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Rainer Peters: George Gershwin

100 Jahre Rhapsody in Blue

Darmstadt, 18.06.2024
TEXT: Heinz Schlinkert | 

100 Jahre ‚Rhapsody in Blue‘ und der 125. Geburtstag von George Gershwin, das sind zwei gute Gründe, ein neues Buch über diesen berühmten Komponisten herauszubringen. Im Mai ist das Buch von Rainer Peters im ‚WOLKE Verlag‘ erschienen.
George Gershwin und sein Bruder Ira passen in keine Schublade. Ihre Musik kann man den Bereichen Schlager, Jazz, aber auch Sinfonische Musik und Oper zuordnen. Auch deshalb war sie umstritten und ein Fall für die ‚Jazzpolizei‘. Obwohl viele der Songs später Jazzstandards wurden und obwohl die berühmten ‚Rhythm Changes‘ auf ‚I got Rhythm‘ von Gershwin zurückgehen, wird der Name Gershwin noch 2005 im Standardwerk ‚Das Jazzbuch‘ von J.-E. Behrendt nicht einmal erwähnt.

Rhapsody in Blue

Dieses berühmte Stück wurde vom Bandleader Paul Whiteman in Auftrag gegeben und am 12. Februar 1924 in einem Konzert mit dem Titel „An Experiment in Modern Music“ in der Aeolian Hall in New York City uraufgeführt; Gershwin selbst spielte Klavier. Rainer Peters berichtet in seinem Buch, wie es dazu kam, und erläutert ausführlich mit Notenbeispielen den Aufbau des Stücks vom Klarinetten-Glissando am Anfang bis zum triumphalen Finale. Immer wieder greift er in die Kiste der Musikgeschichte und zieht Parallelen zu Passagen aus der Klassik.
Der Tristan-Akkord aus Wagners Oper hat es ihm dabei besonders angetan, was er selbstkritisch als „obsessive idée fixe dieses Buches“ anmerkt (S. 95). Verschiedene Fassungen der ‚Rhapsody’ werden thematisiert wie auch die höchst unterschiedliche Rezeption durch Gershwin's Zeitgenossen, alles reichlich bebildert, vor allem mit Noten und Fotos von Paul Whiteman‘s Orchester und von Schellack-Platten.

Aspektreiche Darstellung in 14 Kapiteln

Was für Gershwin's ‚Rhapsody’ gilt, gilt auch für die anderen Stücke, die ausfürlich beschrieben und analysiert werden, ‚An American in Paris‘, ‚Concerto in F‘, ‚I got Rhythm‘ und ‚Porgy and Bess‘ sind natürlich dabei. Das Buch behandelt viele Aspekte: George Gershwin's Lebensgeschichte, zeitgeschichtliche Bezüge, auch was die Beziehungen USA und Europa angeht, Bezüge zu anderen Musikern, Dirigenten, spätere Aufführungen und Verfilmungen. Die Musik selbst steht im Vordergrund im Zusammenhang mit Musicals, Konzerten und Filmen. Manche Passagen sind wohl nur für studierte Musiker verständlich, doch man kann leicht darüber weg lesen. Es handelt sich hier nicht um wissenschaftliche Literatur, denn es gibt keine Anmerkungen, nur eine Literaturliste. Eine Zeittafel mit Daten zur Biografie und Veröffentlichung wichtiger Werke wäre hilfreich.

Autor Rainer Peters

Rainer Peters wurde Ende der 50er Jahre in Düsseldorf geboren und hat in NRW seine musikalische Ausbildung erfahren. Studium an der Kölner Musikhochschule, Dozent an den Musikhochschulen in Düsseldorf und Wuppertal, dann beim WDR in Köln, später beim SWR in Baden Baden. Später hat er auch musiktheoretische Schriften veröffentlicht. Peters hat den Blick für interessante Details. So berichtet er zum dem Foto mit den in Paris gekauften Taxihupen für ‚An American in Paris‘ (s. Foto oben), dass die Hupen ursprünglich mit den Buchstaben a bis d benannt wurden. Später hat man die Buchstaben als Töne fehlinterpretiert. Interessant auch der Bericht im Vorwort (‚Prelude‘) von Aufführungen im Nachkriegsdeutschland, als nationalsozialistisch geprägte Musiker Stücke von Gershwin spielen sollten; selbst Karajan war nicht begeistert.

Political Correctness in ‚Porgy and Bess‘ und ‚Jewishness‘

Zeitgeschichtliche Bezüge werden zunächst nur im Rahmen der Musik-Community thematisiert. Da Gershwin von 1898 bis 1937 lebte, könnte man erwarten, dass die Weltwirtschaftskrise, der New Deal und der aufkommende Nationalsozialismus eine Rolle spielen, doch davon ist kaum die Rede. In politischer Hinsicht werden gegen Ende allerdings Rassismus und Antisemitismus thematisiert. Im Kapitel über ‚Porgy and Bess’ erfährt man, dass schon damals ‚Kulturelle Aneignung‘ ein Thema war. Durfte ein Weißer ein Stück über Farbige schreiben? Auch die Rollen-Besetzung dieser Oper war umstritten. Gershwin hatte festgelegt, dass alle Schauspieler und Musiker Schwarze sein sollten, doch das war nicht immer möglich oder gar nicht erwünscht. Diskussionen über rassistisch geprägte Sprache und über Rollenstereotype werden auch heute – woke oder nicht - noch zurecht geführt. Kontroversen über Rollen-Besetzungen in Gershwin's Oper reichen sogar bis ins Jahr 2019 in Ungarn. (S.189)
Im Kapitel ‚Jewishness‘ wird die jüdische Herkunft vieler US-amerikanischer Jazzer beschrieben, die meist ihre Namen geändert hatten. Gershwin selbst war ein gutes Beispiel dafür. Auch er wurden von antisemitischer Seite angegriffen und war sich bewusst, was der aufkommende Nationalsozialismus bedeutete. Sein Freund Schönberg war schon früh in die USA geflüchtet.
Auch von Spuren hebräischer Musik berichtet der Autor, z. B. bei ‚It Ain‘t necessarily so’, das dem Segen vor der Thora-Lesung ähnele, doch da klingt auch Skepsis durch. Die Hinwendung des weißen jüdischen Komponisten zu den diskriminierten Schwarzen erklärt Richter als „Symptom einer Trauma-Transmission“, die auf der eigenen Entrechtung basiere

Dies ist ein sehr gelungenes Buch, das auf 280 Seiten einen guten Überblick vermittelt. Viele Aspekte sind angesprochen, auch Gershwin als Maler ist ein Kapitel gewidmet. Es ist relativ leicht zu lesen und ermuntert den Leser, mal wieder in die alten Gershwin-Stücke reinzuhören – er wird dabei viel Neues entdecken.


Rainer Peters, Gershwin - The World is Mine – Blicke auf ein volles Leben

Wolke Verlag
Hofheim Mai 2024
280 S., viele farbige Abb., 32.00,
978-3-95593-149-0

Das Vorwort ‚Prelude‘ steht als download  beim WOLKE Verlag

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