Bild für Beitrag: Organic Earfood | Cover Art and Music
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Organic Earfood

Cover Art and Music

Köln, 10.04.2022
TEXT: Heinz Schlinkert | 

Schon beim Line Up fällt auf, dass dies keine gewöhnliche Band ist: Drums, aber kein Bass, Orgel und Vibraphon/Marimba. Können sich die Instrumente da nicht ganz schön in die Quere kommen? Bernie Senensky, Stefan Bauer und Peter Baumgärtner haben mit dieser ungewöhnlichen Formation ORGANIC EARFOOD, ein eindrucksvolles Album, aufgenommen, das Ende April erscheint.
Schon 2018 gab es Auftritte wie in der Düsseldorfer Jazzschmiede, bei denen Teile des Albums gespielt wurden. Wegen Corona und einer Reihe technischer Probleme wird es erst jetzt veröffentlicht.

  • COVER ART

earfood

Schon das Cover ist bemerkenswert. Vorne ist ein Barock-Gemälde von Georg Johann Hainz abgebildet. Dieses Stilleben mit Nautiluspokal und einem Korb mit Früchten (ca. 1688) hat Stefan Bauer im Schloss Gottorf in Schleswig zufällig entdeckt. Es hat ihn unmittelbar begeistert und er hat sich – zusammen mit dem Grafiker Robert Weiss - intensiv mit der Cover-Gestaltung beschäftigt.
Ein Nautiluspokal ist ein Prunkgefäß aus Renaissance oder Barock, das aus der Schale des Meerestiers Nautilus mit Gold- oder Silbereinlagen gefertigt wurde. Auf der Cover-Rückseite sieht man vergrößerte Ausschnitte aus dem Gemälde.
Was das mit der Musik zu tun hat? Für Stefan ist das Cover sehr wichtig, weil es gewissermaßen die Musik mit optischen Mitteln fortführt. LP-Cover waren einmal Kunstwerke und LPs wurden auch wegen der Hülle gekauft, wie das berühmte Sgt. Pepper Cover der Beatles von Peter Blake 1967.

Der ‚Nautilus‘ ähnelt einer Ohrmuschel, steht also für das EAR in Earfood. Das Obst ist organic und food zugleich – Organic Earfood, und organic steht auch für organ, die Orgel. Doch das sind nur Wortspiele, im Grunde geht es bei dem Cover um die Atmosphäre, die es ausstrahlt und die auch für die Musik bedeutsam ist.

  • EAR FOOD

Ein Stilleben bildet einen Augenblick ab, eine Momentaufnahme, die den Betrachter kurzfristig zu einem Innehalten, wenn nicht gar zu einer Besinnung verleiten kann. Bei einem mehr als 300 Jahre alten Gemälde kann dieses vielleicht sogar eine Brücke bilden, über die man sich in einen Augenblick der Vergangenheit hineinversetzen kann, der uns u. U. zeigt, dass die Vorzeit gar nicht so grau war und die Menschen sich im Grunde ähnlich geblieben sind.
Ähnlich könnte Organic Earfood, das Stück, nach dem das Album benannt ist, zum Verweilen einladen. Beim durchgängigen Groove erinnern manche Passagen an minimal music, bis dass Marimba bzw. Orgel mit ihren Soli Akzente setzen.
Die meisten Stücke haben Stefan und Bernie Senensky selbst verfasst. Aber auch zwei Standards sind dabei, die sich in diesem Setting ganz anders anhören als gewohnt. My favorite things würde man hier vielleicht nicht erwarten, doch dieser Song, der sonst leicht zum Ohrwurm wird, erklingt nicht als Walzer, sondern im 5/4 Takt. Auch It's Alright with Me klingt hier ganz anders als das Original von Cole Porter, behält aber seine locker-optimistische Atmosphäre.

