Pablo Held
Meet me at the Loft
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Wer das Pablo Held Trio in einem durchimprovisierten Konzert bei Fine Art Jazz erlebte, oder - mehr noch - wer regelmäßig die Veranstaltungsreihe „ Pablo Held meet me at the Loft“ besuchte, dem wird klar, was Wayne Shorter meint, wenn er an Pablo Held dessen „Zentriertheit, innere Schnelligkeit und auch dieses Geschichtenerzählen schätzt“. Ein neues, rein digitales Compilation-Album liefert Belege für das, was damit gemeint ist.
Seit fünf Jahren lädt Pablo Held regelmäßig Musikerinnen und Musiker aus aller Welt und aus der Kölner Szene ins Loft in Köln-Ehrenfeld ein. Hier wird aufgenommen, gestreamt – und vor allem spontan auf Traum-Level musiziert. Neu-Begegnungen, die es so vorher noch nicht gegeben hat, sind ausdrücklich erwünscht. Im letzten und vorletzten Jahr boten die Sessions im Streaming-Format eine der wenigen Möglichkeiten boten, dass überhaupt etwas nach außen dringt...
Wer dieses Album hört, genießt den Luxus, aus 20 verschiedenen Liveaufnahmen jeweils das allerbeste, was hier passiert, herausdestilliert zu kommen und dies in epischer Länge von bis zu 15 Spielminuten pro Stück. Für ein solches Unterfangen ist das rein digitale Format dieses Albums eine gute Wahl, muss man doch auf keinerlei zeitliche Einengung durch das „CD-übliche“ 80-Minuten-Format.
Wayne Shorter und der Freigeist
Mir selbst haben frühe Hörerlebnisse von Aufnahmen des zweiten Miles-Davis-Quintetts erst so richtig verständlich gemacht, was im Jazz passiert, was Jazz ausmacht und was das Unaussprechliche dahinter ist, dass Grenzen überwunden werden und was Freiheit bedeutet. Deswegen kann ich auch Pablo Held s erklärte Referenzpunkte gut nachvollziehen. Es dürfte kein Zufall sein, dass er das Album mit Wayne Shorters „Nefertiti“ beginnen lässt, was hier mit Bo van der Werf, Florent Nisse und Iago Fernandez noch wilder wuchern und sich verästeln darf.
Noch temporeichere Interaktion pflegt das Stück Finding Zbiggy mit Nelson Veras, David Helm und Guilhelm Flouzat. El Bardo mit Jorge Rossy, Robert Silmann und Matthias Pichler featured ein lyrisches Sopransax-Spiel, was einmal mehr an Pablo Held s Idol denken lässt. Eine Sternstunde der ganz anderen Art markiert die kammermusikalische Begegnung auf zwei Flügeln zwischen Pablo Held und Johanna Summer. Bekanntlich entwickelt diese junge Pianistin - von klassisch romantischer Prägung ausgehend - eine neuartige kammermusikalische Jazz-Sprache auf dem Klavier. Es folgt ein Zeitsprung zurück in die umtriebige Wildheit der Fusion-Ära, wenn Pablo Held sein Rhodes-Spiel mit einer weitgehend elektrischen Band „fusioniert“. Auch die Spiellust von Gary Husband, John Schröder, Norbert Scholly und Oliver Lutz ist hier unbegrenzt.
Die Antennen sind auf den Gastgeber ausgerichtet
Im Kölner Loft kommt musikalische Gegenwart in ihrer ganzen Vielfalt zusammen - auch für avantgardistischere Strukturen holte sich Pablo Held relevante Figuren ins Loft: Etwa die Synthesizer-Künstlerin Liz Cosack, die Cellistin Elisabeth Coudoux, ebenso Christian Lillinger und Robert Landfermann am Bass. Aber auch diese Freigeister produzieren sich hier nicht um ihrer selbst willen, sondern richten hellwache Antennen auf die Diktion ihres Gastgebers. Menschen mit ausgeprägtem Charakter haben viele Schnittstellen mit unterschiedlichen Mitmenschen: Albert Sanz ist ein Modern Jazz Pianist mit spanischen-südamerikanischen Wurzeln und einem tiefen Verständnis der Jazztradition. Für Pablo Held ist dies das Bezugsfeld, um zu zweit zur Cooljazz-Nummer „Bird`s Eye“ aufzuspielen. Danach folgt wieder etwas ganz anderes: Ein subtiles Kaleidoskop aus harmonischen Vernetzungen lebt im Stücke „Seizing“, wo Pablo Held Besuch von Christopher Dell, Jonas Westergard und Leif Berger bekam. Viel Luft zum Atmen nehmen sichalle Beteiligten im Stück „Twenty Years“ einer gemeinsamen, vorsichtig neue Räume austastenden Improvisation - diesmal waren nebenKit Downes, Saen Carpiound die Jazz-Harfenistin Kathrin Pechlof ins Loft gekommen.
Auf so viel Zentriertheit ist Verlass
Es sprengt den Rahmen einer Rezension, hier sämtliche 20 Beiträge detailliert zu thematisieren. Sie sind nur Beispiele für noch viele weitere Konstellationen in den fast 200 gebotenen Musikminuten. Dabei vergisst man beim Hören des Albums zuweilen, auf einer Compilation „unterwegs“ zu sein. Denn dafür sind die Mitschnitte zu dramaturgisch pausibel aneinander gefügt und atmen einen gemeinsamen Geist, der letztlich immer von Pablo Held ausgeht, was eben auch etwas mit der von Wayne Shorter gelobten „Zentriertheit“ zu tun hat. Auch auf Helds Personalunion von Leader und Partner ist Verlass: Sein Klavierspiel gerät nie zum Selbstzweck. Das Hören auf andere scheint immer noch ein paar Gramm mehr Gewicht als das Selberspielen zu haben. Auch das dürfte eine Rolle spielen, warum hier so viele Musikerinnen und Musiker aus diversen künstlerischen Kontexten zur Höchstform auflaufen…
ALBUM
Pablo Held : Meet me at the Loft
Hopalit Records 2021
digital release