Bild für Beitrag: Rhiannon Giddens & Francesco Turrisi  | Calling me home
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Rhiannon Giddens & Francesco Turrisi

Calling me home

Bochum, 11.04.2021
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: NoneSuch Records

Am 9. April erschien Rhiannon Giddens' neues Album They're Calling Me Home. Was zunächst als normale Folk-Musik erscheinen könnte entpuppt sich bei genauerem Hinhören als eine erstaunliche Integration verschiedener Folk-Stile.

Gleich der erste Song Calling Me Home hat mich beeindruckt. Rhiannon singt sehr eindringlich, archaisch klingt es, hier schwingt vieles mit. Nina Simone kam mir in den Sinn, der frühe Bob Dylan und Ritchie Havens' Freedom, wo es heißt ‚It’s a long way from my home‘. Daher spielen auch Spirituals eine Rolle, im Hintergrund läuft aber immer der Sound der irischen Musik mit. Es mag abwegig erscheinen, aber mich hat der Song auch an den Flamenco erinnert, insbesondere an Rosalía mit De Plata. Das ist aber gar nicht so abwegig, denn all diese musikalischen Formen haben doch denselben Ausgangspunkt: das Leben, Leiden und Hoffen des Menschen.

Rhiannon Giddens kommt aus North Carolina, Francesco Turrisi aus Italien. Beide leben in Irland und haben in der Lockdown-Zeit diese Songs in sechs Tagen in Hellfire in der Nähe von Dublin aufgenommen.

Für Rhiannon ist Multilateralismus eine Grunderfahrung: ihr weißer Vater spielte in einer Rockband, ihre schwarze Mutter liebte klassische Musik. Sie studierte in Ohio klassischen Gesang und trat in Opern auf. Obwohl sie das Studium abschloss, entschied sie sich gegen die klassische Musik. Später schloss sie sich einer keltischen Band an, sie beherrscht auch den Mouth Music genannten gälischen Sprechgesang.

Ihr Solodebüt Tomorrow Is My Turn enthält Songs, die von Frauen geschrieben oder gesungen worden waren, damit stand sie 2015 auf Platz 1 der US-Folkcharts. Auch in Deutschland war sie 2015 bei einem Festival in Rudolstadt zu hören.

Ihre Stimme erinnert mich oft an Joan Baez, Hymnen wie I Shall Not Be Moved (hier in der 1. Person Singular) und Amazing Grace hat auch Joan gesungen, aber viel emphatischer.

Francesco Turrisi studierte Jazzpiano und Alte Musik in Den Haag. Später zog er nach Dublin, um als Musiker und Musikpädagoge zu arbeiten. Er ist Mitbegründer des Ensembles Tarab, das Musik des Mittelmeerraums mit Jazzimprovisation und traditioneller irischer Musik verbindet. 2007 produzierte er das Piano-Trio-Album Si Dolce e’ il Tormento, mit von der italienischen Musik des 17. Jahrhunderts beeinflussen Eigenkompositionen. Aber auch im Jazz war er tätig, z. B. mit Dave Liebman und Gianluigi Trovesi.

In Calling Me Home, dem Song von Alice Gerrard, heißt es:

“My time has come to sail away
I know you'd love for me to stay
But I miss my friends of yesterday
Oh, they're calling me home”

Das kann Heimweh sein, oder auch Todessehnsucht wie die erste Strophe es nahelegt. Die Grunderfahrung des Lockdowns von Isolation, Bedrohung, Heimweh/Sehnsucht spiegelt sich auch in Titeln wie O Death. Black as Crow, Si Dolce è 'l Tormento, letzteres eine Interpretation des klassischen Stücks von Monteverdi, das Turrisi nicht ganz fremd sein dürfte.

Avalon hat Rhiannon selbst verfasst. Nenna Nenna ist ein Wiegenlied, wohl im kalabrischen Italienisch, das Turrisi seiner Tochter immer vorsang.

Das Besondere dieser CD sind aber die Instrumente. Rhiannon beherrscht mehrere. Minnesänger-Banjo, Akkordeon und Rahmentrommeln sind charakteristisch für den Klang ihrer Songs geworden, bei diesem Album fällt die Viola- und Cello-Banjo-Kombination besonders auf. Bei einigen Songs werden die beiden von dem kongolesischen Gitarristen Niwel Tsumbu und von dem irisches Traditionsmusiker Emer Mayock auf Flöte, Pfeife und Pfeifen begleitet.

In diesem Zusammenhang ist die Instrument Corner interessant, ein mit ZOOM aufgenommenes Video, in dem Rhiannon und Francesco ihre Instrumente vorstellen. Es lohnt sich mal reinzusehen!

Rhiannon Giddens & Francesco Turrisi - They're Calling Me Home

CD Label: Nonesuch, 2021
Bestellnummer: 10429567
Erscheinungstermin: 9.4.2021

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