahr. Woran, wurde bis heute nicht öffentlich erklärt. Aber die US-Trompeterin, Komponistin und auch Sängerin war viele Jahre drogenabhängig. In ihrer viel zu kurzen Karriere aber hat sie Eindruck hinterlassen. Ihr kurz vor ihrem Tod fertig gestelltes letztes Album erscheint nun. Und zeigt noch einmal eine visionäre Musikerin mit kraftvollen Statements in einer furchtlosen und auch kompromisslosen Musik, die Schmerz, Empörung und Wildheit widerspiegelt. Aber auch lässig und cool klingen kann und mit Klängen überrascht, die mit Jazz gar nicht so viel zu tn haben.
KoppelColley Blade: Perspective (Cowbell Music)
Vor zehn Jahren schon haben der dänische Saxofonist Benjamin Koppel und die beiden US-Amerikaner Scott Colley (Bass) und Brian Blade (Schlagzeug) ihr All Star-Trio gegründet. Jetzt haben sie mit Perspective ein neues Album eingespielt. Und das kann sich hören lassen! Balladeske Töne wechseln sich ab mit rockigen, energievollem Interplay. Das lyrische Saxofonspiel des Dänen und die so vielschichtigen Rhythmen und Farbschattierungen seiner beiden Kollegen verbinden sich zu spannenden Songs, allesamt aus eigener Feder. Hier musiziert ein Jazztrio voller Reibungspunkte und kreativer, gemeinsamer Improvisationslust.
Alex Riel: In New York (Stunt Records)
Ebenfalls aus Dänemark kommt Schlagzeug-Ikone Alex Riel. Der inzwischen schon 82-Jährige hat in seiner Karriere mit zahllosen Jazzstars zusammengespielt. Das nun veröffentlichte Doppelalbum In New York blickt zurück auf Aufnahmen Riels in New York in den späten 1990ern. Zwei zuvor schon veröffentlichte Sessions, Unriel! und Relatin´, finden hier erneut den Weg zum Zuhörer. Eingespielt mit einer Traumband mit lauter Cracks, wie den Saxofonisten Michael Brecker und Jerry Bergonzi, Gitarrist Mike Stern, den Pianisten Niels Lan Doky und Kenny Werner sowie den Bassisten Eddie Gomez und Chris Minh Doky zeigt Alex Riel seine ganze Klasse am Drumkit und alle Beteiligten mit wie viel Facettenrecihtum sie packenden Jazz spielen können.
Cautious Clay: Karpeh (Blue Note)
Eigentlich heißt er Joshua Karpeh, sein Künstlername aber ist Cautious Clay. Und sein Album Karpeh eine dreiteilige Auseinandersetzung mit seiner Familiengeschichte. Der in New York lebende Sänger, Songwriter, Produzent und Multiinstrumentalist aus Ohio, Cleveland erkundet musikalisch und mit seinen Texten die Vergangenheit und Gegenwart und blickt auch schon mal nach vorne. Das Ganze machen er und eine Riege von illustren Gastmusikern mit poetischen Songs, die von Clay´s gefühlvollem Gesang geprägt sind. Aus R&B, Hip Hop, Indie-Klängen und Jazz bastelt sich der Amerikaner hier einen ganz persönlichen Soundtrack seines Lebens.
Susanna: Baudelaire & Orchestra (SusannaSonata)
Ihre Liebe zu der Lyrik des französischen Dichters Charles Baudelaire hat die norwegische Sängerin und Musikerin Susanna Wallumrød alias Susanna schon in mehreren Aufnahmen ausgelebt. Jetzt hat sie das bereits bearbeitete Matrial erstmals zusammen mit dem Norwegischen Radio Orchester unter der Leitung von Christian Eggen neu eingespielt. Die Musik stammt überwiegend von ihr; drei Nummern sind von der Avantgarde-Künstlerin Stina Stjern, die hier auch mit Stimme und schrägen Tape-Beiträgen beteiligt ist. Diese experimentellen Momente gepaart mit wunderschönen Melodien, dem engelsgleichen Gesang von Susanna und der Poesie Baudelaires sind durchweg sehr reizvoll anzuhören. Mal sehen, ob die Norwegerin nach dieser Platte weiterhin auf die Texte des Franzosen setzt.
Arthur Possing: ID:entity (Double Moon)
Einfach gehaltene Songs, immer mit der Melodie im Vordergrund, das war die Idee zu den Aufnahmen des Soloalbums des Pianisten Arthur Possing. Dreizehn Stücke hat der Luxemburger für ID:entity eingespielt, neun davon (drei davon sind kurze Interludes) sind Eigenkompositionen. Und in denen zeigt sich Possing als variabler Tastendrücker, der romantisch schwelgen, aber auch kräftig zupacken kann. Stings „Field Of Gold“ spielt er samtig, weich und „Beatriz“, einen Klassiker der brasilianischen Popmusik, mit so viel Herz und Seele, dass man sich Possings Version besser nicht bei Liebeskummer anhören sollte.
Balimaya Project: When The Dust Settles (New Soil)
Das großorchestrale Balimaya Project ist das Baby des Komponisten und Djembe-Spielers Yahael Camara Onono aus London. Und die Band hat sich inzwischen zu einem der aufregendsten und zukunftsorientiertesten Ensembles in Großbritannien gemausert. Auch, weil hier in Großbritannien beheimatete schwarze Musiker ihr westafrikanisches Musikerbe einbringen können als Teil einer schwarzen britischen Kultur. Traditionelle afrikanische Rhythmen und Melodien treffen auf europäisch gefärbten Jazz und Pop. Eine Verbindung, die hier in zehn wunderschöne Songs mit einem frischen, innovativen Sound mündet.
Joanna Wallfisch: All In Time (Galileo MC)
Zwischen Folk und Jazz hat sie ihre ganz eigene Nische gefunden, die Singer/Songwriterin Joanna Wallfisch aus London. Interessant klingen die neun selbstkomponierten Songs der Enkelin einer der letzten bekannten Holocaust-Überlebenden, der Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, auf ihrem sechsten Album. Die Bandleaderin (Gesang, Gitarre und Charango) und dazu ein Quintett mit Harfe, Geige, Klavier, Orgel & Mellotron, Bass und Schlagzeug schaffen sanfte, atmosphärische Stimmungen, die der ideale Unterbau sind für die poetischen, nachdenklichen Texte. All in Time ist ein Album zum puren Genießen.