Every So Often ist eine Komposition des früh verstorbenen kanadischen Pianisten Bill Emes. Trinidad hat der norwegische Pianist Knut Eide Haugsoen komponiert. Blues for EJ – mit der Abkürzung ist Elvin Jones, der Drummer des berühmten Coltrane Quartetts, gemeint, der Bernie Senensky einen „der besten Pianisten, mit denen ich je gespielt habe” genannt hat. Das ist dann auch eine Herausforderung für Peter Baumgärtner , der die Band – wie sonst auch - sehr lebendig an den Drums begleitet. Mit vielen Einwürfen, oft auch auf offbeats, und mit kurzen Soli setzt er eigene Akzente.

Das letzte Stück Silver Trane von Bernie hat mir am besten gefallen. Mit dem Drum Intro kommt noch einmal 'richtig Schwung in die Bude'. Zu meiner Verwunderung hört man einen Bass, doch meine Nachfrage ergab, dass man die Orgel hört. Normalerweise würde der Organist mit dem Pedal die Basslines spielen, doch Bernie macht es mit der linken Hand. Beim Mischen haben "musical supervisor" Christoph Haberer und Ton-Ingenieur Ralf Kiwit den Bass so hörbar gemacht, dass man meint es wäre ein Kontrabass.

lp

  • Instrumente und Band

Das Vibraphon ist eine Weiterentwicklung der Marimba. Das hölzernen Platten wurden durch Metall ersetzt und mit einer elektrisch angetriebenen Einrichtung ausgestattet, die einen Vibrato-Effekt erzeugt.
‚Vibraphon und Jazz‘ - da denkt man vielleicht erstmal an Lionel Hampton oder auch an Dave Pike, Red Norvo und Bobby Hutcherson. Mich erinnert Stefans Spiel am ehesten an Dave Pike, der in den 70er Jahren in seinem Set mit Volker Kriegel spielte. Klanglich kommt das hin, doch Stefan spielt mit vier Mallets viel differenzierter und raffinierter.
Er spielt Vibraphon und Marimba oft im Wechsel in einem Stück, in dem sich wiederum oft Orgel und Vibes/Marimba bei den Soli abwechseln. Da diese Instrumente klanglich nicht so sehr weit auseinander liegen, sind 10 Stücke schon eine ganze Menge. Ein weiteres Melodieinstrument könnte da gut noch ganz anders klingende Impulse beisteuern.

Über die Band hat schon mein Kollege Uwe Bräutigam 2018 anlässlich des Konzerts in der Jazz Schmiede berichtet (s.o.), deshalb hier nur ein paar kurze Infos.
Stefan Bauer ist kein Unbekannter in NRW. Er verbringt zwar die meiste Zeit des Jahres in den USA, kommt aber regelmäßig am Ende des Jahres in seine alte Heimat zurück. Erst kurz vor Weihnachten haben wir über seine außergewöhnliche Jazz Matinée im Essener Filmstudio Glückauf berichtet.
Den Organisten Bernie Senensky kennt Stefan aus Winnipeg/Kanada und von vielen gemeinsamen Aktivitaeten in Kanada, vor allem in Toronto mit ihrem gemeinsamen Quartet (CD “Coast to coast” mit Gast Kenny Wheeler). Bernie lebt seit langem in Toronto und genießt den Status einer kanadischen Jazz-Legende.
Der Drummer Peter Baumgärtner gehört zum NRW-Jazz-Urgestein. Er ist in der Düsseldorfer Jazz Schmiede sehr aktiv und ist auch als Organisator der Hildener Jazztage bekannt geworden.

Die Atmosphäre des ganzen Albums ist heiter und gelassen. Man könnte meinen, die Stücke seien einfach, aber wenn man mal in den – gar nicht so sauren – Apfel beißt und genauer hinhört, wird man feststellen, dass die Musik viel komplizierter ist. Auch das oben beschriebene Cover lädt zum 'Anbeißen' ein; den Nautiluspokal könnte man so auch als Füllhorn sehen, das uns neben dem Obst auch eine Fülle ausgezeichneter Musik beschert.

ORGANIC EARFOOD
Label: JAZZSICK
Bestellnummer CD: 10898849
Erscheinungstermin: 29.4.2022

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