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Rainer Wieczorek, Im Gegenlicht: Heinz Sauer

„Es wirkt, als pflüge er ein Feld.“

Darmstadt, 06.03.2021
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Rainer Lind

„Es wirkt, als pflüge er ein Feld.“

Dieser Satz aus dem literarischen Porträt Heinz Sauers (S.118) ist geradezu programmatisch. Er steht in erster Linie für die musikalische Entwicklung Sauers, man kann ihn aber auch auf den Autor selbst und sein Buch beziehen. Beim ‚Umpflügen‘ kommen allerhand Dinge aus der Vergangenheit an den Tag, die die Gegenwart maßgeblich geprägt haben und nun eine andere Sicht auf das Heute bieten. Kursiv gedruckte Passagen sind Originalzitate Heinz Sauers, der beim „Pflügen“ beteiligt war.

Die Metapher des ‚Pflügens‘ steht aber auch für den Stil Rainer Wieczoreks und dessen manchmal geradezu existenzialistisch anmutenden Formulierungen. Mich jedenfalls hat der mit dem Saxofon pflügende Saxofonist gleich an Sisyphos erinnert.

Denn das ist schon ein erstaunliches Buch. Ich hab die 130 Seiten geradezu verschlungen, um sie dann noch einmal in Ruhe zu lesen. Man ist sofort mittendrin in einer Situation: es ist der 2. Dezember 2018, nach einem Konzert von Sauer und Wollny in der Darmstädter Stadtkirche warten alle auf die Zugabe, doch sie kommt nicht. Der Erzähler trifft hier die von ihm erfundene Figur Danski und fragt diesen, ob er ihm bei einem Buch über Heinz Sauer assistieren würde.

Die Novelle besteht zum großen Teil aus einem Gespräch zwischen dem Erzähler mit der fiktiven Figur Danski. Das Buch ist keine Biografie, auch keine Sammlung von Episoden wie bei Dyers But Beautiful, man könnte es eine Collage nennen. Es wechseln Personen, Schauplätze und Zeitebenen, doch am Ende entsteht ein Gesamtbild. Dabei geht es nicht nur um die Person Heinz Sauer, sondern auch um zeitgeschichtliche Zusammenhänge, um Abläufe in der Jazz-Szene und im Jazz-Business. Deshalb kommen auch andere reale Personen vor: Albert Mangelsdorff, Michael Wollny, J. E. Behrendt, die Musik-Manager Siggi Loch und Fritz Rau und Wolfram Knauer, der Heinz Sauer 1997 das Jazzinstitut in Darmstadt 'mit einem Jazzton‘ eröffnen ließ.

  • Der Autor

Rainer Wieczorek (* 1956, Foto oben rechts) ist ein typischer Post-68er und im Raum Darmstadt als Kultur-Größe bekannt. Dort hat er mehrere Jahre am Programm des Literaturhauses mitgewirkt. Landesweit gilt er inzwischen als Spezialist für ‚Künstlernovellen‘, denn alle seine Romane haben in irgendeiner Form mit Literatur und Musik zu tun (u. a. die Trilogie Zweite Stimme, Tuba-Novelle und Der Intendant kommt; 2018).
In seiner Novelle Pirmasens (2020) agieren drei imaginäre Figuren, darunter Danski, mit dem sich der Erzähler gewaltig verkracht, weil Danski mit dem Ende der Novelle seine Existenzberechtigung verlieren würde.

Der Autor lässt Danski in seinem neuen Buch wieder auferstehen, weil dieser ihm nützliche Dienste leisten kann. Zum einen hat Danski profunde Kenntnisse über Jazzgeschichte, zum anderen agiert er als Korrektiv für den Erzähler, dessen Redefluss so unterbrochen und dessen Aussagen in Zweifel gezogen werden können.

Rainer Wieczorek bevorzugt einen knappen Stil, als Erzähler schreibt er meist sachlich nüchtern. Wenn er sich in den Dialogen mit Danski fetzt („Du fängst wieder an, so schräg zu lächeln“) werden auch Emotionen beschrieben, die provozieren, Zweifel säen, aber auch die Darstellung beleben.

