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Oliver Schroer & Matthias Bergmann

Insight

Köln, 01.03.2020
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Jazz oder Nicht-Jazz ist manchmal gar nicht die Frage, wenn erst mal der Wesenskern einer musikalischen Idee einen Raum erobert – vielleicht auch mal einen Kirchenraum. Der Organist Oliver Scheer und der Trompeter/Flügelhornspieler Matthias Bergmann loten auf ihrer neuen Duo-CD „Insights“ Randbereiche aus und sind gerade dadurch mittendrin.

Die von Oliver Schroer gespielten modern-sakralen Harmonien direkt zu Anfang sind das Aha-Erlebnis Nr. 1 – so hat John Coltranes „Naima“ wohl definitiv noch nie geklungen, auch wenn Matthias Bergmann schon im nächsten Abschnitt eine anregende Weltlichkeit dagegen setzt. Nicht alle Stücke auf der CD haben gemeinsame Augenhöhe, manchmal besteht auch noch Luft nach oben, um weitere Facetten auf einer nach oben offenen Skala klanglichrt Annäherung und Zuspitzung auszuloten. Dennoch besticht auf dieser CD gerade die Vielfalt ausgekosteter Möglichkeiten und Schnittstellen. Große Momente, ja punktuelle Geniestreiche passieren allemal: Wie sehr sich filigrane Beweglichkeit und feierlich aufgetürmtes Tutti berühren, zeigt Schroers Eigenkomposition „9x8“ mit sprudelnder Polymetrik und harmonischen Wechselbädern. So etwas mag zum „Alltagsgeschäft“ einer guten Jazzcombo gehören – durch die hier erlebbare Klangwelt wird allemal eine neue Erfahrung daraus!

Denn im Grunde ist doch jeder Orgelspieler, der zu virtuosen polyphonen Improvisationen aufbricht, im Kern ein vorbildhafter Jazzer. Tiefe spirituelle Andacht oder entblößte Sinnlichkeit? Es kann auf beides hinaus laufen, wenn Matthias Bergmann in Kenny Wheelers „Unti“ sein gestopftes Flügelhorn singen lässt. Die daran anschließende Eigenkomposition „Folk Song“ könnte einem barocken Thema entspringen, aber dann zieht die aufblühende Trompete den Hörer in freie Landschaften hinaus, bevor das nächste Stücke „Lost“ einen zärtlich-melancholischen Gegenpol setzt. Das Pulver ist noch lange nicht verschossen, nun folgt das Highlight: Der Rezensent ärgerte sich einen Moment lang, dass er den Titel nicht erriet. Dass muss ein ganz großer Standard sein, den dieses Duo hier in zupackendem Swing, mit atemlose dahingeworfenen Stakkato auf der Orgel, einer ausschweifenden Trompete auf dem Punkt bringt. Klar – Oregon! Respektive „The Glide“ von Ralph Towner, also doch gar nicht so ein allseits bekannter Hit aus der Ahnengallerie. Aber Schroer und Bergmann „überholen“ hier das Original sogar noch, wenn es um Prägnanz und Fokussiertheit geht. Das Finale ist – nein! nicht zum niederknien, sondern ein idealer Soundtrack für eine sinnliche Stunde nach Mitternacht: Die verträumte Harmoniefolge der Orgel legt der gestopften Trompete einen samtweichen roten Teppich aus. Vielleicht tropft draußen jetzt gerade auch noch der Regen auf die Scheibe. Es ist – das Ave Maria von Franz Schubert!

CD:

Oliver Schroer Matthias Bergmann : Insight

phonector 2020

CD-Release-Konzert:

Sonntag, 29. März, Bochum, Evangelische Erlöserkirche Hiltrop

reinhören:

https://soundcloud.com/matthias-bergmann

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