Schon 2012 im Roman Freie Hand begegnen wir Heinz Sauer, zunächst wenn er zusammen mit Bob Degen Don't Explain von Billie Holiday spielt. Später geht es wieder um ein Konzert mit Michael Wollny. Auch das Gespräch mit Sauer über seinen Vater ist schon in Freie Hand dokumentiert. Das Konzert vom September 2012 war ein wichtiger Einschnitt, denn:
„Nach dem Konzert in der Stadtkirche sagte Siggi Loch zu mir, das wars für ihn. ... Er hat seitdem für mich nichts mehr gemacht.“ (S.28, Zitat Sauer)
Siggi Loch ist der Gründer des ACT-Labels und kommt in dem Buch gar nicht gut weg. Er hatte bisher alle Alben von Sauer herausgebracht. Hier wird nun deutlich, was es heißt von einem Förderer aufgegeben zu werden, wenn ökonomische Motive die künstlerischen überlagern.

  • Biografie, Zeitgeschichte, Jazz-Geschichte

Das Buch besteht aus drei Teilen und einer CODA; die Kapitel sind meist recht kurz, auch deshalb ist das Buch gut zu lesen. Im Verlauf des Romans verschränken sich persönliche Geschichte und Zeitgeschichte. Es geht um den strengen Nazi-Vater, der Direktor bei den IG Farben ist und der seinen Sohn Heinz auf die NAPOLA schickt, es geht um den Umbruch der Nachkriegszeit, um Jazz und um Jazz-Business.

Die Entwicklung des Jazz nach ‘45 in Deutschland hat dabei eine besondere Bedeutung. Der Leser erfährt viele Details über Sauers musikalische Anfänge. Der Frankfurter Jazzkeller ist hier besonders wichtig, ebenso Albert Mangelsdorff als Vorbild und späterer Bandleader. Doch es geht nicht nur um die Jazzszene, immer spielt der zeitgeschichtliche Hintergrund eine wichtige Rolle:

„Dieses Deutschland, diese neuartige BRD, die vom Albert Mangelsdorff Quintett geradezu mustergültig repräsentiert wird, gibt es noch gar nicht. Im Westdeutschland dieser Zeit herrschen kulturell Gründgens und Karajan, Größen aus glorreicher Zeit.“ (S.83)

Der Jazz gehörte zur Avantgarde, gewann aber immer mehr an Einfluss gerade auf die jüngere Generation. Bitter, als sich dann mit den Beatles und der Rockmusik die junge Generation vom Jazz abwandte:
„Der Jazz musste sich als Kunstmusik etablieren. Der eine oder andere konnt’s, die anderen nicht.“ (S. 87, Zitat Sauer)

Am Ende ist wieder die Rede von Konzerten, eins davon am 15. März 2019 in der Bochumer Christuskirche. Wieder spielen Sauer und Wollny. Die Kirche wird beschrieben mit Details wie ‚Akustik liegt auf Konzerthaus-Niveau ...mittlere Nachhallzeit beträgt 3,5 Sekunden‘.

In der CODA geht es um Gespräche mit Heinz Sauer in der Zeit der Entstehung des Buchs. Sauer, der inzwischen 88 geworden ist, hatte dabei viel von sich erzählt, war aber immer über den Stand der Arbeit informiert. Die Beziehung der beiden ist wohl von viel Vertrauen und Sympathie geprägt. Letztere könnte sich gut auch auf den Leser übertragen.
Ich wartete, ob er noch weiterreden würde; aber er zog nur die Augenbrauen hoch und sah mich mit seinen großen Saxofonistenaugen an.“ (S.131)

Auf der Rückseite des Einbands bemerkt Wolfram Knauer treffend: „Rainer Wieczorek nähert sich ihm [H. Sauer] so, wie sich Sauer der Musik nähert: vorsichtig abtastend, auf die Obertöne genauso lauschend wie auf die Essenz der Melodie, Biografisches mit Literarischem mischend“. Genau! Dieses Buch ist ein Must-Have und ein Must-Read. Es erscheint am 15. März – genau 2 Jahre nach dem Konzert in der Bochumer Christuskirche.

Rainer Wieczorek, Im Gegenlicht: Heinz Sauer - Ein literarisches Portrait

Dittrich Verlag 15.03.2021
Paperback 13,90 € - ISBN 9783947373598
Hardcover 22,90 € - ISBN 9783947373550

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